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21:05:00 Arbeit - ein bißchen Autobio...

Für den 14.Juli bin ich nach Nürnberg eingeladen, zu einem "öffentlichen Gespräch" zum Thema Arbeit. (Das ist die Website des Projekts - eine nette Flash-Orgie!). Ich hab' die Einladung angenommen, weil es eines meiner bevorzugten Themen ist. Und wenn die meinen, ich könne da 'was beitragen....
 
Die "Einheit von Leben & Arbeiten" ist für Leute meiner Generation ein Ideal gewesen. Nicht in zwei verschiedenen Welten leben: von 9 bis 5 Büro-kompatibel gekleidet, mit entsprechender Sprache und einem angepaßten Verhaltensrepertoire, der Rest dann "Freizeit", in der man "abhängt" oder sich irgendwie auslebt, meist durch reine Konsum-Aktivitäten. "Tu nichts, wofür du andere Kleider anziehen mußt!" war seit je mein Leitspruch und mit Ausnahme einiger Kurzjobs in Behörden rund ums Abi und Studium hab' ich das auch durchgezogen.
 
Nichts ist so lehrreich, wie kompromißlos die eigenen Vorstellungen zu verwirklichen. Am Ziel meiner Wünsche mußte ich schmerzhaft erfahren, daß ich praktisch auf dem Zahnfleisch ging. Nicht gleich, (die Begeisterung trägt Mitte 20 weit), aber nach ein paar Jahren. Rund um die Uhr "in meinen Funktionen" tätig, hatte ich gar kein eigenes Leben mehr, keine Freunde jenseits der Arbeit und auch nichts, was mir Ausgleich & Entspannung ermöglicht hätte. (Dafür war alles wahnsinnig SPANNEND! Und ich fühlte mich ja so WICHTIG, geradezu UNERSETZLICH!) Mitte 30 war ich am Ende. Mein Ideal war durch seine Verwirklichung in Grund und Boden gestampft worden - und ich mit.
 
Ein paar Jahre Nichts-Tun folgten. Während der letzten Aktivität hatte ich mir durch eine halbjährige Festanstellung vorausschauend "unbefristete Arbeitslosenhilfe" gesichert. Damit ging ich praktisch in Rente, ratlos, wie ich die Arbeitswelt noch einmal betreten sollte, ohne mir derart die Finger zu verbrennen. "Entfremdete Arbeit" kam natürlich nach wie vor nicht in Frage.
 
Das Herumhängen und In-die-Toscana-fahren ist nun auch kein Leben, das sich auf Dauer leben läßt, nicht für mich, die ich eher an zuviel als zuwenig Tatendrang "leide". Auf einmal entdeckte ich, dass COMPUTER plötzlich in aller Munde waren und begann, neugierig das Fachblatt CHIP zu lesen. Und ein Jahr später, als ich schon dauernd überlegte, wie ich der Sache näher treten könnte, bot sich die Möglichkeit einer Umschulung/Weiterbildung zur "EDV-Fachkraft". Das war's!
 
Ab jetzt lebte ich "in Symbiose" mit dem Gerät und entdeckte jeden Tag neue Welten der Kreativität. Das Arbeitsamt zitierte mich nach Abschluß der Umschulung eiligst an die ABM-Front: Umweltprojekte managen. Und, tatendurstig wie ich war, wurde ich schon bald als Projektleiterin "fest angestellt". Himmel, das war es doch, was ich nie wollte! Von 9 bis 5 war es jetzt mein Job, den seltenen Funken des Engagements in meinen Kollegen zu entzünden. Und daneben die Kampagnen zu organisieren, an den Anträgen auf Förderungsgelder mitzuschreiben - naja, war eine Zeit lang richtig spannend, aber nach zweieinhalb Jahren gab es auf dieser Schiene nichts mehr Neues.
 
1995 dann, als im Berliner Haus der Kulturen für 4 Wochen ein "Internet-Cafe" eröffnete, war ich zum ersten mal mit einem ans Netz angeschlossenen PC alleine. 10 Minuten, und es war um mich geschehen. Zwar zeigte der Bildschirm Seiten zur Reichstagsverpackung durch Christo, die gerade lief - doch ein paar Mausklicks brachten mich ins weite Web: Ich war erschüttert! Es war das, was ich nie für möglich gehalten hätte: das finale Fenster zur Welt, die Lizenz zum Kontakt, die Möglichkeit, ohne jede Einschränkung den eigenen Impulsen zu folgen, weit hinaus über alles, was bisher als "Arbeit" oder "Freizeit" möglich & machbar gewesen war.
 
