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Yolanda war beim Bäcker

von
Carola Heine

Heute war ein guter Tag. Ich meine, richtig mit viel Action und so, total viel los und ich bin supergut drauf. Erst habe ich ja gedacht, ich müßte schon wieder zur musikalischen Früherziehung und auf der blöden Blockflöte rumpusten. Die ist dann immer so fies, wenn das nasse Holz ganz muffelig schmeckt am Mund. Und spielen kann ich sowieso nicht und ich weiß auch nicht warum, denn WIR haben ein Radio. Vielleicht sollte die Musiklehrerinnentante sich auch mal eins kaufen? Wenn ich groß bin und viel Geld verdiene, schenke ich ihr eins und kein Kind muß mehr bei ihr in komische Flöten beißen. Warum denke ich jetzt darüber nach? Ach so. Ich mußte dann nicht zur Musiklehrerinnentante, sondern - viiiiiel besser! - durfte zum Arzt, weil ich so an der Flöte gewürgt habe. Bronschittis heißt das Lied.

Mann, da beim Arzt ist immer Action. Action ist ein total supergutes Wort, sagt Hajo. Hajo heißt eigentlich Hans-Joachim, aber das finden wir blöd. Er nennt mich Yoyo und das findet Mama blöd. Also, beim Arzt war totale Action. Alle Kinder waren da, weil sie krank waren. Aber so richtig krank hat gar keins ausgesehen und ich sollte in so einem blöden Kinderbilderbuch lesen. Dabei hatte die Frau neben mir eine supergute Zeitung mit Bildern von den Königshäusern. Wenn ich groß bin, werde ich auch in einem orthopädischen Königshaus wohnen, wie Caroline und Stephanie und Silvia und Prinz William. Dann bin ich Prinzessin Yolanda. Blöd ist bloß, daß ich dann auch so einen Prinzen heiraten muß, damit das Wort Prinzessin nicht aus Versehen runterfällt. Ich habe also mal so ein bißchen da mit reingeguckt, und dann hat der eine Junge mir mit einem kleinen Plastikschaufelbagger auf den Kopf gehauen. Vielleicht weil ich seine Kekse in den Mülleimer geworfen hab? Die SAHEN aber auch ekelig aus!!!

Jedenfalls kam ich dann sofort dran und konnte nicht mehr mitkriegen, was alles auf dem Foto von dem Mann von Prinzessin Stephanie war und warum die eine Frau fast nichts anhatte und so komisch grinste. Es hat gar nicht doll geblutet und Mama hat nur ein bißchen geweint und die Mama von dem Jungen mit dem Bagger auch. Ich auch, nur so. Es war irgendwie so ansteckend und Blut schmeckt auch so komisch, salzig und so. Ich kriegte dann ein Pflaster und wir wollten nach Hause.

Genau vor dem Parkplatz kam Papa dann mit dem Auto an und hat ganz aufgeregt geschrien, Mama müßte jetzt sofort kommen, Oma sei in der Küche hingefallen. Ich meine ja immer noch, sie hätte einfach wieder aufstehen können, aber Mama wurde ganz blaß und wollte schnell den Kinderwagen in die Wohnung bringen. Echt, das sah total nach superviel Stress aus und ich fing schon mal an zu quengeln, vorsichtshalber.

Da kam dann aber die Nachbarin lang und sie hat mich einfach ausgeborgt!!! Wie die Leute in der Werbung eine Tasse Mehl oder Mon Chichi! Ich denke mir, die Nachbarin weiß wahrscheinlich gar nicht, daß ich schon ziemlich gut reden kann. Sie hat keine Kinder, nur ziemlich viele sehr nette Katzen. Mit denen unterhalte ich mich prima, der eine Kater hat mir schon fast Katersprache beigebracht. Jedenfalls werde ich mir später auch so 5 oder fünfundzigtausend Katzen aus dem Tierheim holen. Die sind total süß!

Meine Mutter hat mich also weggegeben, einfach so. Bevor ich darüber nachdenken konnte, was nun aus meinem Leben wird, stopfte die Nachbarin mir einen Lutscher in den Mund und ich mußte ganz lange die Folie abkauen, damit ich überhaupt ans rosarote Zeugs kam. Aber da war Action! Ich dachte schon, ich bin Yolanda Schumacher, aber der fährt ja selbst. Jedenfalls bin ich mit dem Kinderwagen wie irre durchgeschaukelt worden. Die Nachbarin sah absolut verrückt aus und ich habe so gelacht. Ich hatte immer gedacht, Muttis rennen rum in Leggins und Nachbarinnen riechen nach Parfüms und gehen ganz vornehm rum. Aber die konnte rennen!

Mama ist gar nie so stark. Die hätte es niemals geschafft, mich mit dem Kinderwagen die Stufen zum Bäcker hochzukriegen! Das lernt man bestimmt, wenn man von Beruf Nachbarin ist. Vielleicht vergesse ich das mit den orthopädischen Königshäusern und werde Nachbarin. Dann habe ich auch endlich kapiert, warum wir so schnell gerannt sind, sie hatte ihr Portemonnaie vergessen. Ach sooooo. Hätte sie ja auch sagen können. Und der Lutscher war mir auch runtergefallen. Ich wollte einen Negerkuß und wie das so ist, wenn man sich auskennt in seinem Job, ich kriegte ihn natürlich auch. Auf diesem Fachgebiet macht mir keiner mehr was vor. Auch nicht Hajo.

Wir sind dann erstmal dageblieben und haben Orangensaft und Kaffee getrunken. Rate mal, wer den Kaffee hatte! Wenn ich groß bin, gehe ich in jede Bäckerei und trinke welchen. Da sind immer soviele Leute und soviel zum Gucken. Dann kam eine rothaarige Frau, die aber gar nicht so weiße Wimpern hatte wie mein rotes Kaninchen. Sie waren ganz dunkel. Und sie hatte einen SCHWARZEN Mann dabei. Das war Action, sag ich Dir! Ich wäre ja gerne mal hingegangen und hätte ihn angefaßt. Der fühlt sich sicher an wie Lakritze. Aber die Nachbarin meinte, es müßte reichen, wenn ich Hallo sage. Hab ich dann auch gemacht. Aber er hat mich nicht gesehen.

Er guckte die ganze Zeit die rothaarige Frau an. Und dann sind sie weggegangen und haben ihren Kaffee vergessen. Du denkst jetzt sicher, ich weiß nicht, warum. Weil ich noch so klein bin. Aber ich bin doch nicht blöd! Und ausserdem gucke ich abends meistens hinter dem Sofa Fernsehen, wenn ich schon schlafen soll und ich weiß ALLES. Klar, ich weiß genau, was die gemacht haben, als sie alleine waren! Die haben sich geküßt und geküßt und geküßt. Wenn ich groß bin, mache ich das auch. Mit allen. Es muß nämlich einfach wunderbar sein. Sonst würden es ja nicht alle machen.

Copyright Carola Heine

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