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29:10:99 Schloss Gottesgabe im Herbst

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Nun wohne ich dreieinhalb Monate hier und bin jeden Tag aufs Neue entzückt und dankbar, hier leben zu können. Und nicht nur im Sommer und bei Sonne macht es Freude, nein, auch diesig-verhangene Tage, ganz allgemein das sich schnell verändernde Wetter, Nebel, Regen, das Absterben der Natur: es ist schön, das hautnah mitzubekommen, einfach raustreten zu können und mitten drin zu stehen.
 
In den letzten Tagen hab' ich mal wieder ein paar Bilder gemacht - nicht alle sind als Fotos so schön, daß sie es verdienten, "weltweit" präsentiert zu werden, nein. Aber ich zeige sie trotzdem, denn ich weiß, daß es zumindest einige Leser interessiert, wie man bloß so verrückt sein kann, die Metropole für das "hinterletzte Dorf" zu tauschen.
 
Schloß Gottesgabe ist dreieckig, eine seltene Anlage, die von den Freimaurern inspiriert sein soll ("Auge Gottes"). Die meisten Wohnungen erstrecken sich über Erdgeschoß und 1.Stockwerk, so daß man eher das Gefühl hat, in einem Haus zu wohnen, als in einer Mietwohnung. Das Dorf Gottesgabe besteht lediglich aus ein paar Straßen und Wegen, die südlich vom Schloß verlaufen - hier ein Bild aus dem Frühling, direkt von der Schloßtreppe aufgenommen. Geht man auf dieser Straße (derzeit eine Schlammpiste, da Leitungen verlegt werden) ca. 200 Meter weiter, erreicht man schon das Dorfende. Eine uralte Kopfsteinplasterallee führt weiter, praktisch garnicht befahren. Man sieht sie hier im Hintergrund der Baumreihe, die an der Straße nach Lützow (etwas weiter rechts) aufgenommen wurde. Auf beiden Straßen eröffenen sich praktisch sofort Blicke in endlose Weiten, die eine ganz besondere Wirkung haben, eine Leere, Weite, Freiheit, der man sich nicht entziehen kann. Da verschwindet alles Denken & Grübeln zugunsten der Empfindung von Offenheit, die keineswegs auf die Landschaft beschränkt bleibt.
 
Das Schloß ist von vorne ein hübscher Anblick, doch nicht wirklich GROSS, eigentlich ist es eher ein kleines Gutshaus als ein Schloß. Es dauert, bis man innerlich realisiert hat, daß dieses Haus eben KEINE vier Seiten hat, sondern lediglich die "Rückseite" zur Schloßwiese hin, (die aus meinem Nordfenster heraus SO aussieht) und die Ostfront. Das erste Fenster rechts oben ist mein Ostfenster, von dem aus der Blick nach rechts den Weg in Richtung Vorderseite zeigt.
 
Die Schloßwiese endet mit einem kleinen Wäldchen, nach Nordosten hin fällt das Gelände ab zum Garten hin, der schwer verwildert war, als wir hergezogen sind. Da die Kamera die Fotos ungeheuer verflacht, bringen Gartenbilder nichts als viel Grün und Gestrüpp - vielleicht ein andermal, wenn ich mal wieder die Gebrauchanweisung zu lesen bereit bin :-).
 
Es wundert, daß derzeit zwei Wohnungen im Schloß leer stehen, denn die Lebensqualität ist einfach toll, auch verglichen mit dem Dasein im typischen abgezirkelten Eigenheim mit minimalem Garten und dem Dicht-an-dicht mit den Nachbarn. Das Schloßgelände bildet eine gänzlich vom Dorf abgeschiedene Enklave, ohne daß hierfür Mauern und Zäune nötig wären. Vor allem die nach hinten liegenden Wohnungen sind extrem ruhig, doch auch vorne führt keine Autostraße am Schloß vorbei. Sie wurde entwidmet und lediglich Fußgänger und Radfahrer finden gelegentlich den Weg ums Rondell.
Nach Schwerin sind es gerade mal 10 Auto-Minuten, der "Lust auf Stadt" kann man jederzeit nachgehen. Die Wohnungen sind sämtlich voll modernisiert und die Mieten wirklich moderat. Trotzdem findet eine Mieterfluktuation statt, die schlicht daran liegt, daß die Leute ihrer Arbeit hinterherziehen müssen. Man muß heute flexibel sein, was den Wohnort angeht. Außer, man arbeitet übers Netz!
 
