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22:06:98 - 6.Tag

Heute zum ersten Mal richtig Stressgefühle gehabt - klar, hab ja auch wieder voll gearbeitet, teils am PC, teils Aufräumaktionen im Zimmer. Zwei von drei Bücher- und Aktenregalen sortiert - es ist sonderbar: ohne das Rauchen bedeutet eine ungeordnete Gegend im Zimmer eine Art diffuse Bedrohung, sie strahlt ein stetes Gefühl der Unsicherheit aus. Wobei ich doch schon fast ganz transparent lebe und lange nicht mehr so viele Gegenstände besitze wie früher, das bringt der Yoga so mit sich, man beginnt, sich nach Klarheit und Überblick zu sehnen.

Jede Aufräumaktion ist ein Akt der Befreiung - aber als ich es heute nicht fertigbrachte, mich von mehr als 3 Stapeln PC- und Internet-Zeitungen, sowie einigen Materialien aus vor vielen Jahren besuchter Kurse zu trennen, bekam ich Ekelgefühle. Es ist ja auch widerwärtig, zu wissen, daß man manches nicht wegwerfen kann, aus Besorgnis, es bald zu benötigen oder aus Pietätsgründen, - und nach einigen Monaten oder Jahren wird es dann doch endlich entsorgt... das ist so unglaublich idiotisch.

Die Gedichtbände zum Beispiel, die nach Kreativ-Schreibgruppen das kollektive Schaffen verewigen - NIE seh ich da wieder rein! Aber mir kommt es wie eine Beleidigung der anderen Teilnehmer vor, so etwas wegzuwerfen. Ebenso die alten Familienfotos und ähnliche Reliquien. Alles eine Last durch die bloße Existenz - ich brauche das alles nicht, es verstaubt, steht in Ecken und in Kästen - ich vergesse, wo was ist und das bringt dieses ungute Gefühl....

Es mag jetzt ein wenig verrückt klingen, sich mit solchen Dingen überhaupt zu befassen - aber entweder ich betäube mich und schotte mich ab, rauche meine 30 Zigaretten und funktioniere wie ein Automat, - ODER ich muß mich halt den Wildheiten und Widrigkeiten, den Wünschen und Ängsten, den wechselnden Stimmungen und Befindlichkeiten zuwenden, die im Laufe des Tages "ich" bedeuten.

Nachmittags Besuch bekommen, ein alter Freund von gegenüber. Er rauchte eine nach der anderen, natürlich! Da waren so ein, zwei Momente, wo ich auch gern eine angesteckt hätte - aber ich sah ihn an, wie er da außer Atem keuchend vor mir saß, von zwei Treppen ganz geschafft, mehr an der Zigarette hängend als diese haltend..... und schon war die Anwandlung vorbei. Schließlich tut mir nichts weh, selbst das leere Gefühl bleibt nur ein paar Sekunden, wenn ich nicht dran klebe, weder Wehleidigkeit darum herum packe noch in Vorstellungen vom Rauchen abdrifte - es ist wirklich SO LEICHT, daß es wahrscheinlich kaum jemand glaubt. Da ich es selbst erlebe und nicht glauben muß, macht das aber nichts.

 

21:06:98 - 5.Tag

Ein wunderschöner Tag, endlich richtig Sommer! Nach Brandenburg rausgefahren, weit in den Norden, spazieren gegangen, viel herumgefahren - was für ein schönes Land! Mein liebster Freund und Lebensgefährte nimmt Rücksicht auf mich und raucht sehr wenig, setzt sich so, daß der Rauch in eine andere Richtung zieht, verläßt morgens die Küche, um allein in seinem Zimmer zu rauchen, raucht kaum im Auto.

All das ist sehr lieb, aber nicht nötig. Der Rauch läßt mich tatsächlich derzeit so kalt wie etwa der Geruch einer laufenden Waschmaschine, berührt mich weder positiv noch negativ. Die Auslösermomente kommen auf jeden Fall: Spontanes Rauchverlangen nach dem Essen oder wenn sich jemand eine ansteckt - ich habe den Eindruck, es ist bereits schwächer als gestern: kaum bemerkt, schon vorüber.

