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Wiedersehen beim Bäcker

von Peter Gass

Ich bin gut durchgekommen - auf dem Weg nach Köln. Ich schaue auf die Uhr. Ja. mein Magen ist pünktlich. Es ist 12:00 Uhr. Ich habe Hunger. Wo ist hier ein Kiosk? Wo ist hier ein Bäcker? Wo ist eine Tankstelle? Woher bekomme ich etwas Eßbares? Ich fahre einfach mal weiter in diese fremde Stadt hinein. "Umleitung" steht auf dem gelben Schild. Durch eine Großbaustelle muß der Verkehr anders geregelt werden.

An der Baustelle fällt mir ein Mann auf. Er stützt sich auf einen Spaten und schwitzt vor sich hin. Ich denke an meine Vergangenheit zurück. Damals war ich auch ein Hand-Werker. Oft frage ich mich, was schöner war. Die Arbeit im Handwerk mit der harten körperlichen Arbeit oder die Arbeit im Büro mit den harten psychischen Anstrengungen und dem Termindruck. Die Verantwortung ist auch oft eine Belastung. Bei der mechanischen Arbeit hatte ich immer Gelegenheit zum Nachdenken: Über mich, meine Zukunft, meine Phantasien, meine Pläne. Wie gut, daß ich mich hier und da noch handwerklich betätigen kann, um einen Ausgleich zu finden.

Da sehe ich ihn: Endlich ein Bäckerladen. Neben einem Van ist ein Parkplatz frei. Ich steige aus und gehe in Richtung Bäckerei. Eine Frau mit Kinderwagen kommt gerade heraus. Auf was habe ich denn Lust bei diesem heißen Wetter? Auf jeden Fall auf nichts Süßes, Klebriges. Ich nehme mein Standardessen: Drei Laugenbrötchen. Ein Vertreter trnkt einen Kaffee, drei Mädchen essen Weichgummifrösche. Das würde ich jetzt nicht runter kriegen. Zwei Männer mit begrüßen sich wie man es von Männern nicht erwartet. Der Kaffee scheint hier nicht gut zu schmecken: Auf einem der Tische stehen zwei volle Tassen ohne Besitzer. Ich zahle und will zur Tür rausgehen. Da stockt mir der Atem : Eine Frau steht plötzlich vor mir. Ich weiß, daß ich sie kenne. Aber ich weiß nicht mehr, woher ich sie kenne.

Was tun? Wenn ich sie jetzt anspreche und sage: "Entschuldigung - Kennen wir uns nicht?" das klingt zu platt. Während meine Gedanken noch nach Worten ringen spricht sie mich an. Toll. "Hallo, wieder in Sachen EXCEL unterwegs?" Jetzt fällt es mir ein. Wir hatten uns bei einer Schulung kennengelernt und dabei auch, ja man kann sagen heftig, geflirtet. Aber, wie das bei so Schulungsbekanntschaften so ist, man genießt die gemeinsamen Tage, hat viel zu wenig Zeit füreinander und verliert sich aus den Augen. Und da steht sie vor mir: Live, in Farbe und in Lebensgröße. Ich bin begeistert. Hoffnungen keimen auf. Wie gerne würde ich jetzt anfangen zu Träumen.

Sie fragt mich, was ich denn in Köln so mache. Ich erzähle ihr von meinem neuen Schulungsauftrag. Ein Traum von mir konnte wahr werden: Die Einheit von Körper, Seele und Geist in einer EDV-Schulung. Wir haben einen EXCEL-Kurs - mit viel Zeit. Zwischen den Kurseinheiten gehen wir ins Schwimmbad, in den Wald auf den Trimmpfad, in den Meditationsraum oder massieren uns gegenseitig." Ihre Augen beginnen zu leuchten. Ich merke, daß ihr diese Art der Schulungsgestaltung auch gefällt. Aber leider ist sie nicht angemeldet. Ich gebe ihr meine Karte und die Adresse des Hotels, in dem die Schulung stattfindet.

