Erik Eckstein hat eine wundervolle Audio-Fassung des Textes erstellt - herzlichen Dank!

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Meditation-Anleitung (mp3-Datei, 12 MB Dateigröße, Spieldauer etwa 13 Minuten)

Weitere gesprochene Meditationen finden Ihr auf Eriks Website SELBSTWÄRTS.

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Dieser Text entstand in der Ken-Wilber-Mailingliste, als sich einige Teilnehmer zu Wort meldeten, die unter ihrer Sinn- und Selbssuche litten. Das Leiden war ECHT - aber WORUNTER wird da eigentlich gelitten? Woher? Wohin? Wozu? Ist es wirklich das, woran wir gelegentlich verzweifeln? Oder etwas ganz anderes???

Kleine Meditation für genervte Sinn- und Selbstsucher

Ich frage euch das ganz ERNSTHAFT - nicht etwa, um "ein ZEN-Gespräch zu veranstalten" oder etwas in der Art!

Wenn ihr euch wirklich fragt: Was IST jetzt? (ob im sitzen, stehend oder gehend, ist für's erste egal) - was bekommt ihr da für Antworten??

Der erste Anlaufpunkt so einer Betrachtung ist üblicherweise der Körper. Tut etwas weh? Wenn nichts besonderes los ist, schauen wir genauer hin: Fußsohlen, Knöchel, Waden, Schienbein, Kniescheibe, Kniekehle, Oberschenkel, Unterschenkel... ihr kennt das ja, ihr habt gesucht, probiert, studiert, ihr habt Erfahrung. (Das KENNEN kann es aber nicht ersetzen!)

Sinn dieser Betrachtung ist erst in zweiter Hinsicht, die Sensibilität und das Körper-Spüren soweit herzustellen, dass Alarmsignale wieder vernommen werden (ein schöner Nebeneffekt). Wichtiger als das ist die veränderte Haltung, die so eingeübt wird: die des Hörenden. Wir lauschen auf die Antwort, die uns unser Körper geben soll - und lernen so das "Hören" überhaupt erst wieder.

Der Begriff "Beobachter" unterschlägt wesentliche Bedeutungsgehalte: ein Blick kann mit einem "Klick" alles aktuell Bedeutungsvolle erfassen und abspeichern und dann in die innere Kündigung gehen. HÖREN ist ein permanenter Prozess, ist ein offen und leer sein - und absolut unproblematisch "erlangbar". Einfach etwas ganz bestimmtes, z.B. den Hintern, auf dem du grad sitzt, in den Fokus der Aufmerksamkeit bringen:

Alles muss zumindest einen langen Ein- und Ausatem lang angesehen werden - nicht nur kurz "angedacht"!

Je öfter man solche Betrachtungen übt, desto selbstverständlicher wird die Haltung:

Sehen, was IST - und nicht: Denken, was sein sollte.

Heidegger sprach vom "Vernehmen des Seins" - auch eine schöne Formulierung.

Wozu aber diese Haltung einüben?

Nun, anfänglich ist sie ungewohnt und flüchtig, bald aber beginnt man, sich auf sie einzulassen, sich darin einzurichten. Man lernt ihre erfrischende Wirkung kennen, die Mühelosigkeit des Daseins in dieser Haltung - und entwickelt eine Tendenz, darin ein wenig länger zu verbleiben, auch wenn z.B. die Körperempfindung nichts mehr her gibt, weil sie bereits in allen aktuell zugänglichen Aspekten beobachtet worden ist.

Dann überträgt sich die Haltung des Hörenden automatisch auf "höhere" Ebenen: Was fühlst du? Ist es warm oder kalt? Oder weißt du das gar nicht genau? Was fühlst du sonst noch? Nichts? Dann spüre dem länger nach. Angst? Beklemmung? Satte Zufriedenheit? Langeweile? Euphorie? Ekel? Überdruß? Was für ein Überdruß? WO ist er zu spüren? WAS ist zu viel?? Oder zu wenig?

Ganz konkret frage ich das.

