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Die Hölle nach Dir

von Christoph Berndt

Ich lag auf dem Bett, die Augen fest geschlossen und wollte jeden Augenblick des vergangenen Abends auskosten, bevor ich endlich einschlafe. Du warst erst eine Stunde fort, doch der Raum und das Kissen, auf dem Dein Kopf gelegen hatte, waren noch geschwängert vom starken Patschuligeruch, der Dir immer irgendwie anhaftet. Selbst wenn Du keinen Tropfen an Deinem Körper trägst, strahlst Du diesen Duft aus. Dein ganzer Typ verkörpert diesen stark sinnlich modrigen Geruch, und erst durch Deine leicht morbide, aber starke Ausstrahlung verschmilzt beides zu einer perfekten Einheit. Ich bin alleine. Ich fühle mich verlassen. Es ist die Hölle. Wenn es sie gäbe, dann würde sie so aussehen. Ich habe es nicht anders gewollt.

Ich öffnete die Tür. Der plüschige Teppich verschluckte jeden Laut, es war wie ein Fallen oder Gesogenwerden. In der Ecke auf dem alten klapprigen Samtsessel stand deine Tasche. Die Wände, mit einem zerschlissenen, scharlachroten Brokat überzogen, schienen Schweiß auszudünsten, die wenigen Möbel aus billigem Plastik imitierten Jugendstil, und obwohl draußen die Sonne flimmerte, schien hier drinnen eine unheilvolle Dämmerung zu herrschen. Als ich ans Fenster trat und die fettig-speckigen schweren Vorhänge zurückzog, wußte ich warum. Die Betonwände, die sich gleich vor dem Fenster unheilvoll in die Höhe schoben, verhinderten jede Aussicht.

Das winzige Viereck des Innenhofes war mit Müll und schleimig-grünen Pflanzenschlieren übersät, mit Stacheldraht eingezäunt, und neben den rostigen Fahrradskeletten pickten verhärmte Tauben, durch deren Gefieder die Haut zartrosa schimmerte. Nach oben hin nur Wände, winzige vergitterte Fensterluken und bröckelige Fassade. Das wenige Licht wurde verschlungen, und von der strahlenden Sonne blieb eine fahle, unnatürliche gräuliche Blässe. Beugte ich mich weit genug aus dem Fenster, schob den Kopf in den Nacken, so gelang es mir, ein Stückchen azurblauen und unendlich wirkenden Himmel zu erhaschen. Jämmerlich zerstückelt und in unendlicher Höhe. Weit, zu weit entfernt. Erschreckt zog ich mich zurück, schloß Fenster und Vorhänge und knipste das Licht an, welches kränklich flackerte, um sich dann gleißend über uns zu ergießen. Der milchige, grünlich trübe Schein, er war wohl ursprünglich rot, überzog unsere Gesichter wie eine schleichende, unheilvolle Krankheit. Ich fühlte mich gefangen. Ich bekam Angst, Angst vor meinen Wünschen, Angst vor mir selbst, Angst vor dir. Das Badezimmer übertraf meine letzten Erwartungen. Es war nicht nur ebenso groß wie das Zimmer, wenn nicht größer - nein, es herrschte ein hier ein Licht, daß einem übel werden konnte. War das Licht im Zimmer ein grünliches rot, so wirkte es hier schwefelgelb.

Das Licht waberte an den dreckigen, zersprungen beigen Kacheln entlang und machte aus der gewöhnlichen Umgebung etwas Beängstigendes, wenn nicht Unnatürliches. Das Fenster war mit brüchiger, nikotingelber Spitze verhüllt, der Wasserhahn tropfte, der Frotteläufer war abgetreten und verblaßt. Es roch nach scharfen Desinfektionsmitteln. Die Badewanne war übersät mit einem Schlier aus Kalk und Rost. Eine unbeschreibliche Übelkeit stieg in mir hoch. Ich ging zurück ins Zimmer, die Neonröhren summten.

Bilder aus Schlachthöfen und Todeszellen passierten mein Inneres, als ich mich aufs Bett flüchtete, welches sich als durchgelegen und widerlich weich erwies. Es sog mich ein. Es umhüllte mich mit einer unheilvollen Schwere. Irgendwo hinter mir spürte ich dich, ich spürte deinen Blick. Ich fühlte deinen weichen Körper, eingeschlossen mit mir in dieser morbiden Falle. Ich fasste dir so fest ins Nackenhaar, daß es deinen Kopf nach hinten zog. Ich verband dir die Augen. Der Patschuliduft, der sich jetzt zu einer neuen Mixtur aus Seide, frischem Schweiß und deinem Eigengeruch formte, ließ meinen Atem verräterisch schnell gehen. Keine Droge dieser Welt konnte in diesem Augenblick das bewirken, was ich unter dieser Mischung empfand. Du zittertest, im fahlen Schein des Lichtes sah ich deine verwundete Brust, sah ich deinen Stahlring blitzen. Melancholisch blickte ich kurz auf das Schmuckstück und fragte mich, zu was für Verwirrungen uns dieser Wahn noch führen würde. Ich fühlte die süße Zartheit Deiner Haut. Nur für einen Wimpernschlag flackerte die Angst in deinen Augen...

Ein dumpfes Grollen. Füße stampften auf den Boden. Füße knallten auf das billige Lineoleum. Ein Motorrad knatterte. Fehlzündung. Ein Ellenbogenkick in die Seite. Glas splitterte. Süßer, schwerer Geruch. Es war gallertartig wabernder Kuchen. Hinter mir eine unfreundliche Stimme im Kasernenton. "Ich habe nicht ewig Zeit", schallte es brüllend neben mir. Ein Kind weinte. Es polterte. Die Menschen starrten mich an. Ich verließ diesen Ort. Ich bezahlte nicht. Draußen schimmerte fahles, kaltes Licht. Kopfschmerzen quälten mich. Der Traum war vorbei.

November 1998

© Christoph Berndt

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