von Ingo Mack
Das blaue Hinweisschild schälte sich aus der seltsam düsteren Ruhrpottnacht. Mein Diesel schnurrte sein eintöniges Lied und nur um nicht einzuschlafen, schaltete ich kurz das Licht aus.
"Jetzt fehlt noch ein Hirsch und ich könnte testen, was
an der Blendtheorie dran ist" grinste ich mir zu.
"Du hast nach mir gerufen?"
Ein schwarzer Rabe blinzelte mir durchs Seitenfenster
mit seinen leuchtend gelben Augen zu.
"Seit wann erzeugt Kaffee Halluzinationen?"
grübelte ich unkonzentriert und da der Rabe
auch beim zweiten Hinsehen keinerlei Anstalten
machte, sich in luft aufzulösen, nahm ich den Fuss vom
Gas und bog auf einen just hier liegenden Parkplatz ab.
"Hast du Batterien dabei?"
Erst wollte ich verneinen, dann fielen mir die Dinger
in meinem Diktafon ein, die noch etwas Energie in den Zellen
haben sollten.
Ich kurbelte das Seitenfenster vollends runter, mein seltsamer
Begleiter schwang sich elegant ins Wageninnere und nahm auf dem
Amaturenbrett neben dem Drehzahlmesser platz.
Jetzt erst bemerkte ich den kleinen Umhängebeutel, den er
lässig zwischen seinen Brustfedern verborgen hielt.
"Dein Gesicht solltest du sehen!"
In der Tat, ich sah aus wie ein Fisch ohne Fahrrad,
wie ein schneller Blick in den Innenspiegel bestätigte.
"Nein, es ist kein Zufall dass wir uns hier und heute treffen,
du willst doch zu der Szenekneipe? Hattest du nicht vor,
eventuell..."
PING, wie das "fertig" einer Mikrowelle klingelte mein
Kleinhirn. Etwas unsicher grienste ich der Verwandlungskünstlerin
entgegen.
"Hast du etwas Wäsche dabei?"
Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
Ich griff nach hinten und zog meine Reisetasche nach vorne.
"Dreh dich um und mach die Augen zu. nicht schummeln."
Ich lachte lautlos in mich hinein und tat ihr den
gefallen.
*plop*
"Hast du auch einen Namen?", fragte ich das neben mir sitzende Mädel mit den seltsam
irisierenden Augen.
"Nenn mich meinetwegen Carol, aber lassen wir das.
ich darf doch mal?"
Ich nickte nur und sah ihr zu, wie sie die drei Batterien
aus dem Diktiergerät fischte und in ihren kleinen
Zauberkasten hineinfummelte.
Das gerät brummte kurz auf und entfaltete sich zu einem
respektablen Laptop mit Satelitenantenne und
hintergrundbeleuchtetem Flachbildschirm.
"Der Bäcker hat sich einen Grossrechner zugelegt, mit
ISDN, Standleitung und all den Features, die ein
expandierendes Unternehmen so brauchen kann."
Ich meinte, einen spöttischen Zug im Mundwinkel der
Seltsamen zu erkennen.
"Ich habe nur wenig Zeit, drum sieh einfach nur zu und
stell keine Fragen".
Wiederum stilles nicken meinerseits.
Ihre schlanken Finger glitten mit atemberaubender Geschwindigkeit über die leise klackernden Tasten; die Intervalle, die jeweils mit der etwas grösseren Entertaste abgeschlossen wurden, klangen entfernt nach Schubert. Aber das konnte auch eine weitere Einbildung sein, es kam eigentlich nicht mehr sonderlich auf die ein oder andere Seltsamkeit an.
"Jederzeit frisches Brot und erotische Unterhaltung".
Zusammen mit einem in einem zusätzlichen Bildschirm eingeblendeten
Echtzeitviedeo aus dem Bäckerladen tauchten auf dem Hauptbildschirm
die Bilanzen, Kundendaten, persönliche Vorlieben der einzelnen
- in der Hauptsache männlichen - Besucher auf dem flimmerfreien
Schirm auf.
"Hier, ich druck dir einen Screenshot der letzten drei Monate aus".
Hinter dem Laptop quoll ein langer, engbedruckter Ppapierstreifen
heraus.
"Am besten du fährst bis zur nächsten Tankstelle, kaufst
dir den Köllner Stadtanzeiger und vergleichst da einige Namen."
Der Rruhrpotthimmel glomm in einem milchigen Ungewiss, ein schneller
Blick auf die Uhr vermerkte: "s wird Tag in Germoney.
"Ich muss los, machs gut wir sehn uns dann", sie deutete mir noch schelmisch grinsend "umdrehen" mit einer knappen Fingerbewegung an und kaum hatte ich die Augen wieder geöffnet, sass ich wieder allein in meinem Diesel.
Nachdenklich griff ich mir die lange Liste, verstaute die
noch warmen Klamotten wieder in meiner Reisetasche
und sah dem schwarzen Raben nach, der langsam in der
Dämmerung verschwand.
"Tschäss, wir sehn uns".
Ich startete meinen Diesel und setzte meinen Weg fort.
Copyright by
Ingo Mack 1998