Hallo Claudia, die Volksküche Ostasiens ist geprägt durch einen zweifachen, wenn Du willst
sogar dreifachen Mangel: an Brennmaterial, an Fleisch und an Salz. Der
Grundbestandteil der Ernährung (je nach Region Reis oder Getreide in Form von
Nudeln, Brei oder Brot) wird deshalb ebenso wie alles andere auf möglichst
brennstofsparende Weise gegart. Für Reis sieht das so aus: 1 Volumen Reis (mäßig intensiv gewaschen, der Reis
soll klumpen und kleben, sonst packt man ihn nicht mit Stäbchen, obwohl man
hierzulande auch Löffel oder Gabel verwenden darf), 1 Volumen Reis also mit 2
Volumen Wasser ansetzen, ggf etwas vorweichen lassen. Kein Salz dazu. Dann
auf relativ hoher Hitze zum Kochen bringen, dann auf kleinste Flamme
schalten. Früher: An den Rand des Herdes, der Feuerstelle schieben, eine
halbe Stunde ziehen lassen, für die letzten 5 Minuten den Deckel lupfen. So, das war fünftausend Jahre lang für viele Chinesen Frühstück, Mittagsmahl,
Vesper und Abendbrot. Und weil das nicht lange vorhält, ist der traditionelle
Gruß der unteren Schichten auch nicht: Guten Tag, sondern: Hast Du schon Reis
gehabt. Wenn man nämlich sonst wenig hat, tagaus, tagein, braucht man alle
paar Stunden Nachschub, sonst kippt man aus den Latschen. Damit man den Reis runterbekommt und ein bißchen Fett und Vitamine dazu, wird
er aromatisiert. Z.B. mit Sojasoße, oder Fischsoße, oder Bohnensoße, oder
Fruchtsoße oder Tofusoße oder süßer Essigsoße oder scharfer Chilisoße... Je
besser ein Haus sich steht, desto mehr frisches Gemüse und sogar Fleisch
findet sich in der Soße. Das Grundrezept ist immer das gleiche: Gemüse
kleinschneiden, dünnste Scheiben oder Julienne. Fleisch (=Schwein oder Huhn,
im Süden Fisch) ebenfalls kleinschneiden, ggf in Soße marinieren (=vorgaren).
Gemüse im heißen Fett rührend angaren, an den Rand schieben, Fleisch in die
heiße Pfanne oder in die heiße Zone des Wok, anbraten, mit dem Gemüse
vermischen, Soße drüber (mit Mais- oder Reismehl, zum Andicken) fertig. Wenn Du klein genug geschnitten hast (der traditionelle Haushalt verfügt über
mehrere alte Frauen, die sonst nix mehr tun, aber schnibbeln und stiften, daß
es eine Lust ist), geht das fast im Sekundentempo, sehr enegriesparend und
vitaminschonend. Jetzt stell Dir vor: 7 Sorten Gemüse, drei Sorten Fleisch (selbst unter
europ. Verhältnissen reichen kleine Portionen 50 g pro Person, je nachdem, 5
Sorten Soßen, und das alles in variablen Mischungsverhältnissen - das gibt
schon ganz schöne Variationsmöglichkeiten. Fertig ist die chinesische
Bauernküche - die noch viel weniger Fleisch einsetzt, und dabei wie hier
früher auch, abenteuerliche Dinge verwendet: Hühnerfüße, Schweineschnauzen,
Eingeweide, man kann nichts verkommen lassen, und DAS Schwein, im Herbst,
bevor das Futter knapp wird, geschlachtet und eingelegt, muß für den ganzen
Winter und die ganze Sippe halten. Die vornehme Küche funktioniert, wer hätte das gedacht, ziemlich anders. Sie
zieht wie die des imperialen Rom, ihren Kick aus seltensten Zutaten
(Nachtigallenzungen, per Läuferstafette herbeigebrachtes Speiseeis vom Dach
der Welt oder den Klüften der Alpen) und in China aus einer unglaublich
aufwendigen Dekoration, die alles auf's kunstvollste in Bildern und Bauten
anrichtete und zuvelässig dafür sorgte, daß die erhabene Zunge dessen, der
unter dem Himmel herrscht, nie mit warmen Speisen in Berührung kam. Nu schreibe ich hier hemmungslos vor mich hin und bedenke nicht die Folgen:
wirst Du vom Lesen satt, oder zieht es Dich unwiderstehlich aus dem Haus und
zum nächsten Chinesen? Guten Appetit Michael
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