Sie verspricht, sich heute Abend bei mir zu melden. Ich habe noch keine Erfahrung damit, ob sie solche Versprechungen einhält. Aber: Vorfreude ist die schönste Freude.

( Der erste Tag der EXCEL-Schulung ist ein Erfolg. Arbeiten und erholen sch= affen eine gute Atmosphäre Vor dem Frühstück ins Schwimmbad, nach der ersten Einheit eine Meditation, nach dem Mittagessen ein Waldlauf. Trotz dieser "Unterbrechungen" sind wir mit dem Stoff sehr weit gekommen. Auf dem Rastplatz im Wald haben wird die Tabelle für die neue KFZ-Steuer gestaltet. Ja, sie kann sich sehen lassen. Vielleicht sollten wir sie mal einigen Zeitungen zur Veröffentlichung anbieten. Die meisten stellen die neuen Tarife sehr unübersichtlich dar. Natürlich gab es am heutigen Tag auch viel Zeit zum Flirten... Am Ende des Tages sind sich alle einig: Bei dieser Einheit von Körper, Seele und Geist lassen sich geistige Hochleistungen erzielen.

Es wird Abend über Köln. In einer halben Stunde gibt es Abendessen. Ich gehe in mein Zimmer. Meine Gedanken kreisen darum, ob diese Art der Arbeit sich auch für den Berufsalltag eignet. An der Rezeption werde ich angehalten. Der Pförtner gibt mir eine Nachricht.

Projektstatusmeeting im Park. Ist das praktikabel? Eine Frau Sabine Johannsen hat angerufen. Besprechung eines Konzeptes beim Waldlauf, geht das? Sie bittet um Rückruf. Besprechen der Monatsergebnisse im Schwimmbad. Ob das geht - auf Dauer? Wer ist Frau Johanssen? Frau Johanssen? Frau Johannsen!!! Wow! Sie hat sich gemeldet. Wie konnte ich unsere Begegnung heute morgen in der Bäckerei vergessen? Sofort rufe ich sie zurück. Wir verabreden uns für 20 Uhr. Sie holt mich im Hotel ab. Wie lange dauert es noch, bis ich ihre leuchtenden Augen wieder sehen darf?

Pünktlich holt sie mich ab. Wir fahren in ein Bistro. Tausend kleine Lämpchen hängen an der Decke. Es sind die Lämpchen, wie sie auch als Christbaumschmuck verwendet werden. Ich sitze ihr gegenüber und schaue in die leuchtenden grünen Augen. Oh, das Kölsch schmeckt gut. Es ging alles so schnell. Ich konnte gar nicht darüber nachdenken, was ich von ihr erwarte, was sie von mir erwartet, was ich von mir erwarte. Ein Treffen in einem abgestellten Van erwarten wir sicherlich nicht.

Als ich wieder auf die Uhr sehe, ist es bereits nach Mitternacht. Morgen treffen wir uns wieder. Gleiche Zeit, gleicher Ort.

Ich liege im Bett und lasse die letzten Stunden noch mal vorüberziehen. Ihre Augen, ihre Stimme, ihre Art zu sprechen und sich zu bewegen. Sie fasziniert mich. Ich weiß so wenig über sie und doch so viel von ihr. "Technische Daten" wie Alter, Familienstand, Beruf, das ist alles unwichtig.

Ich springe aus dem Bett und schaue in meinen Kalender: Genau! Am kommenden Wochenende habe ich noch nichts vor. Ich könnte einfach noch in Köln bleiben. Was erwartet sie von mir? Was erwarte ich von ihr? Was darf ich hoffen? Muß man immer etwas erwarten?

Ich freue mich auf den nächsten Abend. Ist sie einsam? Sie macht einen sehr ausgeglichen Eindruck. Fehlt ihr etwas oder jemand in ihrem Leben? Morgen werde ich mehr erfahren. Und wenn sie mich fragt, wer oder was mir fehlt. Was werde ich antworten?

(c) Peter Gaß

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