Ich verließ meinen BAT-2-Job. Das Arbeitslosengeld hat gut gereicht, um mir eine intensive Zeit des Lernens im Netz zu gestatten. Schon bald konnte ich der "Stütze" ade sagen und von Aufträgen leben, für die ich mich jetzt erst recht nicht 'anders kleide'. Mit Leuten arbeiten, die mir symphatisch sind und die ich nicht erst "motivieren" muß! Fast meine sämtlichen Arbeitskontakte sind aus nonkommerziellen Netz-Aktivitäten entstanden und das entwickle ich jetzt selber weiter, binde auch gern Freunde, die ich "nur so" kennen & schätzen lerne, in Brot-Projekte ein. Es ermöglicht eine optimale Verbindung des Angenehmen mit dem Nützlichen, denn das menschliche Bedürfnis nach Kontinuität, Berechenbarkeit und "Historie" bekommt so seinen korrekten Ort: Im "Reich der Notwendigkeit" und nicht in dem der Freiheit, in dem allein das Treffen mit dem ANDEREN sein Faszinosum behält.
 
Freizeit? Hätte ich früher nicht mal dran gedacht, doch jetzt gewinnt sie zunehmend Bedeutung. Oberstes Gebot meines "Wohnens am Arbeitsplatz" ist sowieso, psychisch-mental nicht mehr in echten Stress zu geraten. Stress ist, zu glauben, die Welt falle ein, wenn ein Gif auf der Website flackert oder wenn der Auftraggeber etwas nicht schön findet und Änderungen vorschlägt, die jedem NetKnowHow widersprechen. Stress ist, sich die Angelegenheiten anderer weit über den konkreten Auftrag hinaus zu eigen zu machen und vor allem das Bedürfnis, überall als die Kompetente und auch mit 40 Fieber noch als Immer-Zuverlässige da stehen zu wollen. Stress bringt auch das Unvermögen, die eigenen Gedanken dem aktuell gewählten Verhalten anzupassen: wenn ich "Freizeit" lebe, dann bringt es niemandem etwas, wenn ich dabei ein schlechtes Gewissen schiebe, im Gegenteil, ich mindere dadurch ihren Erholungswert und schade mir und meinen Auftraggebern.
 
Yoga hat mir unendlich geholfen, die automatische Verschränkung von Gedanken, Gefühlen und körperlichem Befinden zu durchblicken, und diesen Automatismus, der z.B. Stress fühlen läßt, durchbrechen zu lernen. Aber das ist eine andere Geschichte.... (siehe auch: Entspannung - mein Gott, hab' ich damals noch viele Worte gemacht..! Heute würde ich das anders schreiben).

 

19:05:00 Symbiose

Noch 3 Tage.... Am Montag wird der "Stress" vorbei sein, Becontent.de geht online und wird 500.000 Mark unters kreative Volk streuen. Und ICH werde die Seele baumeln lassen, ein paar Tage nur für die allernötigsten Nacharbeiten zur Verfügung stehen und ansonsten nur ZWECKLOSE Dinge tun, die mir Freude machen.
 
Streß schreibe ich in Anführungszeichen, da ich Stress lange schon nicht mehr so spüre wie früher, so als inneres Nagen und Ziehen auf einem Untergrund von Angst und Ehrgeiz, vebunden mit körperlichen Verspannungen, die man nicht mehr bewußt wahrnimmt, obwohl sie die Befindlichkeit dramatisch verschlechtern. Es gehört zu den Vorteilen des Älter-werdens, daß DAS verschwindet, man glaubt nicht mehr, daß die Welt einfällt, wenn irgend etwas nicht klappt und hängt nicht mehr völlig ausgeliefert an den Bewertungen, die von AUSSEN kommen, von Chefs, Kollegen, vom Publikum, von wem auch immer. Ich tue, was ich kann, gebe mein Bestes - mehr ist nicht drin, das muß reichen.
 
Als ich heute Morgen den PC einschaltete (nachts mach ich ihn immerhin noch aus!), dröhnte er wie ein Staubsauger. Sowas hätte mich dereinst in Panik versetzt, jetzt hoffte ich nur einfach, er werde sich wieder beruhigen und ging erstmal Müll ausleeren. Und tatsächlich, jetzt ist er wieder ruhig wie ein Schaf. Es war der Lüfter, den ich demnächst wohl austauschen lassen werde - für jetzt bin ich froh, daß ich aktuell nicht im Lärm arbeiten muß oder irgend etwas auf die Schnelle organisieren, schließlich liegt noch einiges an bis Montag.
 
Mehr und mehr lebe ich mit dem Netz in Symbiose. Das wird mir sehr bewußt, wenn ich wahrnehme, wie andere mit dem Computer und dem Internet umgehen. Sie schalten zu bestimmten Zwecken ein, arbeiten die Pflicht ab und machen wieder aus. Oft ist für sie das Ganze nur ein kompliziertes Gerät, daß mensch heute leider zum arbeiten braucht - und das Netz nehmen sie als Shopping-Mall oder Entertainment wahr, eben so, wie es in den meisten Medien angepriesen wird.
 
Für mich dagegen ist der Monitor das Tor zur Welt, zur GESELLSCHAFT, an der ich als aktive Bürgerin teilhabe - nicht in langweiligen Politikzirkeln, sondern frei schwebend, mal diese, mal jene Community aufsuchend, hier und dort an Gesprächen teilnehmend, mit Menschen in Kontakt tretend, die ich im "realen Leben" nie und nimmer getroffen hätte.
 
