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14:07:98 - 28.Tag

Heute morgen ist es mir gelungen, einen neuen Einstieg ins den "sportlichen" Tagesbeginn zu machen, nachdem das glatt eine Woche wegen Erkältungsgefühlen und Kurzurlaub ausgefallen war. Um halb 8 wider mit 11 Minuten "Gruß an die Sonne" begonnen - danach einige eher meditative Yoga-Übungen. Ja, es war wieder ein recht gutes Gefühl nach dem Duschen, ich werde damit weitermachen und hoffe, es immer angenehmer zu empfinden.

Nicht angenehm ist allerdings, daß ich zunehme. Wie fast alle, die mit dem Rauchen aufhören, nehme ich zu ohne nenneswert mehr zu essen. Und es stinkt mir, mich mit dem Thema befassen zu müssen. Das (Nicht-mehr)Rauchen reicht mir eigentlich als um die Gesundheit kreisendes Thema, nun auch noch die Ernährung??? Wie öd! Ja, ich weiß, wie man gesund ißt und was alles reiner Mist ist - und doch esse ich normalerweise recht gemischt und mag Dinge, die eigentlich zu Recht Junk Food heißen. Aber: die schlimmsten und lieblosesten Leute, die ich in meinem Leben je kennengelernt habe, waren ein streng makrobiotisch lebendes Paar. Ich glaube nicht, daß man das Paradies mittels der richtigen Ernährung erzwingen kann und finde Leute, die mit leuchtenden Augen für eine bestimmte Richtung missionieren eher komisch.

Hilft aber alles nicht, ich nehme zu. Was tun? Es kommt wohl davon, daß Raucher das Essen schlechter verwerten und ihr Körper viel damit zu tun hat, die Gifte zu beseitigen. Nun ist er entlastet, 20% MEHR Sauerstoff kreist in meinen Adern - und ich esse immer noch gleich viel, ja, sogar ein klein wenig mehr. Das "mehr" versuche ich, als Obst aufzunehmen - aber das reicht wohl nicht. Für Ratschläge und Erfahrungsberichte bin ich jetzt jedenfalls offen!

 

13:07:98 - 27.Tag

Ach, ein depressiver Tag, ein Stück Winter mitten im Sommer. Aber wir gewöhnen uns an alles, das Wetter ist noch das Harmloseste. Das Wochenende hat mir immerhin gezeigt, wie ich mich in den Netzen verändere (naheliegend, wenn eine Veranstaltung einmal im Jahr auf immer gleiche Weise stattfindet). Ein Schreibwochenende - absurd, daß ich "zur Erholung" schreibe, denn mein Leben findet ja quasi schreibend statt. Zum Alphabet ist HTML-Code und ein bisschen Grafik gekommen, meine Mittel, mir und anderen etwas einzubilden sind noch nicht ausgeufert. Und nun plötzlich wieder Papier, mit der Hand schreiben, morgens, mittags, abends, Thema: innen und außen. Gedanken wie Träume am lockeren Zügel, aus den Assoziationen wachsen kleine Texte - von innen und außen. Und damit ist es eigentlich genug.

Ich merkte, daß mich fast der Ekel packt, wenn ich einen LANGEN TEXT schreiben oder gar zuhören soll. Mir stehen die Haare zu Berge angesichts der mutwilligen Verschmutzung des Datenraums, wenn die Menschen so verdammt atmosphärisch-ausführlich werden. Wenn sie gar noch alle Texte sammeln, abschreiben, kopieren, in schöne Bücher binden und ins Regal stellen. Ach je. Ich halte ein, sonst werde ich hier auch noch zu lang!

Bleibt noch, die philosophische Mail von Reinhold Grether zum Thema Nicht-mehr-rauchen zu nennen und mich herzlich zu bedanken. Auch für die Links von Proppi, der eine informative Anti-Rauch-Seite betreibt.