Auf die Frage "ekle ich mich gerade? Wenn ja, vor was?" gibt es immer eine klare Antwort. Abstrakta sind ein Ausweichen, eine Verweigerung, keine Antwort.

Wer aber in der Haltung des Hörenden ist, geht mit Abstrakta sowieso nicht um. Begriffe wie "EGO" sind eben Begriffe, mit ihnen geht das Denken um - nichts dagegen, wir lassen es ruhig weiter machen, nur nicht jetzt, wo einfach mal geschaut werden soll, was los ist.

Auf der Ebene der Empfindungen und der Gefühle kann noch viel beobachtet werden, bevor die Haltung auch auf das Denken übergreifen will. Letztlich aber ist es unvermeidlich, irgendwann landet man da: Ganz selbstverständlich schaut man in der Haltung des "Hörenden" den Gedanken zu. WESSEN Gedanken? Den "eigenen"? WER ist jetzt hier Eigentümer von was? WER denkt und wer stellt fest, dass und was gedacht wird?

In dieser Absurdidät kann man sich ein bisschen aufhalten und philosophieren. Sich selbst erklären, dass beides vom selben Verstand Gebrauch macht, also lediglich ein schnelles Oszillieren zwischen den Haltungen "Denken" und "Beobachten/Registrieren" sein kann - aber na und? Das ändert nichts an den Fragen! Beantwortet sie in keinster Weise.

Mehr noch: diese Fragen (die Suche, die möglichen Antworten..) sind gar nicht das Eigentliche, sind nicht der HAUPTNUTZEN, den man davon haben kann, in der Haltung des Hörenden dem "eigenen" Denken gegenüber zu stehen.

Dafür muss ich nochmal auf den Weg dahin zurück kommen:

Da wir mit diesen Betrachtungen/Beobachtungen ja vom Physischen, vom Groben, von der Hardware her gekommen und über die Software der Gefühle aufgestiegen sind, haben wir schon einiges hinter uns. Das Physische ist eine harte Realität, die nicht ohne weiteres schon dadurch ihre Form verliert, dass wir hinsehen! Eine Wunde schmerzt. Ein Messer schneidet. Ein PC-Bauteil gibt den Geist auf. Schnee ist wirklich kalt. Feuer brennt.

In der Betrachtung, im Spüren des Physischen stellen wir uns dem. Dem Nicht-Wegdiskutierbaren, dem Unvermeidlichen. Und stellen fest, dass da keinesfalls "alles klar" ist. 80% der Intensität eines Schmerzes ist der Widerstand gegen ihn - das lernen wir am eigenen Leib, indem wir die Bemühung ins Beobachten und nicht ins Schmerz vermeiden legen. Wo also höre ich auf und wo fängt "das Physische", das Materielle, das Andere, die Außenwelt an? Auf einmal wird das fraglich... auf einmal wird die eigene "Software-Qualität" offenkundig, die Plastizität und Anpassungsfähigkeit ist immens. Bis hin zum "War da was?" bringen es zwar nur wenige :-) aber die Einsichten sind doch grundstürzend. Was "da draußen" so fest erscheint, so dominant und klar geformt, ist in seiner "Wirkung" und damit Wirklichkeit doch sehr auf uns angewiesen. Wir haben einen riesigen Spielraum, unsere Bewertungen und Empfindungen zu verändern: der Wahrnehmende verändert sich und also ist auch das Wahrgenommene nicht mehr dasselbe!!! - Uns sind dabei Grenzen gesetzt, klar, Grenzen der Anpassungsfähigkeit, weil wir (auch) lebende Wesen, bewusste Tiere sind, die bestimmte Bedingungen zum Überleben brauchen. Und doch ist der Spielraum enorm!

Wenn also auch die Wand hart bleibt und das Feuer weiter brennt, so haben wir doch beobachtend gelernt, im Rahmen der "mittleren Zumutungen" ein angenehmes, ja lustvolles körperliches Dasein zu leben, das sich automatisch selbst reguliert.

