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Dialoge

Unsere Dialoge gehen so archaisch vor sich wie vor der Industriellen Revolution, und mit Ausnahme des Telephons dialogisieren wir eigentlich noch genauso wie zur Zeit Roms, während die uns berieselnden Diskurse sich der letzten Errungenschaften der Wissenschaft bedienen. Jede Hoffnung auf Verhütung der totalitären Gefahr der Massifizierung durch programmierende Diskurse aber ist in der Möglichkeit zu suchen, die technischen Medien dem Dialog zu öffnen.
 
Während wir zwar noch ungefähr genauso wie die Alten dialogisieren, hat die Kommunikationsrevolution unsere Dialoge jedoch aus dem Zentrum in die Ecken verschoben. Das herausragende Medium des traditionellen Dialogs ist der Marktplatz als der Brennpunkt der Gesellschaft. Dieser Marktplatz steht uns nicht mehr zur Verfügung. Die Industrielle Revolution hatte das Zersprengen der Kleinstädte und Dörfer zur Folge, in denen der Marktplatz als dialogisches Zentrum fungierte. Die Zusammenballungen der Großstädte und die Zerstreuung der Vorstädte sind Strukturen, die einen Dialog auf traditionelle Weise unmöglich machen.
 
Wo es aber noch Marktplätze gibt oder wo solche durch ähnliche Medien (etwa Foyers, Kulturzentren usw.) ersetzt werden, erschweren diskursive Invasionen wie Lautsprecher, Plattenspieler, Kinowände oder TV-Kisten den Dialog oder machen ihn unmöglich. Eine wichtige Funktion der diskursiven Medien ist, daß sie ihre Empfänger etwa wie Rauschgifte programmieren: sie sind "habit-forming".
 
Das erklärt, warum Menschen, die zum Beispiel ins Kaffeehaus gehen, also an Orte des Dialogs, dort entweder Zeitungen lesen oder Musik hören, das heißt Diskurse empfangen, welche andere Menschen, die dialogisieren wollen, gerade daran hindern. Unsere Methoden des Dialogisierens sind zwar dieselben wie bei den Alten, aber die meisten unserer Dialoge werden von einem Hintergrundgeräusch der immer gegenwärtigen Diskurse begleitet. Und doch ist der Marktplatz, dieses traditionelle dialogische Medium par excellence, noch immer das beste Mittel, um das Wesen des Dialogs zu erfassen.

Vilém Flusser: Kommunikologie, S.287

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