Früher habe ich es z.B: gehaßt, für mehrere Stunden eine langweilige Arbeit tun zu müssen und nichts sonst - andrerseits dann die FREIZEIT, wo man "am Stück" allerlei Unterhaltsames konsumiert oder ins Werk setzt, Himmel, wie unorganisch! Fern der lebendigen Realität! Wie oft saß ich schon in einer Veranstaltung und dachte an meine aktuelle Arbeit, die mir viel spannender erschien als das, was auf der Bühne vorging. Und oft arbeitete ich "konzentriert" an einer Sache, doch im Kopf entstanden schon Bilder und Texte, die damit gar nichts zu tun hatten - ganz zu schweigen von den Kommunikationsbedürfnisen, die von Augenblick zu Augenblick auftauchen, ganz wie es ihnen beliebt.
 
Heute kann ich alles haben, gleich hier & jetzt. Eine Stunde ununterbrochenes Herumbosseln an einer Website ist schon viel, dann rufe ich Mail ab, schreibe vielleicht selbst eine kurze Botschaft oder lösche zumindest ein wenig Müll aus der Box. Schaue vielleicht in die Liste Netzliteratur und registriere, was dort gerade Thema ist, besuche evtl. noch ein Webboard, auf dem ich gelegentlich schreibe und schaue nach, ob neue Antworten gekommen sind. Neue Ufer, neue Ziele im Web erreiche ich durch Infos aus interessanten Newslettern, Tips in Mailinglisten oder auch durch chaotisches Surfen: irgendwelche Worte in Suchmaschinen eingeben, sehen, was kommt. Oder durch Domain-Hopping: einfach einen Begriff oder einen Satz als URL eingeben, z.B. www.glaube-liebe-hoffnung.de/ oder www.tod.de - macht Spaß! Bloß nicht die ausgetretenen Pfade, die andere Medien vorzeichnen!
 
Und selbst mitten in der Arbeit: oft kommen Fragen auf, die ein kurzer Ausflug ins Netz beantwortet - ohne das wäre ich gar nicht mehr arbeitsfähig. Selbst wenn ich weiß, daß irgendwo auf meiner Festplatte die Info liegen muß, oder sie im Regal im Stapel Magazine zu finden wäre: das Netz ist schneller, näher, aktueller, vor allem: dort sind überall Menschen hinter den "Inhalten" und das macht es viel spannender als die toten Informationsspeicher, die wir aus Vor-Netz-Zeiten gewohnt sind.

Gerade lese ich: Die Telekom-Flatrate kommt. Endlich. Unter 100 Mark und mit vielfacher ISDN-Geschwindigkeit - vermutlich mach ich dann garnicht mehr aus und schreibe - wie auch jetzt schon oft - direkt ins Web, nicht erst ins stille Kämmerlein eines Offline-PCs.
 
Nachteile? Gefahren? Jede Menge, doch war das Leben immer schon gefährlich. Die größte Gefahr ist, den Körper zu vergessen, nicht den Punkt zu bemerken, wo Ablenkung und Entspannung NICHT MEHR MITTELS DER MAUS geschehen kann, sondern körperliche Bewegung angesagt ist. Seit ich täglich Rad fahre, geht es mir viel besser. Ich spüre, wie die spontane Ablehnung jedweder körperlichen Anstrengung abnimmt und hüpfe fröhlich die Treppe rauf und 'runter. Jaaaaa, nach Montag werde ich sogar mal mit Freude aufräumen & putzen - REAL, nicht nur auf der Festplatte oder meinen Servern.... :-)

 

18:05:00 Multiple Ichs

21 Fotos rieselten heute früh in meine Mailbox - eine Auswahl der Portraits, die vor drei Wochen in einer Fotosession entstanden waren. "Du kannst dich nicht selber fotografieren", hatte der Fotograf gesagt, als ich von meinen Selbstbild-Versuchen mit der DigiCam berichtet hatte, "du mußt die Verantwortung für die Bilder abgeben".
 
Gut, er war witzig, "arbeitsbereit" und mir fremd genug, um es mich auszuprobieren zu lassen. Trotzdem ist es eine große Hürde, sich von jemandem derart intensiv ablichten zu lassen: schließlich entstehen dabei jede Menge grauenhafte Ansichten, die "außerhalb meiner Kontrolle" in die Welt kommen, zumindest ins Gedächtnis des Fotografen. Deshalb ist es gut, sowas mit einem Fremden zu machen, gegenüber dem sich noch nicht das Gefallen-Wollen oder eine bestimmte Message in den Vordergrund drängt. Im übrigen sind Kontrollverluste faszinierend, gerade für Leute mit starker Kontrolltendenz wie mich - und ich bin immer froh, wenn das auf nicht-destruktive Weise zu Tage tritt.
 