 

12:07:98 - 26.Tag

Gerade bin ich aus Mecklenburg zurück - drei Tage auf dem Land bei wechselhaftem Wetter und heftigem Wind. Zusammen mit 12 anderen in einem alten Bauernhaus - ich schlief im Zelt, das mag ich sehr und komme leider nur selten mal dazu. Das Schreibthema des Wochenendes war "Innen - außen", Ich werde mehr davon erzählen, aber nicht jetzt. Drei Tage frische Luft machen verdammt müde! Die aufgelaufenen E-Mails müssen bis morgen warten - auch die Leserbriefe zu diesem Tagebuch (es sind ganz tolle dabei!). Ganz spontan hat sich ein Leser entschlossen, nach 20 Jahren mit dem Rauchen aufzuhören - wunderbar, ich drücke die Daumen! Und jetzt geh' ich ins Bett, froh darüber, daß mein erster gesellschaftlicher Event völlig rauchfrei vorüber gegangen ist und ich nicht einen Moment Lust hatte, eine anzustecken.

10 Minuten später: Oh, The Power of Now war gestern Tages-Tip bei wohin heute? Danke an Andriz und das ganze Imperium!

Achtung: Freitag, den 10. und Samstag, den 11.Juli URLAUB (nächster Eintrag also Sonntag) -

 

09:07:98 - 23.Tag

Heute hab ich mich fast in der Welt des Midi verirrt - stundenlang von Seite zu Seite geklickt, Klassik, Pop und International MIDI Music gehört - fantastisch! Aber man kann sich vergessen und die Telefonrechnung auch.
Morgen werde ich mittags nach Mecklenburg fahren. Einmal im Jahr treff ich mich da zu einem Schreibwochenende mit ein paar Leuten, die sich in Kreativ-Schreib-Kursen kennengelernt haben. Glücklicherweise hat einer der Mitschreiber ein Haus in einem winzigen Dorf mit dem schönen Namen Waldeshöhe! Es wird meine erste Gruppenaktivität ohne Rauchen. Mal sehen, wie es mir bekommt! Soviel ich es überblicke, rauchen da nur noch zwei Teilnehmerinnen - jedes Jahr sind es weniger.

Mecklenburg ist ein flaches, weites Land mit tausenden von Seen und wunderschönen Alleen an den Straßen. Kurz nach der Wende bin ich da eine Woche 'rumgefahren, es war wie in einem Märchen aus den 50er-Jahren. Natürlich hat sich mittlerweile einiges verändert, aber trotzdem ist es noch immer das unentwickeltste und am dünnsten besiedelte Bundesland. Ich finde es gerade deshalb so schön. Daß viele Bewohner etwas abweisend sind kann ich für drei Tage verkraften, Ostfriesen sind auch nicht freundlicher (nur reicher und selten rechtsradikal). Wir kommen ja auch zu zwölft und bleiben sowieso unter uns.

Was das Tagebuch angeht, so werde ich erst am Sonntagabend wieder online sein - aber ich schreibe ja jetzt zwei Tage jede Menge auf Papier und werde anschließend das Web sicher mit irgend etwas davon beglücken.

 

08:07:98 - 22.Tag

"Ich glaube, Du hast es geschafft", schreibt Manuela heute und wundert sich, daß ich antworte, das sei nicht der Fall. Nein, ich bin nicht drauf und dran, mir wieder eine anzuzünden, aber ich weiß, daß die echte Versuchung erst nach den ersten Wochen "ohne", nach dem körperlichen Entzug einsetzt.

Solange man noch spürt, wie das Suchtempfinden langsam nachläßt, wie die spürbarsten Folgen - z.B. diese Schlappheit - rapide abnimmt, solange ist es kein Problem, motiviert zu bleiben. Doch wenn vermeintlich "alles vorüber" ist, wiegt sich der Exraucher in Sicherheit.

Ich weiß, daß ich bei früheren Abgewöhnversuchen zu diesem Zeitpunkt oder ein wenig später den ersten Zug probierte. Natürlich nur, weil ich spüren wollte, wie weit ich davon weg war. Und tatsächlich: es schmeckte erwartungsgemäß gräßlich, mir wurde sogar leicht übel, der Geschmack des Rauches ekelte mich an und ich drückte die Kippe schnell aus.

Ha, ein klarer Beweis, ich war frei davon! Ja, bis dahin war ich es. Aber ab diesem Moment gab es wieder die leise Stimme im Hinterkopf, die flüsterte: probier doch noch eine! Und schon bald folgte ich der Aufforderung, denn ich wußte ja, daß mir die Zigaretten gar nicht schmecken. Und alles begann von vorn.