Wer mag, kann sich ein paar Bilder im Zusammenhang ansehen, einfach auf das Foto klicken, dann geht es weiter!
 
 

27:10:99 Sag mir nicht, wo's lang geht!
 
Wer hier öfter reinsieht, weiß: ich liebe das Web! Es ist wunderbar, Erlebnisse und Gedanken einfach ins Netz zu schreiben, ohne Themenvorgabe, Marktzwang, Zeilenbegrenzung, Zielgruppendenken. So schreibe ich in ruhigen Stunden dieses Diary: an mich selbst, als "alle", an den unbekannten Gott.
 
Es freut mich, wenn jemand sich angesprochen fühlt und eine Mail schreibt - meistens! Selbst die typische "Lob-Mail", in der nur steht: "Toll deine Seiten, weiter so", aus der ich also nicht erfahre, WER da lobt, WARUM er lobt, und WAS er lobt (schließlich hab' ich hunderte Seiten im Web!), ist doch ein Zeichen, daß ein gewisser Erregungszustand aufgekommen ist, der ein positives Ausagieren verlangte, und sei diese Reaktion auch noch so nichtssagend.
 
Am besten gefallen mir Feedbacks, in denen jemand bereit ist, etwas von sich zu zeigen. Selbstverständlich steht ein Name unter solchen Mails, manchmal eine Homepageadresse, der Schreiber sagt, WAS ihn angeregt hat und erzählt, wie er Vergleichbares erlebt. Das ist Kommunikation, wie ich sie mag, gemeint als Anfang eines vielleicht längeren Gesprächs, eine Kontakt-Aufnahme im besten Sinne, wie sie SO nur das Netz möglich macht. Manchmal entstehen aus solchen Kontakten gemeinsame Aktivitäten und Projekte, ich finde SO Mitarbeiter, denen ich traue, und mancher wird über die Zeit zum Freund.
 
Doch solche Mails sind eher selten. Häufiger bewerben sich "Gurus" bei mir, die zum Einstand sehr konkretisiert loben (Zucker fürs Ego), dann aber gleich zur Sache kommen, z.B. so:

Kommunikation ist Deine Stärke. Dies ist ein wichtiger Faktor um zufrieden leben zu können. Doch die Zeit eilt dahin und der Wind wird wehen wenn wir längst nicht mehr sind.......... Es stellt sich die Frage, weshalb und wozu und warum leben wir? Liebe Claudia wir leben nicht umsonst und nicht ohne Grund....Soll ich Dir im Laufe der Jahre mehr verraten?!

Bitte bitte nicht! Und nicht nur deshalb nicht, weil auf des Schreibers Homepage gerade mal drei Buttons und null Text zu finden sind. Sondern ich frage mich ernsthaft: Was treibt diese Leute um? Wie kommen sie nur auf die Idee, ich hätte gerade darauf gewartet, mir von jemandem "Grund zum Leben" liefern zu lassen, als wär's die Pizza vom Italiener?
Er will mir etwas "verraten", von dem er annimmt, ich könne es brauchen - und er glaubt allen Ernstes, er könne es mir einfach 'rüber rücken in seiner unendlichen Großzügigkeit!
 
Warum ärgert mich sowas? Warum ignoriere ich es nicht einfach wie die vielen "10.000 Dollar for free"-Mails? Erstmal natürlich die Tatsache, daß jemand das Podest gleich mitbringt, von dem herab er dann mit mir kommunizieren will. ("Soll ich mal meine Podeste aus dem Keller holen und aufeinander stapeln?" schlägt MEIN Ego begeistert vor und wittert Morgenluft...). Doch mehr als das nervt es mich, wie solche Gurus-ohne-Demand mit spirituellen Inhalten umgehen. Als würden sie ein Software-Update empfehlen, als wären die tiefsten Lebensfragen durch einfachen Info-Input zu beantworten, als könne da ein "Wissender" einem "Unwissenden" so locker helfen, raten, gar etwas ver-raten!
 