Ich packte die Bilder also in ein Verzeichnis, startete ein Album-Programm und ließ sie mir als Diashow vorspielen - dabei zum einen auf die Fotos achtend, zum anderen auf meine eigenen Reaktionen und Gefühle. Wow, was für Eindrücke! Die Frauen auf den Bildern sind beeindruckend verschieden. Manche kenne ich gut, andere sind mir weitgehend fremd - unabhängig davon, wie symphatisch oder unsymphatisch, schön oder häßlich sie aussehen.
 
Mehrfach wiederhole ich die Show - und langsam erkenne ich Verwandte. Mein Oma zum Beispiel, auf einigen Bildern bin ich ihr verdammt ähnlich - Mutter und Vater natürlich , aber auch meine Schwestern. Alle sind in diesen Gesichtern enthalten, machen einen Teil der Fremdheit aus. Einen weiteren Fremdheitsschub gewinnen die Fotos dadurch, daß meist EIN Aspekt das ganze Bild dominiert - ein Aspekt meiner selbst, denn ich ja im "realen Leben" niemals derart isoliert spüre: die Skeptische, die Ängstliche, die Nachdenkliche, die Verbitterte, die Mißtrauische, die Kampfbereite, die Größenwahnsinnige, die Liebenswürdige, die Zärtliche - die alte Frau, das Mädchen und nicht zuletzt der "Mann in mir".
 
Eine seltsame Erfahrung. Spannend, doch spürbar belastet dadurch, daß die explizite Beschäftigung mit dem "Ich" für mich etwas Sündiges hat. Das Gebot "Denk nicht an Dich, sondern an andere", sitzt immer noch tief, was nicht unbedingt heißt, daß ich dem auch entspreche.
 
Die Fotosession hat mich schon als bloßes Ereignis mit meinem vielfach gespaltenen Verhältnis zum "eignen Bild" konfrontiert - die Bilder erzählen einen Teil der Geschichte, warum das so ist. Ich habe nicht vor, da stehen zu bleiben. Es lockt mich, weiter in die Tiefe der Angelegenheit einzusteigen - zum einen möchte ich alle Aspekte, die mir die Bilder zeigen, kennen und im Bewußtsein tragen. Und andere Aspekte möchte ich schlicht verabschieden, sie sind das Ergebnis parzieller Verwahrlosungen, die durch Einseitigkeiten im Lebensstil entstehen. Deshalb nannte ich die Bilder kurz nach der Session auch "Abschiedsfotos" - nicht alles, aber einiges verändert sich. Real Life ist Bewegung, ein Glück!
 
Die Fotos mit den "Teilaspekten" werde ich nie ins Web stellen - allenfalls mal im Rahmen einer Kunst-Site, und dann noch viel weiter verändert, zeichenhaft umgeformt. Fotos im Web sind eben keine Infos, sondern Botschaften. Wenn ein Bild einfach nur die Message "Claudia Klinger" als Content aufweisst, wäre ein Anblick der Lunge von innen nur eine Teilwahrheit und als solche verzerrend.
 
Am "ganzheitlichsten" aus der ganzen Serie ist dieses Foto. Komisch, daß das auch der Fotograf gewußt hat, der es mit ck01.jpg betitelte. Sicher nicht, weil es als erstes aus der Tüte gefallen ist. (Ein wenig fremd ist es mir trotzdem noch...)

 

17:05:00 Hallo proxy.ision.net/NS4/WinNT/2000 !

Seit die Statistik hier direkt zugänglich ist, guck' ich öfter mal rein. Vor allem, wenn ich gerade in einer Mailingliste oder auf einem Webboard eine Message "mit URL" hinterlassen habe, was gar nicht so oft vorkommt. Interessiert mich schon, ob die Leute meiner Einladung folgen. Einige tun das tatsächlich, kommen aus einem ganz anderen Kontext und finden hier - wenn sie am selben Tag kommen - auch 'was zum erwarteten Thema. Nebenbei finden sie das - so nicht erwartete - Digital Diary: mit den hinterletzten Themen, hemmungslos (aber nicht SO hemmungslos, wie mancher sich das wünscht) querbeet durch "Subjects" und Stimmungen, sogar mit unterschiedlichen Weltanschauungen, die wohl mit dem Wetter wechseln. Muß irgendwie komisch sein.
 
Ich schätze, ein Drittel bis die Hälfte der täglichen Besucher sind Leute, die mich AUCH "real" kennen (also nicht etwa im "realen Leben" kennen gelernt haben). Netzkontakte, aus denen etwas geworden ist, mal mehr, mal weniger, zumindest: man liest sich.- Ein weiteres Drittel sind "reine" Netzkontakte, darunter etliche alte Bekannte, die schon seit 1996 aktiv sind, wie ich. Der Rest sind Fremde, "reine Leser", die es zufällig hierher verschlagen hat und die tatsächlich der Inhalte wegen kommen - oder warum auch immer, keine Ahnung!
 