 

07:07:98 - 21.Tag

Nach drei Wochen hat das Nikotin zu 99% den Körper verlassen, heißt es. Und tschüss!

Auch heute war ich wieder auf dem Friedhof und bekam Lust, ein Tagebuch über den Tod zu schreiben. Vielleicht, weil die Nikotinbestie in mir stirbt? Oh, sicher eine Täuschung, sie ist ein zähes Biest!

Noch immer fühle ich mich nicht so ganz 100%ig arbeitsfähig. Dieses "Zigarette anstecken und loslegen" ist verständlicherweise nicht mehr drin. Offenbar konnte ich so immer alles wegschieben, was gerade den Gang meiner Gedanken und Vorhaben störte und arbeiten bis in die Motten. Jetzt muß ich etwas anderes finden, um in Stimmung zu geraten. Vielleicht aber ist diese übertriebene Arbeitseffektivität ja sowieso ganz unnatürlich. Lebe ich, um zu arbeiten? Sicher nicht.

Wenn einmal eine sehr stark formende Routine wie das Rauchen wegfällt, dann gewinnt der Moment etwas Wunderbares, ganz undefiniertes. Man merkt, daß da nicht SO viel Unterschied ist zwischen Traum und Wachheit, zwischen Normalität und Verrücktheit. Nicht, WAS ist, ist das wunderbare, sondern DASS all das ist... ja, heut bin ich ein wenig daneben, aber schön ist es doch!

 

06:07:98 - 20.Tag - F R E I H E I T !

Heute morgen aufgestanden, in der Markthalle frische Brötchen und die Berliner Zeitung geholt, genußvoll gefrühstückt, eine große Tasse Kaffee getrunken - Zeitung lesend noch zehn Minuten am Tisch gesessen, dann überlegt, was jetzt als erstes zu tun sei - und plötzlich fällt mir ein: Da war doch mal was?! Das ist ja kaum zu glauben! Nicht einen Moment hat es mich nach einer Zigarette verlangt, und das morgens nach dem Kaffee, die kürzlich noch unübertroffene Sternstunde meines Raucherlebens!

Es ist so und es bleibt sogar so, den ganzen Tag über. Rauchen ist tatsächlich nur noch ein Gedanke, nicht mehr dieses unruhige Gefühl der Leere und des Verlangens. Ich spaziere über den Friedhof, der Duft der blühenden Linden ist überwältigend. Kann es denn sein, daß ich bereits mehr rieche? Nun, ich rieche übergenug und probiere versuchsweise einzelne Blüten. Und sitze in der Sonne auf der Bank, die Wolken rennen über den Himmel, die Luft ist fast übertrieben klar, viele Krähen sind unterwegs. Nichts drängt mich, ich könnte einfach sitzen bleiben. Um mich herum ist alles in Bewegung, aber ich bin ruhig. Frei, aufzustehen, oder sitzen zu bleiben - ja wonach soll ich das denn in Zukunft entscheiden?

Wer es nicht erlebt hat, wird es nicht verstehen: das Leben im 20-Minuten-Takt, die Zeit immer hübsch auf Zigarettenlänge aufgeteilt. Eine Runde spazieren gehen, auf die Bank setzen, eine rauchen. Aufstehen, weitergehen, auf die Wiese setzen, eine rauchen. Aufstehen, jetzt in Richtung Park-Café, dort erstmal eine rauchen. Dann Kaffee trinken, vielleicht Kuchen, danach die zweite rauchen. Dann Tassen zurücktragen, weitergehen Richtung home. Zuhause angekommen erstmal am Fenster eine rauchen. Dann den Computer anschalten, Mail abrufen - eine rauchen, usw. usw.

Heute, am 20. Tag ohne Futter für die Nikotinbestie, scheint es vorbei zu sein. Der Rythmus verblasst, das bekannte Verlangen bleibt einfach aus, ja, ich kann es phasenweise sogar ganz vergessen.