Genug! Zum Schluß dieser für dieses Diary recht ungewohnten Lästerei will ich Euch, liebe Leser, die Ihr bis hierhin ausgehalten habt, mein größtes Geheimnis verraten:

Wir leben grundlos - ganz UMSONST.
Wären sich alle dessen in jedem Augenblick bewußt, wäre das Leben ein Fest.


Wer übrigens wirklich "einschlägigen" Input mit Hand&Fuß sucht, ist z.B. mit der Wirkgilde gut bedient. Mit manchem, was der Autor schreibt, bin ich völlig uneins, aber darauf kommt es nicht an. Insgesamt zeigen diese Seiten eine Echtheit des Bemühens, eine klare und stellenweise brilliante Sprache - und sogar ein Blick auf das "Real Life" in all seiner Unvollkommenheit wird gestattet. Wo, das verrate ich nicht.

 
 

23:10:99 Ausflug ins Real Life?
 
"Real Life ist auch nur ein Fenster unter mehreren - und nicht einmal mein Bestes!" WER diesen denkwürdigen Satz gesagt hat, ist mir entfallen, doch ich erinnere mich noch gut, daß er 1996 euphorisch durch die Drähte geflüstert wurde. Der NetHype schwappte gerade von USA herüber: virtuelle Welten, der Cyberspace, neue, unendliche Weiten öffneten sich der Eroberung und wer schon einen Anschluß hatte, gehörte zur Avantgarde. Alle waren nett zueinander!
 
So lautstark der Hype, so heftig der folgende Absturz: Spätestens ab 1998 sollte das Netz vor allem NÜTZLICH sein. Sämtliche Utopien und Denkmodelle über veränderte Realitäten, Beziehungen und Gemeinschaften wurden jetzt belächelt, als Kopfgeburten abgedrehter Philosophen oder Rechtfertigungstiraden sozial gestörter Netzfreaks abgetan. Und der Ton ist rauher geworden.
 
Was ist denn nun von alledem real? Wirklichkeit ist das, was wirkt. Und mir scheint, schleichend entfalten sich die Wirkungen, die dereinst in den Kindertagen des Netzes von einigen wenigen erlebt und ausgesprochen wurden. Über das "reale Leben", wie es einmal war, schiebt sich eine ebenso reale Dimension netzvermittelter Kommunikation, die sich anschickt, für jeden erlebbar Raum und Zeit zu transzendieren. Alles ist mit allem, jeder mit jedem, zu jeder Zeit an jedem Ort verbunden - potenziell, versteht sich. Nur dann, wenn man es wünscht!
 
Auf meiner 1-wöchigen Reise nach Wiesbaden und Essen besuchte ich erst meine Schwestern und dann einen Freund und Kollegen, mit dem ich gerade ein Webprojekt plane. Vor zwei Monaten erst ist meine Schwester Doris (hallo Doris!) mittels eines eigenen Netzanschlusses aus der physischen Ferne "aufgetaucht". Sie meldete sich per Mail, guckt jetzt ab und zu in dieses Diary und kann im Web surfen. Das führte dazu, daß meine Mutter sie besuchte, um von ihrem PC aus mal www.schloss-gottesgabe.de anzusehen. Sie will ja wissen, wie ich wohne....
 
Doris ist für mich jetzt anders DA als vorher. Sie war "draußen", nun ist sie im Netz, dort, wo ich (unter anderem) auch bin, dort, wo ich wesentlich lebe und arbeite, wo meine Webseiten stehen und wo ich Mitglied in verschiedenen Communities bin, kleine Öffentlichkeiten, die man miteinander teilen kann wie früher das physische Umfeld desselben Dorfs.
 
In solchen Öffentlichkeiten lerne ich auch neue Leute kennen, Menschen mit ähnlichen Interessen, die zu Freunden und/oder Kollegen werden. Sie sind mir lange schon vertraut, wenn ich sie zum ersten Mal "real" sehe, mit ihnen f2f (face to face) zusammen komme. Und tatsächlich bringt so ein Life-Kontakt immer ein MEHR an Input mit sich, so daß man denken könnte, dies sei nun REALER, wirklicher als das netzkommunikative Zusammensein. Mimik und Gestik, spontane Reaktionen, das Erleben, wann jemand müde wird, was er gern ißt und trinkt - all dies kommt per Mail nicht 'rüber.
 