Meine Füße spüre ich seit heute wieder, fast so intensiv wie die Hände. Das hört sich sicher komisch an, aber durchschnittliche Raucher haben allesamt schlecht durchblutete, kalte Füße und kaum mehr Gefühl darin.

Von der Ausflugsfahrt zurück, lege ich mich aufs Bett und genieße das Atmen, einfach atmen, die Aufmerksamkeit an das Strömen der Luft bindend, dem Atem durch die Lunge folgend. Die Angst vor der Stelle, wo man lieber nicht tiefer hinein atmet, weil da die Kohlenberge lagern, ist weg. Kein Kratzen, kein verschleimtes Gefühl - wunderbar! Natürlich weiß ich, daß in ein paar Tagen der Dreck von 30 Jahren nicht ausgeschieden wird, aber die akute Besserung ist doch erstaunlich!

 

20:06:98 - 4.Tag

Immer noch keine Probleme! Bin nicht in exzessives Fressen verfallen und hab lange Zeiten nicht ans Rauchen gedacht. Allerdings ungewöhnlich aktiv gewesen, viel 'rumgelaufen, eingekauft, eine kranke Freundin besucht. Ja, auch viel geputzt und aufgeräumt, Bücher im Regal sortiert, lauter Aktionen, die den Körper bewegen und handgreifliche, spürbare Verrichtungen beinhalten. Nur einmal E-Mail abgerufen, sortiert und beantwortet - fühle sogar ein 'schlechtes Gewissen' wegen der Vernachlässigung meiner Cyber-Existenz, die immerhin mein gesamtes Berufsleben umfaßt und jede Menge mehr. Doch was soll's, es wird sich geben, kann nicht schaden, dem Monitor öfter mal fern zu bleiben, vor allem jetzt im Sommer.

Natürlich gab es einige dieser typischen Auslösermomente, die gewohnheitsmäßig den Drang zur Zigarette aufkommen lassen: nach dem Essen und wenn jemand anders eine ansteckt. Immer rufe ich mir dann in Erinnerung, daß es nicht die Zigarette ist, die mir etwas zu geben hat, sondern daß meine Nikotinsucht schuld daran ist, daß überhaupt "etwas fehlt". Und dann seh' ich weiter: Tut's etwa weh? Irgendwelche Schmerzen? Nennenswerte Zipperlein??? Nichts dergleichen! Gar nichts! Sogar die Müdigkeit und Schlappheit von gestern ist weg. Nur momentweise das bekannte Gefühl der Leere, nicht weiter tragisch, es geht vorüber...

Allen Carr hat recht: es ist leicht, mit dem Rauchen aufzuhören! Aber NUR wenn, ja wenn man bereit ist, diese beiden Gedanken zu denken, sobald der Gedanke ans Rauchen erscheint, UND SONST NICHTS. Das ist mir jetzt ganz klar.

Wer statt dessen in Träumereien verfällt, wie "schön" es doch war, als der Rauch noch warm und kratzend durch die Lunge strömte, wie toll es sich angefühlt hat, wenn das Gift die letzten Kapillaren ausfüllte.... Ja, wer so blöd ist, weiterhin so zu denken, hat bereits geistig die nächste Schachtel gekauft! Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis man es nicht mehr einsieht, auf "sowas Schönes zu verzichten"..... man arbeitet wieder mit an der Gehirnwäsche, die eine Gesellschaft nötig hat, die das Rauchen nicht als vieltausendfach tödliche Sucht behandelt, sondern bagatellisiert, damit in Ruhe daran verdient werden kann.

Im Moment, wenn der Gedanke ans Rauchen aufkommt, ist der Augenblick der Wahl: wer es vorzieht, der Kippe nachzutrauern, anstatt sich geduldig immer wieder die Realitäten vor Augen zu führen, für den wird es nicht leicht, sondern sehr sehr schwer.