Meine Schwester, seit längerem mit heimischem Netzzugang, schaut dagegen nur alle Ewigkeiten mal rein. Alte Freunde aus der netzlosen nahen und fernen Vergangenheit tauchen schon mal auf, melden aber nur: "Ich bin jetzt auch drin". Ist ja klar, das Netz knüft nicht von sich aus Beziehungen wieder an, die in der Aktualität der Beteiligten keine Bedeutung mehr haben (meine geliebte Schwester meine ich jetzt nicht - hallo Doris!).
 
Dafür liest einer meiner Nachbarn aus Schloß Gottesgabe mit, sagt er zumindest. Auch das ist seltsam, denn "real" sind wir hier zwar Nachbarn, die sich täglich physisch über den Weg laufen, aber doch einander ferner, als ich "hier" meinen Lesern bin, bzw. dem gedachten "allgemeinen Gesamtleser". Und doch fällt ihm bei aller Ferne sicher eher etwas ein, wenn ich hier vom "persönlichen Reformstau" rede, als manchem Langzeit-Diary-Leser. (Ich sagte ja: ich bin ein Hund...)
 
So staune ich täglich über die seltsamen Veränderungen, die vorgehen, indem das Netz zunehmend alle mit allen zusammenschaltet - virtuell zumindest. An der Oberfläche ist Getöse um E-Commerce und Konsum, Newcomer brauchen lange, bevor sie "das Netz erkennen", heute viel länger, als früher, als es noch kleiner war. Doch untergründig beginnen die Auswirkungen der Vernetzung alles zu verändern: Die Menschen, die Beziehungen, das Arbeiten, die Werte. Und nicht das Angebot an Information oder Unterhaltung ist dafür das Ausschlaggebende, sondern die Möglichkeit (und Erlaubnis!), auf neue Weise Kontakt aufzunehmen, ja, zunehmend in einer Kultur steten "Angeschlossen-Seins" zu leben.
 
 

15:05:00 Kunst, Können, Countdown

Noch sechs Tage, dann geht das Projekt online, für das ich derzeit hauptsächlich engagiert bin: Ein großer Publishing & Design-Wettbewerb im Web, mit Preisgeldern, die die Republik in diesem Bereich noch nicht gesehen hat. Ihr dürft gespannt sein.... (Schade, daß ich als Mitarbeiterin nicht teilnehmen kann!)
 
In der letzen Woche des Countdowns häufen sich natürlich die Probleme: Dinge, deren Entscheidung man verschoben hatte, müssen jetzt auf die Website, Arbeitsergebnisse aus verschiedensten Entwicklungsphasen müssen "vereinheitlicht", alles Technische muß tatsächlich zum "laufen" gebracht werden.... jede Menge Holz. Und alles per Mail und Telefon, nix Real Life, gemeinsames Büro oder so!
 
Wenn mir auch schon ein paar graue Haare deshalb gewachsen sind, so fühle ich mich doch, je näher der Termin rückt, umso ruhiger. Vermutlich, weil ich mir nicht jeden Stiefel anziehe, der da als Problem irgendwo noch ungeklärt herumliegt: WAS ist die Frage? WER hat das zu entscheiden/umzusetzen? Solange ich das klar erkennen und auch kommunizieren kann, geht es mir gut. Doch ist das nur der kleinere Part: Je vermeintlich "stressiger" das Ganze wird, desto mehr spüre ich die Notwendigkeit des Ausgleichs, die absolute Abhängigkeit meiner Konzentrations- und Arbeitsfähigkeit im professionellen Raum von der anderen Seite, meinen Just-for-Fun-Aktivitäten.
 
Manchmal frage ich mich schon: Was denkt sich wohl mein Auftraggeber, wenn er sieht, dass ich TROTZ ALLEM täglich Diary schreibe, ja, sogar regelmäßiger denn je? Oder mitten im Countdown Sonntags doch noch Seiten wie den TRAKTOR baue, hemmungsloses Herumspielen.....
 
Was immer er denkt: Es geht nicht anders. Wenn ich zum Nervenbündel werde, hat niemand was davon, auch das Projekt nicht. (Zudem hat er nicht meine GANZE Arbeitskraft gekauft, was ich niemandem gestatte). So, wie es jetzt läuft, geht es mir gut damit und meine Freude an der endlich fertig werdenden Website steigt gerade wieder an, so kurz vor Schluß.

 

14:05:00 Bilder-Rätsel

Mit der Digitalkamera schlenderte ich gestern zum Ortseingang, vorbei am "alten Schwein", das ich schon im letzten Jahr verwebbt hatte, entlang an den letzten Resten der LPG und dann ein wenig querfeldein. Mitten über den Acker, was nur möglich war, weil da zwei breite Furchen frei von Bewuchs geblieben waren.- Mecklenburg ist ja fast Geh-Wege-frei, müßt ihr wissen. Jeden halben Quadratmeter hat man ausgenutzt, um den Sozialismus aufzubauen und heute machen sie so weiter, denn die endlosen Felder ohne Baum und Hain, ohne Weg und Trampelpfad, sind für die EU-Landwirtschaft wie geschaffen, ja: vorn dran! Mit Spazierengehen ist hier also nicht viel, das ist sowieso eine Gewohnheit der Städter, wird mir langsam klar. Egal, manchmal will ich das Schloßgelände verlassen, z.B. gestern, auf der Jagd nach Bildern.
 