Michael, den ich gerade besuchte, nennt den f2f-Kontakt "ganzheitlicher" (hi Michael!) - ich bin mir da nicht so sicher. Klar, man gewinnt die oben angeführten Aspekte hinzu, aber: einige verliert man auch! Denn: bin ich weniger wirklich, wenn ich mich per Mail und Website in einer überlegteren Art zum selbst gewählten Zeitpunkt mitteile? Und wenn ich im Netz Haltungen und Seinsweisen ausexperimentiere, die vielleicht lebenswirklich (noch?) keine Entsprechung haben - ist nicht auch dies ein realer Teil von mir? Ein "virtueller" Teil, meinetwegen, aber doch ganz real, im Sinne von wirklich vorhanden, Wirkungen entfaltend!
 
Ich kenne Menschen, die eine ausschweifende und sehr klar konturierte Cyber-Existenz führen. Trifft man sie "real", ist davon kaum etwas zu spüren. Und doch: das ist nicht etwa eine Lüge oder eine Verkleidung! Sondern das, was vor Kurzem noch im Innenraum der Psyche und des Geistes verblieben wäre, was allenfalls in abstrahierter Form und ohne kommunikative Wirkung den Büchermarkt bereichert hätte, all das hat jetzt im Netz ein "Lebensfeld" gewonnen, einen Raum, in dem es für andere sicht- und erlebbar wird.
 
Widersprüchlichkeiten, die aufmerksame Menschen an sich selbst immer schon feststellen konnten, werden so nach außen in den kommunikativen Raum verlagert. Das große Spiel des Netzes ist nicht, wie viele Neulinge (und netzferne Wissenschaftler) meinen, das Spiel mit bewußt angenommenen Pseudo-Identitäten - sondern das Wagnis, die Vielen, die wir immer schon sind, auch zu zeigen.
 
 

14:10:99 Eine kurze Reise
 
Heute fahr' ich zu meiner Family nach Wiesbaden (Mutter, Schwestern, Familie und WG der Schwestern). Es wird erfahrungsgemäß eine stressige aber fröhliche Unternehmung. Ich freu' mich drauf, es ist eine wunderbare Abwechslung vom Leben vor dem Monitor. Montag geht's dann weiter nach Essen, zu einem Freund und Kollegen, mit dem ich ein Projekt entwickle: etwas NÜTZLICHES! Was, das verrate ich noch nicht!
 
Am 21. abends bin ich zurück.
 
 

11:10:99 Oh diese Gegenstände!
 
Gegenstände sind Objekte, die sich mir entgegen stellen, ja, entgegen werfen, in ihrer harten Materialität nicht mit sich reden lassen - und allzu oft sind sie plötzlich weg!

Immer schon war ich etwas schusselig in Bezug auf die konkrete Dingwelt. Merke mir nicht, wo ich etwas hingelegt habe. Ich suche nach dem Feuerzeug, nach der Rechnung von Christine, nach meinen Hausschuhen, dem Autoschlüssel, dem Stadtplan, dem KFZ-Schein und sogar nach meinem Schlüssel, obwohl ich den - im Prinzip! - mittels Kette und Karabinerhaken an der Handtasche befestigt trage, für alle Fälle.
 
Daß es bei mir meistens recht aufgeräumt ist, geradezu "transparent", daß ich nicht mehr viele Bücher horte und praktisch NIEMALS irgendwelchen netten Nippes kaufe, daß ich weder alte Klamotten in Schränken staue, noch Schachteln voller "Erinnerungsmaterial" stapele - all das ist nicht so sehr eine Tugend, als vielmehr ein "Work-around" um die Welt der Gegenstände. Macht sich natürlich besser als "Ästhetik der Leere"... :-)
 
Heute jedenfalls war meine Kontokarte weg, als ich für eine Reise Geld abheben wollte. Beim suchen stellte ich fest, daß auch das Sparbuch fehlt (noch immer traue ich mich nicht an innovativere Formen der Geldanlage). Kein Grund, panisch zu werden, sooo viel ist da nicht drauf! Äußerste Konzentration auf "Wo hab' ich das zum letzten Mal gesehen?" brachte das Sparbuch wieder zu Tage: noch von der letzten Reise steckte es in der ansonsten leeren Reisetasche. Auch die Kontokarte fand sich wieder am Ort der letzten Nutzung: beim Edeka-Händler im 5 Kilometer entfernten Lützow, der auch die nächste Poststelle hat, wo ich ab und zu Geld abhebe.
 