 

05:07:98 - 19.Tag

Ralph Segert, mein längster Online-Freund, hat heute Zeit gefunden, hier mal 'reinzulesen. Wie schön, daß "The power of Now" ihm eine Erwähnung im Cyberzine KriT wert ist! In einer sehr interessanten Mail kommt Ralph gleich auf den Knackpunkt zu sprechen: Was soll das bitte heißen, "aufhören ohne Willenskraft"? Allein die Willenskraft habe ihn durch seine bisherigen Versuche getragen, der feste und immer neu bestärkte Vorsatz, aufhören zu wollen, angesichts der Versuchung, nur mal eine zu rauchen.

Ja, es mag Leute geben, die es mit Willenskraft schaffen, es kommt wohl darauf an, wie man im allgemeinen an die Herausforderungen des Lebens herangeht. Die Methode Willenskraft hab' ich früher auch versucht. Nur: irgendwann mal hatte ich eben gerade keine Lust, die Willenskraft auch einzusetzen! Woran lag das? Man wird doch nicht von einem Moment zum anderen zum "willenlosen" oder willensschwachen" Menschen. Es geht um ein anderes Vermögen, eine andere menschliche Ressource, die schon vorher bestimmt, ob jetzt Wille eingesetzt werden muß. Ja, die sogar wesentlich mitbestimmt, ob da überhaupt ein Problem ist!

  Nehmen wir als Beispiel mal die Musik in der Nachbarwohnung, die aufgrund dünner Wände fast zimmerlaut zu hören ist. Die kann mich zur Weißglut treiben, weil ich gerade arbeiten will oder in Ruhe lesen oder mich ausruhen - und ich habe ein Recht auf meine Ungestörtheit, verdammt nochmal!!! Soll ich rübergehen und diesem rücksichtslosen Typen die Meinung sagen? Soll ich die Bullen rufen???? Wütend gehe ich auf und ab und kämpfe mit Gewaltphantasien - so jedenfalls könnte es sein.
Es könnte aber auch ganz anders sein: Seit ein paar Wochen ist drüben ein neuer Mieter eingezogen, alleinstehend, ein reizender, allerdings ein wenig schüchterner Mensch. Er lächelt mich an, wenn wir uns auf der Treppe begegnen - und ich bin hin und weg! Ach, wenn ich doch nur mehr von ihm wüßte! Wie freue ich mich, wenn er manchmal seine Musik spielt, zum Glück höre ich das fast so gut, als wäre es bei mir....

Dasselbe Phänomen kann so oder so wahrgenommen werden, mit je entsprechenden Folgen, mit mehr oder weniger oder gar keinem Leid. Es kommt auf die innere Einstellung an. Und es ist wesentlich erfreulicher, diese Einstellung zu verändern, als mit einer Haltung das Rauchen aufzuhören, wie sie allgemein üblich ist: es sei schwer, es erfordere Kraft und Wille und Verzicht und vieles mehr. Alles Quatsch, sagt Carr, alles Ergebnis einer umfangreichen Gehirnwäsche. Die konkreten körperlichen Entzugserscheinungen sind nämlich marginal! Keine Schmerzen, nichs besonders Heftiges - nur so ein Gefühl der Leere, wie eine Art Hunger. Schließlich hält das jeder Raucher über Nacht aus, ohne auch nur davon aufzuwachen. Die ganzen Schwierigkeiten basieren auf falschen Ansichten über das Rauchen - und diese Ansichten zerlegt Carr eine nach der anderen auf beeindruckende Weise.

Man braucht dann nicht mehr zu tun, als diese Dinge ins Gedächtnis zu rufen, wenn etwaige Verlockungen auftauchen - anstatt in innere Vorstellungen abzutauchen, wie nett es doch jetzt wäre, eine zu rauchen, NUR EINE.... usw. Diese Vorstellung hält sich nämlich nicht mehr, wenn stets andere, sehr reale Tatsachen den Platz im Kopf besetzen, wie etwa: Es gibt sie nicht, die EINE genußbringende Zigarette. Zigaretten wirken nur als lebenslange Kette - und wir wissen, daß das stimmt, denn wir mußten üben, bevor wir das Rauchen angenehm fanden und wenn wir aussetzten, z.B. bei einer Krankheit, schmeckte die Kippe schon nach wenigen Tagen so scheußlich, wie sie in Wahrheit eben schmeckt. Alles, was an ihr wunderbar wirken mag, ist der Tatsache zu verdanken, daß sie kurzfristig die Entzugssymptome lindert. Wie schön, wenn der Schmerz nachläßt! (Deshalb auch die Sonderstellung der Zigarette am Morgen oder nach dem Essen: die Pause ist länger, das Verlangen daher größer, die Erleichterung ebenfalls) Wir fallen gewöhnlich immer wieder darauf rein und ordnen das Gefühl des Mangels nicht der Zigarette zu, die es verursacht, sondern die 'Erleichterung', die sie verschafft.