Ich mache nie Fotos von Festen, Events, Freunden und Bekannten. Diese Art des fotografischen Lebens hat mein Vater mir vorgelebt und es ist einer der Gründe, warum ich das fotografiert-werden hasse. Auch meine "engagierte Hobby-Phase" irgendwann in den 70gern war eher kurz. Es war mir zu langwierig, bis man zu den Bildern kam und was sollte man schon damit machen? Soviel Aufwand, bloß um Schachteln und Alben zu füllen? Ganz zu Schweigen von dem Aufwand, der anfängt, wenn es ans "dunkelkammern" geht.... Hab ich alles kurz genossen und dann ohne Trauer abgewählt.
 
Man fotografierte in dieser Szene ja auch nicht eigentlich, um ein Bild zu machen, sondern um zum fähigen und ideenreichen Amateuer-Fotografen aufzusteigen, Color-Foto-mäßig.... Das hat mich nicht gereizt, denn ich brauche die konkrete Lust beim Tun. Warum also so viel Geld ausgeben, jede Menge Technik lernen und Material verbrauchen?
 
Fotografie war für mich lange gestorben. Auch jetzt fühle ich mich nicht "fotografisch aktiv", wenn ich mit der DigiCam Bilder mache, ich MACHE sie ja nicht, wenn ich auf den Button klicke, sondern sammle sie nur. Das Machen kommt später, wenn ich sie im PC habe.
Als ich begann, Webseiten zu gestalten, hatte ich zum ersten Mal einen richtigen eigenen Bilderbedarf. Ich stillte ihn mit Scans aus Büchern und Magazinen und mehr und mehr durch Bilder aus dem Web. Auch eine Großpackung mit 26 CDs hab ich mal billig gekauft - und tatsächlich auch meine alten Fotos durchgeguckt (alles nicht verwendbar). Die zunehmenden Diskussionen ums Copyright schreckten mich nicht, da ich die Bilder immer sehr verändere und meine Nutzungen sowieso nonkommerziell waren. Und doch war es manchmal eine elende Suche, bis ich endlich ein Bild hatte, das nach meinem Geschmack, bzw. als Ausgangsmaterial brauchbar war.
Die DigiCam war die Lösung, sie bietet schon weit mehr Qualität, als ich fürs Web brauche. Ich kann schnell mal ein paar Bilder machen, die Speicherkarte rausnehmen, in einen Adapter schieben, ins Diskettenlaufwerk stecken und darauf zugreifen. Spontaner geht's nicht!
 
Und so nähere ich mich derzeit den Bildern, ohne zu wissen, was mich eigentlich fasziniert, ohne Vorhaben oder Projekt. Eher aus Unzufriedenheit am Text, als mit einer Hoffnung an die Bilder. Ich glaube nicht mehr an die Texte: man kann alles hinschreiben, was heißt das schon? Und so langsam weiß das jeder, die Texte werden also zwangsläufig immer bedeutungsloser.
 
Ich bin nicht traurig darüber, schließlich bleibt auch ein Individuum nicht an dem Punkt stehen, wo es denken gelernt hat. Wenn alles gedacht und gesagt, gefragt und beantwortet ist, bzw. sich als unbeantwortbar herausgestellt hat, warum dann noch schreiben?
 
In den letzten Wochen bin ich öfter mal in einen Bilderrausch versunken: Mit irgendwelchem Material begonnen und in Photoshop herumgespielt..... wenn sich dann etwas herauskristallisiert, möchte ich das natürlich in Gestalt von Webseiten ausbreiten. Die Produktions- und Konzeptions-Methoden beider Seiten fließen dann zusammen, bzw. sie könnten, wenn ich genug Zeit hätte. Denn auf der Bilderschiene bin ich noch so am Anfang, daß es voll ausreicht, sie auf schwarze Seiten zu stellen, per Klick hintereinander ansehbar. Es ist mir jetzt wichtiger, mich auf die Bilder einzulassen, als schickes Webdesign zu kreieren.
 
Schon jetzt ist klar: Das "in mich hineinlauschen" ist anders, wenn ich Bilder mache, als wenn ich schreibe. Es ist nicht-rational und deshalb ungewohnt - doch sehr angenehm, ja, spannend. Ein Experimentieren mit mir selbst: was ist es genau, das jeweils die Wahl bestimmt? Wie mache ich das?
Wenn ich z.B. ein Bildelement herumschiebe oder einen Ausschnitt suche, kommt irgendwann das Gefühl: Ja, SO!!!! Das Gegenteil ist sogar ganz deutlich als körperliches Unwohlsein spürbar, es gibt Formen und Verhältnisse, die mich schwerzen.
 