Für mich wäre es eine Erlösung, wenn die Karten endlich durch Fingerabdruck oder Iris-Scan abgelöst würden - einschließlich der Schlüssel für Auto und Wohnung, der verschiedenen Ausweise, der Passwörter und Geheimzahlen. Die Landkarten und Stadtpläne werden durch Satellitenortung überflüsssig, so werde ich im physischen Raum jederzeit wissen, wo ich bin und wo es lang geht. Und mein Kühlschrank mailt mir in den Supermarkt, was fehlt, denn einkaufen will ich schon noch selbst.
 
Das Industriezeitalter war die Zeit, in der die körperliche Arbeit, die physischen menschlichen Fähigkeiten wie Kraft, Ausdauer, Geschicklichkeit von der Maschine übernommen wurden. Und was mensch nicht mehr braucht, verliert sich, wird zumindest in den Hobbybereich oder in ein Spezialistentum geschoben, etwa zu den Do-It-Yourselfern, Sportlern, Bodybuildern, Hobby-Gärtnern und in die Töpferkurse. Zum Überleben in der Gesellschaft waren auf einmal andere Fähigkeiten wichtig: allen voraus das WISSEN.
 
Während vor langer Zeit der STÄRKSTE die MACHT hatte, ging das Herrschen schon bald an die Wissenden, an die Schlauen, an diejenigen, die Diplomatie und Kriegskunst und vielerlei andere sich entwickelnde Schlauheiten mit links bewältigten. Nur noch für die Subalternen war Körperkraft wichtig - und ging schließlich ganz an die Maschinen.
 
Heute ist Informationszeitalter: "Wissensgesellschaft". Das ist die Zeit, in der das Wissen an die Maschinen geht. Alles, was der zweckrationale Verstand jemals analysiert und zusammengetragen hat, wandert ins Netz, steht jederzeit an jedem Ort zur Verfügung. Ich bin mir sicher, der Verlauf wird ähnlich sein: wir werden DIESE ART Wissen verlieren, weil wir es im Alltag immer weniger brauchen. Was WO ist, was WAS ist, was WIE funktioniert - all das wird uns geflüstert werden, wann immer wir es brauchen. Und ich male mir aus, wie es wohl sein wird.... und denke darüber nach, welche NEUE Fähigkeit an die Stelle der Verständigkeit treten wird, aus der heraus die Welt 'beherrscht' werden wird - oder wird auch der 'Wille zur Macht' verschwinden? Wohl kaum...
 
 

08:10:99 Spielzeit und Herbstwinde
 
Freie Zeit! Mir kommt es vor, als wäre es Jahre her, daß ich das zum letzten Mal hatte - wie jetzt. Zwar liegen noch Nacharbeiten zum aktuellen Auftrag an, aber der Druck ist raus. Und ganz langsam merken die einzelnen Bestandteile, aus denen sich ein Mensch zusammensetzt, daß es jetzt wieder lockerer zugeht - komisch, daß das bis zu zwei, vielleicht drei Tagen dauert.
 
Endlich kann ich wieder in meiner Lieblingsliste Netzliteratur mailen, habe Zeit, um mit unserem Freund und Vermieter Wolfgang die Website für Schloß Gottesgabe zu planen und verbringe Stunden damit, endlich Dreamweaver zu lernen (der einzig wahre WYSIWYG-Editor, der eine alte Code-Hackerin nicht beleidigt!).
 
Auch, daß es ein DRAUSSEN gibt, nehme ich mit neuer Freude wahr. Selbst jetzt, im hereinbrechenden Herbst, ist das Land ein berührendes Erlebnis: heftige Windböen, rauschende Bäume, spektakuläre Wolkenformationen, Sonnenlicht, das plötzlich durch einen verhangenen Himmel auf Felder im Frühnebel durchscheint. Und wenn es regnet, prasselt es auf das durchsichtige Hartplastikdach des Lichthofs in meiner Diele, worüber ich mich jedesmal freue wie ein Kind. Es ist, als wäre man im Zelt - nur ohne die damit einhergehende Unbequemlichkeit und Beengtheit.
 