Es soll ja Leute geben, die es trotzdem schaffen, so richtig willensstarke Typen! Aber für mich ist das nichts, ich will meine Tage nicht mit überflüssigen Kämpfen verbringen. Warum schwer machen, wenn es doch LEICHT geht?

 

19:06:98 - 3.Tag

Heute aufgestanden. Die Liegephase ist vorbei. Erstaunlich gutes Gefühl - zwar kommen in Abständen die Gedanken ans Rauchen, aber ich schicke sie weiter. Schließlich gibt es keine Alternative: würde ich weiter rauchen, müßte ich die Dosis erhöhen. In letzter Zeit hat sich mein Konsum, der lange Zeit bei 25/Tag stabil war, auf bis zu 35 erhöht. Erschreckend! Und noch immer hatte ich eigentlich Bock auf MEHR. Ich vermute, Carr beschreibt den "Endzustand" richtig: Kettenrauchend und dennoch an Entzugserscheinungen leidend, denn der Körper wird ja immer unempfindlicher gegen das Gift. Eine Hölle, teuer, dreckig, tödlich.

Dabei mache ich seit 7 Jahren Yoga und weiß sehr gut, was ich mit der Raucherei anrichte. Es ist, als würde man mit der Linken das absaufende Boot auspumpen und mit der Rechten neue Lecks schlagen. Affentheater! Zwar bin ich durch die Yoga-Übungen seit langem in der Lage, meinen aktuellen leiblichen Gesamtzustand wahrzunehmen - ABER: ich tue es im Alltag nicht so besonders gern. Zwar sorge ich mehr als früher für mein körperliches (und psychisches ) Wohlergehen - hab mir zum Beispiel gerade einen für meine Verhältnisse sündhaft teuren Bürostuhl zugelegt, auf dem ich paradiesisch sitze - aber wenn dann nichts schmerzt, will ich gern woanders hin. Ab in die Welt der Texte, der Pläne, der Bilder und Projekte. Das ist so viel spannender, als sich ins Atmen zu versenken.

Auf einmal ist alles viel ruhiger. Die bloßen Körperempfindungen sind schon an sich lustvoll. Einfach liegen, atmen, laufen, etwas physisches tun. Nichts treibt mich dazu, den PC anzuwerfen und Mails abzurufen, außer dem gewissen Pflichtgefühl. Sehr viel lieber laufe ich draußen herum und spüre die Luft, sehe die Farben, rieche die Bäume und die Früchte in der Markthalle. Alles ist irgendwie intensiver - na, ich weiß, so wird es nicht bleiben, man gewöhnt sich dran und bald schon ist es selbstverständlich. Ich gönne mir jetzt einfach eine kleine Auszeit, es ist die Sache ja wert.

Mein Appetit ist gewaltig, das Essen schmeckt jetzt besonders gut. Oh, ich weiß, hier lauert eine der Gefahren: auch durchs Essen kann man versuchen, die Leere zu füllen. Das Gefühl "Ich will eine Zigarette", kann leicht mißverstanden werden als "Ich habe Hunger". Und schon beginnt das suchtartige Essen, ich werde dick und fett und das Problem ist nur verlagert. Na, ich will es mal nicht so eng sehen in den ersten Tagen - aber darauf achten, nicht jedes Verlangen mit Essen zu beantworten. Sondern mich darauf konzentrieren, wie das Gefühl der Bedürftigkeit sehr schnell vorübergeht. Wie alles, im Prinzip.

 

18:06:98 - 2.Tag

Gestern aufgehört zu rauchen. Eher spontan, ohne Plan. Mit 14 dereinst angefangen, jetzt 44, es kommen also satte 30 Jahre an der Kippe zusammen. Es gab - na klar! - kleine Unterbrechungen, die längste ein halbes Jahr, andere wenige Tage oder Wochen. Mein letzter Versuch, das Rauchen zu lassen - im Frühjahr '97 - dauerte 6 Wochen. Danach war ich so demoralisiert, daß ich mir vornahm, keine weiteren Versuche zu unternehmen. Ich wollte rauchen und nicht mehr darüber nachdenken.

