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Erotic inside

von Carola Heine

Eigentlich wollte heute er den Frühstückstisch decken. Schon gestern abend hat er die sonnengelben Teller und die violetten Müslischalen, die apfelgrünen Kaffeetassen und das leuchtendrote Besteck auf der Fensterbank in der Küche bereitgestellt - aber jetzt bin ich zuerst wach geworden, und wecken mag ich ihn auch nicht. Er sieht so glücklich aus, langgestreckt in den Kissen und mit dem Hinterteil der Katze unter dem Kinn. Die Harmonie der beiden will ich noch nicht stören.

Schnell und leise geduscht und irgendwas übergeworfen. Ich räume schnell und fast geräuschlos unsere bunten Teller und Tassen auf den Tisch, hole die Butterdose, deren Deckel von einem kleinen grünen Fabeltier aus Glas bewacht wird. Die gläsernen Vorratsdosen voll Müsli, in denen runde lustige Löffel stecken, gebogen und knubbelig, als gehörten sie einem Hobbit. Marmelade von der letzten Fahrt nach Frankreich, Honig und Schokoladencreme, frischer Schinken und Camembert, kleine Kirschtomaten und frische Vollmilch ... Brot fehlt. Wie gut, dass ich den Knopf an der frisch gefüllten Kaffeemaschine noch nicht gedrückt habe.

Beim Bäcker wartet eine lange Schlange. Obwohl ich den dicken Mantel übergezogen habe, fröstele ich ein bisschen, denn darunter trage ich fast nur das alte rote Seidenhemd, das er so liebt. Die Gänsehaut zieht meine Brustwarzen zusammen und unwillkürlich verschränke ich die Arme vor der Brust, weil ich mir einbilde, sogar durch den Wollstoff würde man das merken. Am liebsten würde ich mich nach vorne zur Theke drängen, einen frischen Laib Brot packen, unter meinen Mantel stecken und schnell zur Tür hinausrennen, zurück nach Hause laufen, um mich eilig in die warmen Arme meines Liebsten zu werfen. Wir würden gemeinsam das noch warme Brot zerrupfen, um uns lustvoll gegenseitig zu füttern und die Möglichkeiten, wie das enden könnte, wären einfach unzählig.

Aber das kann ich natürlich nicht machen. Wir werden vielleicht noch viele Jahre bei diesem Bäcker in der Nähe unseres kleinen Häuschens einkaufen gehen, da kommt so ein Mundraub leider nicht in Frage. Hoffentlich kauft keiner die letzten dunklen Müsli-Brötchen, mit denen ich liebäugele, und die letzten Croissants... in der Schlange vor mir unterhalten sich die Hausfrauen. Wie anders alles früher war, sagt die eine, und die andere widerspricht heftig: Es sei doch eine Schande gewesen, wie sich ehrbare Leute hier mit dem Gebalze "schlicht peinlicher und bemitleidenswerter" Singles hätten abgeben müssen. Eine erotische Bäckerei, was für ein Schwachsinn. Bla bla bla bla. Die andere Frau hatte zwar gar keine Wertung abgegeben, nickt aber nur, sie kennt das Geplapper wohl schon und denkt sich, dass sie lieber ihre Ruhe hat.

Erotische Bäckerei. Was sie wohl meint? Die Leute sehen nicht sehr erotisch aus. Das junge Paar da vorne vielleicht noch am ehesten - sie lehnt sich gegen ihn und verschlafen tätschelt er geistesabwesend ihren Arm. Sie hat zerbissene Lippen. Ich spüre, wie sich ein Lächeln der Vergangenheit auf meine Lippen drängt und schliesse die Augen, um mich in der Erinnerung zu verlieren.

Morgens nur im Mantel schnell in dem winzigen Rumpelaufzug, der mit rotem Samt ausgeschlagen die 9 Stockwerke hinunterfahren und eine grosse Tüte Croissants kaufen für meinen Geliebten, der noch schläft. Die Franzosen verstehen die Liebenden, und sie haben den besten Kaffee. Der Duft einer französischen Bäckerei ... energisch schiebt die plappernde Hausfrau ihren Kinderwagen rückwärts in meinen Magen und wirft mir dann einen vorwurfsvollen Blick zu: Kinder haben Vorfahrt, das steht fest. Fast hätte ich mich entschuldigt, aber nur fast.

Stattdessen sage ich sanft, fast milde zu der anderen Frau "Erotik ist nichts, was man beim Bäcker kaufen kann. Die Sinnlichkeit muss man schon selbst mitbringen, dann kann man sie auch leben." Sie sieht so aus, als würde sie mich fast, aber auch nur fast verstehen. Wie soll ich jemandem, der so in seinem Alltragstrott gefangen ist, eine Prise des Zaubers und der bunten lebendigen Freude geben, die prickelnde Wärme weitergeben, die mich erwartet? Diese beiden sehen nicht so aus, als würde ihr Esstisch mit zärtlicher Sorgfalt gedeckt und von kleinen Fabelwesen bewacht. Genaugenommen wirken sie, als würden sie sogar dann noch lieblos Kochtöpfe statt Schüsseln auf den Tisch stellen und ihren Ehemann in Pantoffeln herumlaufen lassen, wenn ein Fernsehteam zu Besuch käme, um ihre liebende Familie zu dokumentieren, einfach weil sie den Blick für kleine Kostbarkeiten vielleicht niemals hatten oder längst verloren. Was, wenn mir das auch passiert, eines Tages?

Bei dem Gedanken muss ich lachen, so ein Blödsinn. Alltagstrott habe ich auch, wer hat den nicht? Es kommt nur darauf an, was man damit anfängt. Erotische Gedanken beim Bäcker können nicht ersetzen, dass ich den Mann an meiner Seite jeden Tag neu entdecke. Vielleicht werde ich eine kleine Narbe in seine Schulter beissen, die mich bei jedem Akt daran erinnern wird, überlege ich nicht ernsthaft und muss lachen bei dem Gedanken daran, mit welchem Gesichtsausdruck er diesen Vorschlag wohl quittieren würde. Ich werde den frischen kleinen Erdbeerkuchen kaufen, der rund und mit Mandeln am Rand dort liegt und über den die Hausfrauen gerade geurteilt haben, er sei sündhaft teuer und eine absolute Zumutung, da keine Erdbeersaison sei. Die dunkelroten kleinen Erdbeeren sehen saftig und aromatisch aus und so, als würden sie nach mehr, noch viel mehr und nach Küssen schmecken. Wir werden ihn am Nachmittag essen, wenn wir uns zum dritten- oder viertenmal geliebt haben und eine Stärkung brauchen können .... und wer weiss, vielleicht kann man beim Bäcker doch ein wenig Sinnlichkeit kaufen. Natürlich nur, wenn man schon welche hat.

Oktober 1998

© Carola Heine

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