Und die Luft! Der Geruch von Erde und Wasser, diese belebende Frische, auf die ich jahrzehntelang zugunsten der dreckigen, verbrauchten und allermeist auch stinkenden Stadtluft verzichtete! Das kann ich mir jetzt gar nicht mehr vorstellen. Als ich das letzte Mal nach Berlin fuhr, hatte ich zwei Stunden Kopfschmerzen. Dann erst war ich 'eingewöhnt' und merkte nicht mehr, was für einen Smog man dort atmet.
 
Die Wildgänse ziehen jetzt los und fliegen in römisch anmutender Pfeilspitzen-Formation in die Ferne - und für mich beginnt die lange herbeigesehnte "Spielzeit": endlich kann ich gegenüber der Welt wieder aktiv werden, neue (eigene!) Projekte spinnen, Vorhaben realisieren, Kontakte erneuern bzw. anknüpfen. Ich fühle mich, als wäre ich etliche Kilo leichter, ja, die eigene Initiative, das Aufbrechen zu Neuem, ist für mich DER erotische Aspekt der Welt, auf den ich nur ungern und nur kurzzeitig verzichten mag. Die Herbststürme haben etwas Wildes und sind eine schöne Begleitmusik.
 
Später dann, im November, Dezember, wird alles sehr still - aussen und innen. In der tiefsten Nacht, am 23.Dezember, wollen wir ein großes Feuer anzünden. Ich liebe Feuer!
 
Es stehen hier übrigens bald drei Wohnungen zur Vermietung - wär' gar nicht schlecht, wenn andere Netz-Werker hierher kämen. Leute, die in ihrer Arbeit an den konkreten Raum gebunden sind, fluktuieren in diesen 'flexiblen' Zeiten doch sehr starkt. Befristete Arbeit heisst oft auch befristetes Wohnen - ich hätte es gern etwas weniger dynamisch in diesem schönen Schloß.
 
 

07:10:99 Done!
 
Der Schmerz läßt nach - wunderbar! Die extreme Belastung der letzten drei Wochen ist zu Ende: webben von morgens 7 bis abends um 11 ist wirklich nicht das, was ich dauernd tun könnte.
 
Natürlich wird es noch Nacharbeiten geben, eine Uni-Homepage mit unzähligen Seiten und kaum überschaubarer Verzeichnisstruktur ist nicht so einfach "fertig" zu bekommen. Egal, HEUTE ist der Termin, an dem der 'oberste Auftraggeber' seinen Blick drauf wirft - der Stress ist damit raus.
 
Begeistert klicke ich wieder mal auf das Verzeichnis "eigene Seiten" - eine Gegend meiner Festplatte, die schon drohte, zu unbekanntem Gebiet zu werden, vergessene Cluster, Datenartefakte aus ferner, paradisischer Vergangenheit.
 
Eine seltsame Erfahrung bei solchen, zum Glück sehr seltenen Stress-Einsätzen, ist die bewusste Selbstbeschädigung, die damit einhergeht. Ich weiß genau, dass es mein Befinden verschlechtert, zu lange in schlechter Haltung auf dem Stuhl zu sitzen - phasenweise spüre ich aufmerksam den sich ergebenden Verspannungen nach, tue jedoch nichts dagegen. Einmal ums Haus laufen, ein paar Übungen, ich müßte garnicht viel machen, um die Befindlichkeit deutlich zu verbesser. Doch genau das tue ich nicht, verharre total unvernünftig im sich verstärkenden körperlichen Leiden, Augen zu und durch....
 
Warum? Ich vermute, daß ich garnicht WILL, daß es mir bei einer solchen Arbeit auch noch gut geht. In viel zu kurzer Zeit etwas eigentlich unmögliches schaffen - damit bin ich "im Prinzip" nicht einverstanden und will es also auch nicht unter Einsatz all meiner Lebenserfahrung "erträglicher" machen. Vielleicht ist da eine untergründige Angst: Wen ich das schaffen würde, müßte ich IMMER so arbeiten, dann spräche ja nichts mehr dagegen, die Produktivität des Alltags auf diese extreme Höhe zu treiben...
 
Und jetzt geh ich mal rund ums Schloß.....
 
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© 1996-2000 Claudia Klinger
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