Daß ich jetzt die Gelegenheit nutze, liegt an... hm, ich weiß es einfach nicht. Gestern war einer dieser seltenen Tage, wo ich aufgrund einer Übelkeit sowieso keine Lust zum Rauchen (und Kaffee trinken) hatte. Genau das fiel mir plötzlich als sehr angenehm auf! Es "fehlte" was: Dieses stete Getriebensein vom Verlangen auf die nächste Zigarette, der ganze dreckige Umgang mit Asche, Kippen und Aschenbechern, das Kratzen in der Lunge, das Kümmern um die nächste Packung und ausreichend Kleingeld - ja, sogar das Atmen war irgendwie leichter, schon nach SO kurzer Zeit ohne! Der Geschmack von Freiheit, eine kleine Dosis, umwehte mich.... Warum die Sache nicht aussitzen?, dachte ich also. Einfach abwarten, was geschieht, wenn ich nicht wieder mit dem Rauchen beginne.

Faktisch hab ich es dann eher ausgelegen, denn ausgesessen, so schlaff war ich den ganzen Tag. Lag herum und fühlte mich wie in Watte gepackt, je später, je wattiger, ein Zustand wie im Fieber, nur ohne hohe Temperatur, nicht unangenehm.. Das lag natürlich am gleichzeitigen Entzug von Nikotin und Koffein - da ein Kaffee ohne Zigarette für mich undenkbar ist, hab ich den Kaffe auch gleich weggelassen. Üblicherweise trinke ich täglich 1,5 Liter, als italienischen Milchkaffee auf Espresso-Basis, zubereitet in so einer wunderbar urtümlichen Espressokanne. Genug davon, erstmal, ich werde Teetrinkerin werden! Das soll eh die "geistigere Droge" sein, wie man sagt.

Zwischen schlafen, wachen, dösen, kochen, essen und wieder herumliegen las ich das Buch von Allen Carr Endlich Nichtraucher von Anfang bis Ende durch. Denn ich weiß, daß die Sache mit dem Nichtrauchen - absurder Ausdruck! - nicht von selber funktioniert. Gleichzeitig will ich es einfach: keine Pflaster, keine Kaugummis, kein Therapie-Talk, kein hin & her.

Carr sagt: Es ist leicht, mit dem Rauchen aufzuhören. Man muß sich nur klar machen,

Zigaretten sind keine Genußmittel, die entspannen oder gar Energie geben. All diese Empfindungen stellen sich lediglich ein, weil die Entzugserscheinungen, die seit der vorherigen Zigarette zunehmend auftreten, durch die nächste aufgehoben werden. Nach dem Motto: Wie schön, wenn der Schmerz nachläßt! Wer diese Tatsachen begreift, sagt Carr, kann sich aus der sich immer enger ziehenden Kette der zwanghaft aufeinanderfolgenden Zigaretten befreien. LEICHT!

Allerdings: Auch '97 hab ich Carr gelesen. War begeistert, überzeugt, hoch motiviert - und nach 6 Wochen wieder die Zigaretten, warum nur? Vergangen ist vorbei, vielleicht denk ich später mal darüber nach.

Jetzt kümmere ich mich um jetzt - und dieses interessante Gefühl in jeder einzelnen Zelle. So eine ungewohnte Präsenz, eine spezielle Lebendigkeit - wenn die grosse Schlaffheit ab und zu kurz von mir weicht, bekomme ich Lust, mich zu bewegen, etwas zu tun: aufräumen zum Beispiel, oder in der Küche etwas putzen. Welch komische Neigungen! Normalerweise interessiert mich das herzlich wenig und freie Zeit verbringe ich mit kreativen Arbeiten oder Mail-Kommunikation, immer am PC.

Claudia Klinger

 

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