<<< >>>


Frauensachen - Männersachen

von
Ingeborg Jaiser

Die Fahrt im ICE war mal wieder die Hölle: besäuselte Kegelclubs auf den Weg zur Mosel, antiautoritäre alleinerziehende Intellektuellenmütter mit quengelnden Zwergen, Heerscharen von Senioren, die mit ihren geschwollenen Krampfaderbeinen die letzten verfügbaren Sitze belegten.

Eigentlich waren mir diese lästigen Wochenendheimfahrten verhaßt. Aber seit ich dieses Praktikum in Hamburg angenommen hatte, war Alex wie ausgewechselt, erzählte dauernd was von Sehnsucht und Nähe und anderen Fremdwörtern, die er früher niemals benutzt hätte. Verstehe einer die Männer!

Na gut, ich wollte kein Unmensch sein, zumal mich Alex Bemühungen rührten und ich in Hamburg immer noch keine Seele kannte. Von Gruner+Jahr beeindruckte mich eigentlich nur noch die Fassade (hätt ich besser mal Architektur studiert), vor deren künstlichen Schiffdecks ich mich gern mit Selbstauslöser photographierte, um dann zu Hause meine ach so tolle Welt vorzeigen zu können. Der Job allerdings war allerletzt. Aber das wollte ich nicht einmal Alex verraten.

Um nicht die ganze Heimfahrt stehen zu müssen, verzog ich mich für geraume Zeit auf die Zugtoilette und tat, was ich konnte: stieg in die Seidenunterwäsche, restaurierte mein abgeblättertes Lancome-Make-up, tuschte die Wimpern dreifach und legte etwas "Opium" nach (seit es aus der Mode gekommen war, benutzte ich es wieder richtig gern - ausserdem rastete Alex regelmässig dabei aus, ohne zu ahnen, woran es lag). Manchmal konnten wir es uns am Wochenende ziemlich schön machen. Wenn Alex es schaffte, mal für zwei Stunden seine Kumpels zu vergessen...

Ach ja, diese Kerle: ständig frotzelnde Spätpubertierende mit schnieken kleinen Geissenbärtchen, spacigen Oversized-Shirts und dem Habitus von Monstern! Die kreisten nur um ihr eigenes Ego. Daß einige davon andersrum waren, schien noch das geringste Vergehen zu sein. Aber irgendwas mußte Alex an ihnen finden. Zumindest konnte er mit ihnen stundenlang in einem undurchschaubaren Geheimcode über undurchschaubare Geheimdinge quasseln. Mit Begeisterung. Aber welcher Mann konnte wiederum unsere Frauengespräche über die neuesten Methoden der Beinenthaarung und die beste Pflege von Mohairpullovern ertragen. Das waren eben zwei komplett verschiedene Welten.

Vom Bahnhof aus stolperte ich sofort zu dieser Bäckerei, die die Clique seit neuestem zu ihrem Lieblingstreffpunkt auserkoren hatte. Eigentlich ein vollkommen biederer Laden, der vor Kunden allerdings fast aus den Nähten platzte. Das Geheimnis schien in der merkwürdig erotisierenden Atmosphäre zu liegen. Keine Ahnung, wie der Bäcker das hinkriegte, aber schon beim Öffnen der Tür schlug einem etwas Schwüles, Betäubendes, Anmachendes entgegen. Vielleicht verpuffte er ein Aphrodisiakum durch die Klimaanlage.

Schon von weitem erkannte ich den Trupp: eine Handvoll giggelnder Typen, von denen ich sofort den einen und einzigen fixierte. Plötzlich wurde mir ganz warm ums Herz. Plötzlich fiel mir wieder ein, wieso ich diese blöden Wochenendtouren auf mich nahm... Plötzlich konnte ich bloß noch losrennen und schreien und Alex um den Hals fallen. Kurz bevor mich dieses wohlig-kribbelige Gefühl ganz und gar betäubte, nahm ich aus den Augenwinkeln die bedröppelten Blicke er anderen wahr. Gleich würde wieder das Gefrotzel losgehen. Doch Alex drehte sofort mit mir ab. Das rechnete ich ihm hoch an.

Natürlich gingen wir zu mir: ich hatte eindeutig die bessere, größere, gepflegtere Wohnung. Mit Mikrowelle und Südbalkon. Doch schon auf der Treppe bemerkte ich Alex Tüte. Das Format des Inhalts kam mir bekannt vor. Manchmal konnte ich den Verdacht nicht loswerden, daß mich Alex vor allem deswegen liebte, weil ich noch einen echten Grundig-Plattenspieler besaß. Der gehörte zu meinem stilechten Siebziger-Jahre-Wohnzimmer, das ich seinerzeit mit Jörg, meinem Designer-Freund, eingerichtet hatte: Flokati, Cordsamtsessel, psychedelisch moosgrüne Blütentapete, alles Stück für Stück mühsam auf Flohmärkten zusammengetragen. Daß der Plattenspieler tatsächlich nocht funktionierte, hatte aber erst Alex entdeckt. Er haßte einfach diese kleinen glitzernden Scheiben und die dazugehörenden Abspielmaschinchen. Dabei besaß ich einen so tollen Bang&Olufson-CD-Player. Den hatte ich ins Arbeitszimmer verbannt.

Beim Aufschließen der Tür dachte ich an die Seidenunterwäsche und hoffte inständig, daß der Abend nicht wieder mit Plattenauflegen enden würde. Während ich die Schuhe abstreifte, knabberte Alex schon an meinem Ohr. Den Mantel nahm bereits er mir ab. Vorsichtig schob er seine Hände weiter vor - und ich wäre bestimmt sofort schwach geworden, hätte nicht in diesem Moment das Telefon geklingelt. Für einige Schrecksekunden lauschten wir erstarrt dem Läuten, dann flüsterte Alex: "Geh nicht ran, bitte..." Ich hörte noch, wie der Anrufbeantworter ansprang, wie meine Stimme diesen ewig-gleichen blöden Spruch herunterleierte, dann war Katjas aufgeregter Wortschwall zu vernehmen - und meine Frauensolidarität siegte. Ich entwand mich aus Alex Umarmung und nahm ab.

Katja steckte mal wieder tief im Schlamassel. Dieser Pflegehund und die Trennung von ihrem Ex machten ihr echt zu schaffen. Außerdem redete sie dauernd wirres Zeug von einem Bäcker. Während ich noch versuchte, Ordnung in ihre Aussagen zu bringen, fiel mein Blick durch die offene Tür ins Wohnzimmer. Alex kniete auf dem Flokati und zog gerade fasziniert eine seiner mitgebrachten Platten aus der Hülle. Wie schöne Hände er doch hatte! Aus ein paar Metern Entfernung tat das geradezu schmerzlich weh. Ich seufzte, zog das Telefon ins Arbeitszimmer und setzte mich auf den Boden. Das Leben konnte so grausam sein.

Copyright Ingeborg Jaiser 10-Nov-1996

<<< >>>