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Er ist weg

von Ingeborg Jaiser

So liess ich Katja reden und die Dinge ihren Lauf nehmen. Nippte vom Orangensaft. Lauschte auf die Musik, die vom Nebenzimmer herüberwaberte. Glaubte Alex' Atem im Nacken zu spüren. Hoffte auf ein Wunder. Nahm mir Zeit. Gab der Netzgemeinde genügend Gelegenheit, sich eine Fortsetzung einfallen zu lassen. Und sass am Ende fröstelnd in meinem leichten Sommerkleid auf dem Boden, um den letzten wässrigen Rest O-Saft aus dem Glas zu saugen. Dann beschloss ich, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

"Katja, lass uns morgen zusammen frühstücken", lenkte ich ein, ohne mich genau an die Ausführungen der letzten Stunde zu erinnern. Musste gerade ICH mich für Katjas Lebensglück verantwortlich fühlen, wo doch schon der ganze Freundinnenclan mobilisiert worden war? Schliesslich hatte ich ein eigenes Leben, in dem noch einiges zu regeln war. Und genau das stand jetzt an.

Als ich den Hörer auflegte, fühlte ich mich unendlich müde. Das Seidenzeug war restlos zerknautscht, mein Parfum verflogen, die Lust auf Alex zu einem blossen Zittern zusammengeschrumpft. In den Flurspiegel blickte ich absichtlich nicht. Für einen letzten Moment rang ich mit mir. Sollte dies nicht ein Gemeinschaftsprojekt sein? Sollte ich nicht an den toughen Notarzt, an den rassigen farbigen Lover, an die kleine Yolanda denken? War ich nicht dazu verpflichtet, sie alle in meine Fortsetzung einzubinden?

Unfug, sagte ich mir. Das war meine Runde. Sollten die anderen schauen, wo sie blieben.

Erst jetzt fiel mir auf, dass die Musik verebbt war. Neugierig schlich ich hinüber ins Wohnzimmer. Plattenhüllen, Zigaretten, Aschenbecher lagen über den Flokati verstreut. Der Verstärker brummte leise. Auf dem Couchtisch stand verloren ein klebrig eingetrocknetes Saftglas. Von Alex keine Spur.

Erst vermutete ich einen kleinen Scherz, suchte in der Küche, im Abstellraum, auf dem Balkon. Dann fand ich den Zettel auf der Couch. Hektisch überflog ich die paar Worte. Konnte es nicht glauben. Setzte immer wieder von neuem an. Dann riss ich meinen Mantel vom Haken, klemmte die Handtasche untern Arm und rannte panisch aus der Wohnung.


Von Ingeborg Jaiser im Januar '97

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