Warum nur ist mir diese ganze Dimension bei meinem Zimmer zum Beispiel ziemlich egal? (Mehr als 'guten ÜBerblick' verlange ich da nicht). Bis jetzt wenigstens, vielleicht ändert es sich ja, wenn ich mehr Zeit mit den Bildern verbringe.
 
Einige Bilder von gestern haben sich zur Website TRAKTOR verdichtet, ein paar Variationen und Experimente, nix Dolles... es war mir einfach ein großes Vergnügen.

 

13:05:00 Die Mutter aller Städte

Seit Wochen ist es hier so schön, daß es fast weh tut. Stahlblauer Himmel, ein explodierender Frühling, der jetzt in die satte, reife Phase wechselt. Alle Natur feiert ihr jährliches Fortpflanzungsfest und die Schnecken kriechen aus der Erde, um zu schauen, ob jemand mal wieder gewagt hat, einen Salat anzupflanzen, den sie sorfort verfrühstücken werden. Auch meine Intimfeinde, die Hornissen, sind schon schwer aktiv. Das unverwechselbar tiefe Brummen höre ich auf 10 Meter Entfernung, muß mir unbedingt ein Fliegengitter fürs Fenster besorgen, damit sie mich nicht wieder im Zimmer besuchen. Alte Feinde lernt man schätzen, denn sie lehren Dinge, die von Freunden nicht kommen können. Trotzdem will ich sie nicht allzu nah.
 
Ganz in der Nähe gibt es einen See, 10 Minuten mit dem Auto, halbe Stunde mit dem Rad. Ein Strand mitten im Wald, sogar mit einem Streifen Sand an der Wasserlinie, nur wenig Menschen. Wenn mir der Blick in den Monitor auf die Nerven geht, kann ich von jetzt auf gleich dorthin abhauen: ein bißchen Schwimmen, im Sand liegen - meine Güte, früher war all das so fern von meinem Metropolenalltag! In Berlin kostete es eineinhalb Stunden anstrengende Autofahrt durch übelsten Stadtverkehr, bis man auch nur die Stadtgrenze erreicht hatte. Dann nochmal solange "Suchfahrt", wenn man anderes im Sinn hatte, als sich an einem lauten, von Massen belagerten Strand von nassen Hunden bespritzen zu lassen. Wie konnte ich es nur 20 Jahre im Häusermeer aushalten, mit zwei Ausflügen nach DRAUSSEN pro Jahreszeit?
 
Klar, ich brauchte "das Soziale", war auf der Suche nach den "richtigen" Mitmenschen und nach Ereignissen, irgendwelchen besonderen Ereignissen, die die Stadt mit all ihren Möglichkeiten zu versprechen schien. Doch realistisch gesehen findet sich das Wunderbare an der Stadt nur in der Literatur und im Auge des Künstlers.
 
Als ich letzten Sommer endlich gehen konnte, hatte ich es schon jahrelang aufgegeben, ein Nachtleben zu führen oder großartig KULTUR zu konsumieren. Durch das Netz hatte sich zudem eine neue Welt erschlossen, in der ich einen großen Teil meiner Bedürfnisse nach Sozialität sehr viel besser leben kann als etwa mit den zufälligen Nachbarn in einem Gründerzeit-Altbau, oder mit den alten Freunden aus unterschiedlichen Zusammenhängen, mit denen ich Vergangenheit teile, aber nichts mehr sonst. Ganz besonders war mir das Menschengewühl auf die Nerven gegangen, in dem ich mich täglich bewegen mußte, wollte ich mal was anderes sehen als meine vier Wände. Um so vielen Menschen zu begegnen und doch nicht zu begegnen braucht es einen besonderen Panzer, der dieses automatische Aneinandervorbeisehen ermöglicht, das emotionslose über alles hinwegsehen, das nun mal unverzichtbar ist, will man in der Stadt nicht irre werden und seiner eigenen Wege gehen.
 
Ich war Spitze im "Vorbeisehen", selbst mein Lebensgefährte konnte mir auf der Straße begegnen, ich bemerkte ihn nicht. "Völlig dicht" nach außen, zog ich meine kleinen Kreise und ignorierte einige Jahre das wachsende Gefühl, am falschen Ort zu sein. Da ich IMMER in Städten gelebt hatte, lag es lange ganz außerhalb meiner Denkwelt, das zu ändern!
 
Jetzt lebe ich mitten im Paradies und das Netz ist meine Stadt, eine Stadt, die alle Städte umfaßt, die wirklichen und die virtuellen der Literatur und Kunst. Hier kann ich - wenn ich mag - auch mitten am Tag ins Nachtleben einsteigen und mitten in der Nacht arbeiten. Vergleichsweise leicht finde ich Menschen, mit denen es Berührungspunkte gibt (ja, und die treff ich dann auch real, keine Sorge!). Je älter ich werde, desto anspruchsvoller werde ich in Bezug auf das Zusammensein mit anderen. Es muß schon mehr da sein als ein bißchen Hormonstress oder gegenseitige Ego-Beweihräucherung, mehr vor allem als das blosse Gefühl, nicht allein zu sein, bzw. nicht allein sein zu wollen, zu können.
 