Es lohnt sich jedenfalls, die Methode Carr zu versuchen. Heute ist mein 19.Tag und ich kann nur bestätigen: kein Leid! Alles easy!

 

04:07:98 - 18.Tag

Heut' hab ich dieses Tagebuch ein bißchen hübscher gemacht - und eine Linkliste rund ums Rauchen & Nichtrauchen gibt's jetzt auch. Was ist schon eine Web-Site ohne Links in die weite Welt, dachte ich mir und klickte mich stundenlang durch Projekte, Suchmaschinen, Datenbanken, Organisationen, Initiativen und Homepages.

Es war ein Horrortrip! Ja, ich hab' all das schon immer gewußt - aber mich doch nicht freiwillig damit beschäftigt! Und nie länger als 10 Minuten. Jetzt ist mir ganz schlecht von diesen zwei Stunden oder mehr. Oh, keine Sorge, das ist jetzt nicht alles hier versammelt, nur ein paar deutschsprachige Seiten mit allen wichtigen Infos und nur ganz wenig Horror... eher für diejenigen gedacht, die schon mit dem Rauchen aufgehört haben und sich gegen Rückfälle immunisieren wollen.

Ganze Bibliotheken mit Krankheitsbeschreibungen und Risiko-Statistiken sind draußen geblieben! Das hab ich mir ja eh' nicht angesehen, als ich noch rauchte und empfinde es auch jetzt eher als deprimierend und beängstigend. Die beste Info-Seite ist jedenfalls die mit der schönen Überschrift: So erholt sich der Körper nach der letzten Zigarette .

 

03:07:98 - 17.Tag

Wie bin ich müde! Meine freitägliche Yoga-Stunde bei Hans-Peter ist doch immer wieder ein ganzes Stück heftiger, als wenn ich mit mir alleine übe. Immerhin: letzten Freitag hatte ich hinterher einen Autounfall, dieses Mal bin ich nur unendlich schlaff! Was spricht eigentlich dagegen, um 21.09 ins Bett zu gehen? Nichts.

Dem Leser, der heute hier hereinschneit, empfehle ich aus ganzem Herzen Ingo Macks Kampf mit der Nikotinbestie. Der Erfahrungsbericht ist ein ganzes Stück länger geworden und umfaßt einen spektakulären Spontanversuch, das Rauchen aufzugeben! Zwar hat Ingo da erstmal eine Niederlage einstecken müssen, als er nach 14 Stunden 'ohne' wieder eine Zigarette ansteckte und schon bald nicht mehr die einzelnen Kippen, sondern die Packungen und Stangen zählte. Aber es ist doch bemerkenswert, mit welcher Entschlossenheit er sich von hunderten Kilos alter Asche in blauen Müllsäcken befreit hat, verschiedene übervolle Aschenbecher erstmalig in diesem Leben geleert und darüberhinaus die ersten beeindruckenden Erfahrungen mit dem Thema "Aufhören" gemacht hat. Das Ganze drastisch und offenherzig berichtet!

Ich kenne übrigens niemanden, der es mit dem ersten Versuch geschafft hätte, von den Glimmstengeln loszukommen. Und mit der Methode "Willenskraft" ist es sowieso schwierig, man kann sich ja so schlecht selbst besiegen. Die Art, wie Allan Carr in Endlich Nichtraucher die Sache angeht, ist da fundamental anders - und weltweit sehr erfolgreich. (Ingo: DM 12,50, die sich lohnen könnten!).

