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Neben dem Bäcker II

von
Herbert Hertramph

Ich hatte meine Arbeit in der sengenden Hitze der Sonne wieder aufgenommen. Gewiß, sie war stumpfsinnig, aber - was sollte man machen? Es hatte auch einmal andere Zeiten gegeben. Damals, als ich noch den Lehrstuhl für "interkulturelle Kommunikation" an der Frankfurter Uni hatte, das war ein Leben! Aber dann, zwei unliebsame Veröffentlichungen, in denen ich die sexistischen Vorstellungen einer reaktionären Politik scharf angriff und schon sägten ehemalige "Freunde" an meinem Stuhl. Es ging Schlag auf Schlag: 12 Monate später stand ich auf der Straße. Und sie hatten dafür gesorgt, daß ich nirgendwo mehr einen Job bekam.

Aber Carola (4 Jahre) und Claudia (6 Jahre) mußten leben. Sie waren mehr denn je auf mich angewiesen, seit ihre Mutter bei einem Autounfall tödlich verunglückte. Ja, Sarah, das war eine Frau: mit 30 habilitiert, Lehrstuhl für "Ethnomethodologie", immer fröhlich, keine Vorurteile. Sie war klein, zierlich hatte kurze Haare ...

Gerade kam eine Frau aus dem Bäckerladen und pflanzte sich vor mir auf. Ich wußte genau, was sie dachte: "Halbaffe", "Steinzeitmensch", "affenartige Gelüste". Ich tat ihr den Gefallen und machte zu meinem Kollegen eine Bemerkung über "besonders große Dinger". Das gefiel ihr sichtlich. Ihr Bild hatte sich bestätigt und sie konnte befriedigt nach Hause gehen und irgendwelche Katzen kraulen. Nein, ich verachtete sie nicht. So wie sie dachten viele. Zu meinen Kindern pflegte ich in solchen Fällen immer zu sagen: "Auch das sind Menschen." Nein, sie wußte es nicht besser. Sie urteilte nach äußerlichkeiten, nach dem Geruch von Schweiß, Schmutz auf der Kleidung. Sie war so sozialisiert worden woher sollte sie es besser wissen?

Jetzt kam gerade die kleine Adrette aus dem Bäckerladen. Sie kam direkt auf mich zu und lächelte mich an. Dann blieb sie stehen und sah mich fragend an: "Sagen Sie", begann sie, "haben wir uns nicht letzte Woche bei Amnesty International, Sektion "Gleichberechtigung" gesehen?" Ich strahlte. Ja genau, daher war sie mir so bekannt vorgekommen. Sie hatte dort meinen Namen erfahren und fragte, ob ich etwa der Mitherausgeber des zehnbändigen Werks "Kybernetische Funktionen in der Systemtheorie" sei. Sie würde selbst an einer ähnlichen Arbeit sitzen und sich freuen, wenn mir einmal einen Abend zusammen verbringen könnten. Welch eine Frau!

August 1996 - Copyright Herbert Hertramph

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