Wenn dann der Beobachter auf die Gefühle übergreift, ist diese "Umwelt" - verglichen mit der physischen Ebene - schon die reine Erholung! Gefühle sind nicht so statisch-dominant vor einen hingestellt wie der sprichwörtliche "Gegenstand", der mir entgegen steht, oh nein, im Gegenteil, sie verändern sich ständig. Beobachte deinen Ekel, schau deinen Überdruß an - wie lange hält er still? Mitten im Liebeskummer oder in einer verletzten Eitelkeit: fass es genau ins Auge, höre hin, spüre dem nach... wo ist es denn jetzt? Was ist jetzt statt dessen?

Üblicherweise beginnt man dann, den Auslöser wieder zu benutzen, um das Gefühl noch einmal beobachten zu können (weil es ja schon wieder weg ist...) Nun, wer das ein paarmal gemacht hat, merkt, was Sache ist: Entweder ich muss einen körperlichen Zustand herstellen (immer wieder an der Stinkfrucht riechen, um den Gestank zu beobachten) - oder zu einer "Erinnerung", gar zu einer gänzlich "selbst-gemachten" Vorstellung zurückkehren: er hat mich beleidigt/verärgert, als er.... Ich muss in das "Ereignis" nochmal eintauchen, um mein mieses Gefühl zu erhalten, bzw. wieder auszulösen.

Ganz automatisch kommt so die Fähigkeit mit, das auch SEIN LASSEN zu können! Es geht sozusagen kein Weg dran vorbei.

Übt (beobachtend!) die Konzentration, nicht die Leere. Die Anspannung, nicht die Entspannung. Wer das eigene Zugreifen beobachtet, lernt auch, wie Loslassen geht. Ganz automatisch, ohne irgendwelche "Anstrengungen" in der Richtung.

Jetzt sind wir also bei den Gedanken: Verglichen mit den Gefühlen und Empfindungen eine noch weit flüchtigere Welt! Braucht ein Gefühl noch deutlich Zeit, bevor es sich verändert, ist ein Gedanke kaum mehr zu fassen.

Auch da kann man wieder ein bisschen philosophieren: Woher sie wohl einfallen, die Gedanken? WER sie denkt? Interessante Fragen, sicher, aber das, was wir selber unproblematisch beobachten können, ist auch schon nicht wenig: Ihre Automatismen, das Kalkulieren und Berechnen, das Assoziieren von Wunschvorstellungen entlang an Bedürfnissen, das Ausmalen von Ängsten, das zwanghafte Interpretieren, das ständige "Bedeutung geben" in alle Richtungen, die sich vom Gemüt her anbieten - nun ja, man sieht: so sind Gedanken! Mehrere Gedankenatome können sich zu Molekülen ballen, die eine eigene Pseudo-Existenz entfalten, als wären sie ein "echtes Ereignis", ein Ding in der Welt (was wir aber auch schon relativieren mussten!) - worunter wir dann "leiden".

Diese Gedankenballungen können sehr komplex und durch grübelnde, Problem-wälzende Aufmerksamkeit derart aufgeladen sein, dass wir wie von Monstern umstellt sind - gar nicht mehr wahr nehmend, was eigentlich WIRKLICH los ist - was Sache ist in der Welt der "klaren Antworten" (siehe oben).

Aber nicht mehr für den, der "von unten" kommt! Wer in der Haltung des Hörenden die Gedanken vernimmt, nachdem er an den weniger flüchtigen und schwerer wiegenden Seinsaspekten geübt hat, trifft diese Monster schon gar nicht mehr an. Die vorhandenen sind auseinander gefallen und neue sind nicht entstanden - wie denn auch, wenn ihnen die Aufmerksamkeit und das Engagement entzogen wurde, von dem sie leben?

Man sieht jetzt, dass sie Popanze sind, bzw. waren. Ihre Kraft, die Gefühle zu knechten und den Körper zu verpannen ist nicht mehr vorhanden, denn jenen Ebenen haben wir uns eigenständig gewidmet, haben unsere Spielräume und Freiheiten erkannt und zu nutzen gelernt.

Keine dunklen Mächte mehr! Völlige Transparenz - der Beobachter hat seine Funktion erfüllt.

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