 

02:07:98 - 16.Tag

Liebe Freunde von mir sind - und bleiben! - Raucher. Auch mein Lebensgefährte raucht weiter, mäßig zwar, aber unbetroffen durch mein Nicht-Rauchen. Außerhalb dieses Tagebuches und der Leser-Mails spreche ich nicht über das Thema, vergesse es mittlerweile sogar in der Anwesenheit von Rauchern. So weit, so gut.

Doch gibt es Freunde, rauchende Freunde, die so lieb sind, dieses Webprojekt ab und an zu besichtigen. Mir zuliebe muten sie sich meine Abgesänge zu, obwohl sie unser bis kürzlich noch gemeinsames Laster doch durchaus als Genuß empfinden. Meine Einlassungen wirken aus ihrer Sicht überdramatisiert, der Wandel in der Denkungsart ist allzu abrupt. Also werden meine Motive in Frage gestellt und meine Wünsche als Illusionen entlarvt: Bin ich nur einfach politisch korrekt und höre auf den sich wandelnden Zeitgeist? Freiheit kann es in dieser Welt doch sowieso nicht geben - und müssen wir nicht alle sterben? Wollte ich wirklich aufhören, müßte ich doch nicht Tagebuch schreiben! Ich würde das Rauchen einstellen und kein weiteres Wort darüber verlieren, oder?

Ja, ja, ja. Alles richtig. "Alles ist richtig, alles ist falsch!", sagte ein alter Freund immer zu mir, wenn ich bei wichtigen Dingen ins Zweifeln geriet, was richtig sei. Von ihm hab' ich viel gelernt.

Liebe Freunde, ihr habt mich nicht atmen gehört in der Zeit, als ich die 35 Kippen täglich rauchte. Habt den Schmerz nicht gespürt, den ich fühlte, als ich aus Nervosität die Nagelhaut am Daumen abzupfte bis richtige Wunden entstanden. Ich könnte mehr erzählen - aber es ist ja vorbei. Im diesem Moment bin ich frei davon und möchte es gern bleiben. Wenn es dafür unverzichtbar wäre, zu denken, die Erde sei eine Scheibe, dann würde ich mich darum bemühen, das so zu sehen. Aber glücklicherweise ist das nicht nötig. Angesagt sind nur ein paar abschüssige Gedanken über das Rauchen, die Zigarettenindustrie und die armen Wahnsinnigen, die freiwillig alle paar Minuten 18 verschiedene krebserregende Stoffe inhalieren. Nehmts nicht weiter tragisch - ich beschränke mich ja auf dieses Tagebuch!

 

01:07:98 - 15.Tag

Was bringt uns eigentlich dazu, etwas zu verändern? Gar eine stark eingefleischte Sucht wie das Rauchen aufzugeben? Viele Nichtraucher wundern sich, wie Raucher angesichts der Gefahren für Leib und Leben überhaupt weitermachen können. Oder sie entrüsten sich zu Recht, daß Rauchern das Rauchen wichtiger zu sein scheint als selbst die Liebe zu den nächsten Menschen.

Damit ist offenkundig, daß der Wunsch, aufzuhören, nicht allein von der Angst und vom Wissen um die schrecklichen Folgen kommen kann. Denn das weiß man als Raucher die ganze Zeit und hat gelernt, damit zu leben. Viele rauchen sogar noch weiter, wenn ihnen bereits ein Bein abgenommen wurde. Es würde also wenig bringen, überall schwarze Raucherlungen zu plakatieren, im Gegenteil: der Anblick schreit geradezu nach einer Beruhigungszigarette!

Was MICH vor 15 Tagen motiviert hat, war ein Moment der Ruhe. Eine kurze Zeit ohne jedes Verlangen nach irgend etwas, vor allem nicht nach der nächsten Zigarette. Plötzlich fühlte ich mich völlig frei und ganz vollständig. Absurd der Gedanke, schon bald wieder einzutauchen in die Knechtschaft von Rauch, Tabak, Aschenbecher, Feuerzeug, Kleingeld.

