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Nach Köln 43 km

von Ingo Mack

Das blaue Hinweisschild schälte sich aus der seltsam düsteren Ruhrpottnacht. Mein Diesel schnurrte sein eintöniges Lied und nur um nicht einzuschlafen, schaltete ich kurz das Licht aus.

"Jetzt fehlt noch ein Hirsch und ich könnte testen, was an der Blendtheorie dran ist" grinste ich mir zu.
"Du hast nach mir gerufen?" Ein schwarzer Rabe blinzelte mir durchs Seitenfenster mit seinen leuchtend gelben Augen zu. "Seit wann erzeugt Kaffee Halluzinationen?" grübelte ich unkonzentriert und da der Rabe auch beim zweiten Hinsehen keinerlei Anstalten machte, sich in luft aufzulösen, nahm ich den Fuss vom Gas und bog auf einen just hier liegenden Parkplatz ab.

"Hast du Batterien dabei?"
Erst wollte ich verneinen, dann fielen mir die Dinger in meinem Diktafon ein, die noch etwas Energie in den Zellen haben sollten. Ich kurbelte das Seitenfenster vollends runter, mein seltsamer Begleiter schwang sich elegant ins Wageninnere und nahm auf dem Amaturenbrett neben dem Drehzahlmesser platz. Jetzt erst bemerkte ich den kleinen Umhängebeutel, den er lässig zwischen seinen Brustfedern verborgen hielt.

"Dein Gesicht solltest du sehen!" In der Tat, ich sah aus wie ein Fisch ohne Fahrrad, wie ein schneller Blick in den Innenspiegel bestätigte.
"Nein, es ist kein Zufall dass wir uns hier und heute treffen, du willst doch zu der Szenekneipe? Hattest du nicht vor, eventuell..." PING, wie das "fertig" einer Mikrowelle klingelte mein Kleinhirn. Etwas unsicher grienste ich der Verwandlungskünstlerin entgegen. "Hast du etwas Wäsche dabei?" Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Ich griff nach hinten und zog meine Reisetasche nach vorne. "Dreh dich um und mach die Augen zu. nicht schummeln." Ich lachte lautlos in mich hinein und tat ihr den gefallen.

*plop*

"Hast du auch einen Namen?", fragte ich das neben mir sitzende Mädel mit den seltsam irisierenden Augen. "Nenn mich meinetwegen Carol, aber lassen wir das. ich darf doch mal?" Ich nickte nur und sah ihr zu, wie sie die drei Batterien aus dem Diktiergerät fischte und in ihren kleinen Zauberkasten hineinfummelte. Das gerät brummte kurz auf und entfaltete sich zu einem respektablen Laptop mit Satelitenantenne und hintergrundbeleuchtetem Flachbildschirm.
"Der Bäcker hat sich einen Grossrechner zugelegt, mit ISDN, Standleitung und all den Features, die ein expandierendes Unternehmen so brauchen kann." Ich meinte, einen spöttischen Zug im Mundwinkel der Seltsamen zu erkennen. "Ich habe nur wenig Zeit, drum sieh einfach nur zu und stell keine Fragen".
Wiederum stilles nicken meinerseits.

Ihre schlanken Finger glitten mit atemberaubender Geschwindigkeit über die leise klackernden Tasten; die Intervalle, die jeweils mit der etwas grösseren Entertaste abgeschlossen wurden, klangen entfernt nach Schubert. Aber das konnte auch eine weitere Einbildung sein, es kam eigentlich nicht mehr sonderlich auf die ein oder andere Seltsamkeit an.

"Jederzeit frisches Brot und erotische Unterhaltung". Zusammen mit einem in einem zusätzlichen Bildschirm eingeblendeten Echtzeitviedeo aus dem Bäckerladen tauchten auf dem Hauptbildschirm die Bilanzen, Kundendaten, persönliche Vorlieben der einzelnen - in der Hauptsache männlichen - Besucher auf dem flimmerfreien Schirm auf.
"Hier, ich druck dir einen Screenshot der letzten drei Monate aus". Hinter dem Laptop quoll ein langer, engbedruckter Ppapierstreifen heraus. "Am besten du fährst bis zur nächsten Tankstelle, kaufst dir den Köllner Stadtanzeiger und vergleichst da einige Namen." Der Rruhrpotthimmel glomm in einem milchigen Ungewiss, ein schneller Blick auf die Uhr vermerkte: "s wird Tag in Germoney.

"Ich muss los, machs gut wir sehn uns dann", sie deutete mir noch schelmisch grinsend "umdrehen" mit einer knappen Fingerbewegung an und kaum hatte ich die Augen wieder geöffnet, sass ich wieder allein in meinem Diesel.

Nachdenklich griff ich mir die lange Liste, verstaute die noch warmen Klamotten wieder in meiner Reisetasche und sah dem schwarzen Raben nach, der langsam in der Dämmerung verschwand. "Tschäss, wir sehn uns".
Ich startete meinen Diesel und setzte meinen Weg fort.

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Ingo Mack 1998 

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