Wenn ich jetzt manchmal ruhelos herumlaufe, nicht wissend, was ich will, weil ich weder rauchen, noch essen, noch trinken, noch Sex, noch sonst etwas will, aber doch eine Leere, ein Verlangen mich umtreibt, dann erinnere ich mich an diesen ruhigen Moment. Und wundere mich, während die Unruhe vorübergeht, wie bereitwillig ich Jahrzehntelang darauf verzichten konnte. Wie ich stets von einer Zigarette zur nächsten lebte, was bedeutet: niemals hier & jetzt zufrieden, sondern immer in diesen kurzen Phasen zunehmenden Verlangens befangen sein, eingespannt zwischen dem letzten Zug und dem ersten.

Die Zigarettenwerbung lügt nicht. Sie benennt ganz offen, was der Preis ist, den wir als Raucher zahlen: the taste of now - the power of now - der Geschmack von Freiheit und Abenteuer.

 

30:06:98 - 14.Tag

Was soll ich tun, wenn ich die Arbeit spürbar unterbrechen will? Im Prinzip sitze ich ja den ganzen Tag vor dem Monitor. Bis vor zwei Wochen ging ich "wegen Pause" in die Küche, kochte Kaffee und rauchte ein bis drei Zigaretten. Manchmal trat ich auch nur ans Fenster und steckte mir eine an oder besuchte meinen Lebensgefährten im Nebenzimmer - auf eine Zigarettenlänge.

Jetzt stehe ich manchmal auf und gehe in Richtung Küche, bleibe aber auf halbem Wege stehen und merke: keine Lust, etwas zu essen, es ist schlicht das Rauchverlangen; aber nicht als PHYSISCHES Verlangen, das leicht zu verkraften ist, wie Carr in "Endlich Nichtraucher" richtig sagt, sondern als ein Verlangen nach Abwechslung, Pause, Selbstbelohnung. 1000 Jahre so eingeübt, jeden Tag bestimmt 10 bis 20 Mal - was jetzt stattdessen tun? Essen ist nicht die beste Wahl. Würde ich in dem Maße essen, wie ich früher zu rauchen pflegte, könnte man mich bald rollen. Vorerst mach ich mir also heißen Tee, auch mal wieder ein kleines Glas Kaffee - aber so RICHTIG ist das alles nicht. Und so bleibe ich oft einfach vor dem Monitor sitzen, was die Dinge nicht leichter macht. Immerhin: heute war ein sehr produktiver Tag!

Es freut mich übrigens, daß einige Leser mir schreiben. Es inspiriert mich, über Aspekte nachzudenken, die ich alleine nicht aufgegriffen hätte und es motiviert mich. Wie heute die Mail von Tito, der schrieb, nach 6 Monaten "ohne" wisse er jetzt wieder, was Gesundheit sei. Oder die von Michael, der anmerkte, die Summe der Laster bliebe letztlich immer gleich, ich solle mir was Schönes aussuchen!

 

29:06:98 - 13.Tag

Der 13.Tag "ohne" - und immerhin auch heute die Übungen am Morgen geschafft. Es ist ungewohnt, gleich nach dem Aufstehen ins Schwitzen zu geraten, noch dazu freiwillig. Als Sporthasserin habe ich mich mein Leben lang bemüht, genau das zu vermeiden. Aber man kanns nicht leugnen, es tut gut! Anschliessend dann die kalte Dusche - und danach sollte ich eigentlich fit für den Tag sein.

Stattdessen den ganzen Tag rumgehangen, hundemüde, schlicht "unpäßlich" gewesen, wie man früher gesagt hätte. Und morgen, in einer Kultur, die hoffentlich vom rasenden Arbeiten und ständigem Beschäftigtsein genesen ist, wird man sagen: eine Auszeit genommen, NICHTS getan, einfach DA gewesen. Schön, daß das heute möglich ist, ganz ohne Krankschreibung oder ähnlichen Formalwahn. Eingefleischte Kulturkritiker würden gegenhalten: dafür arbeitest du auch oft Samstag und Sonntag! - Na und? Ich habe meistens Spass dabei, beim Tun und beim Nichttun, und das ganz ohne Millionär zu sein. Heute ist der 13.Tag "ohne", bis jetzt sind 15873 Tage meines Lebens vergangen - wieviel Tage wohl noch kommen werden?

Claudia Klinger

 

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