Ich bin gern allein. Nicht immer, aber immer öfter. Hätte ich mir früher nie träumen lassen! Das Erleben der Virtualität des Netzes ist verschmolzen mit der immer-schon-virtuellen Welt meiner Gedanken, Fantasien und Erinnerungen. Alles liegt auf den Festplatten bereit, faktisch nur Sequenzen aus Nullen und Einsen, doch "virtuell" sind es Welten, die zu realer Welt werden, wenn man zugreift. Auf die gleiche Art steht auch alles in der physischen Welt zur Verfügung, immer zugriffsbereit. Ich brauche nur den Willen und die richtigen Greifer - ein technisches Problem, könnte man sagen.
 
So hängt also alles mit allem zusammen und alles ist jederzeit für mich da - virtuell zumindest. Das ist die Hälfte der Wahrheit, die Hälfte, nach der mensch in der ersten Lebenshälfte so dringend verlangt. Die andere Hälfte kommt in Gestalt der Frage: Bin auch ICH für alles und alle zu jeder Zeit da?
 

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12:05:00, 0.22, Kommunikation und Kontakt (Meta-Thema, für Neuleser eher langweilig)

Nach unzähligen mit Herumschieben, Ausschneiden, Freistellen und übereinander-Schichten von Bildteilen verbrachten Stunden ist es die reine Erholung, vor dem Final Klick noch etwas zu schreiben. So spät am Abend hebe ich gern ein bißchen ab vom Gedanken an ein "richtiges Thema", was immer das gerade sein mag. Nicht das WAS geht mir durch den Kopf, sondern das WIE schreiben. Eine Frage, bei deren Beobachtung man dem Warum vielleicht näher kommt.
 
Dazu angeregt haben mich zwei Lesermails, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: von Volker, der zum Diary-Eintrag I love you schrieb, speziell zu meiner dort vollmundig verkündeten Punkteliste: Was will der Mensch?; und von Ingo, der auf den Beitrag Der Körper als Text von gestern (=heut morgen) reagiert.
 
Welche Welten liegen doch zwischen diesen beiden Mails! Volker schreibt zwar viel zum gewählten Thema, aber was erfahre ich dabei von ihm? Es sind allgemeine Statements, schroff aneinandergereiht, eher abstraktes Knowledge-Patchwork, Namen, Zitierungen.... hm! Mir geht auch dauernd "dies & jenes durch den Kopf"....

Von Ingos Mail war ich ergriffen. Nicht nur, weil ich den freundschaftlichen Impuls spürte, mir bei Schwierigkeiten helfen zu wollen, sondern vor allem wegen der vielen ganz persönlichen Gedanken, den beiläufig eingeflochtenen, aber unverzichtbaren eigenen Lebenserfahrungen - diese direkte Schreibe, direkt von Ingo selbst, ohne irgend eine andere Instanz zu bemühen. Nur leider - und das irritierte mich dann schon - traf Ingo mit seiner so unterhaltend vorgetragenen mentalen Hilfsaktion knapp daneben: die Angst, gegen die er anschreibt, ist gerade NICHT mein aktuelles Problem...
 
Volker trifft also das Thema und geht an mir vorbei - Ingo trifft mich - am Thema locker vorbei (dafür eigene mitbringend...). Nun ist es ja easy, an Texten anderer herumzunörgeln. Glücklicherweise schaute ich noch mal in die auslösenden Diary-Einträge. Da sprang mich der gleiche Unterschied wie ein Hammer an: Was will der Mensch ist lapidar, allgemein, belehrend und abstrakt, jeder hätte den schreiben können, ohne daß man mehr von der Person spürte als eine unerquicklich zynische Grundstimmung - überflüssig! Wogegen der Körper als Text nicht nur beiläufig sehr konkret, persönlich und direkt erzählt. (Für wen aber ist das schon interessant?)
 
Ich hoffe, "I love you" war mein letzter Beitrag im Stil vollmundiger Beliebigkeit, andrerseits will ich auch nicht weiter in Richtung "Claudias Nachtgeschichten aus dem Daily Life" kommen. Nachdenklich stimmt, daß Ingo mich (auch) "real" kennt, während ich Volker nur aus dieser einen Mail wahrnehme, bzw. eben nicht wahrnehme. Er schreibt - und dem stimme ich zu:

Auch das sog. Wissensmanagement kommt ohne die direkte Kommunikation zwischen zwei real Anwesenden langfristig nicht aus.

Gilt das auch für Kommunikation schlechthin? Immerhin: Bei keinem von Ingos ca. 5 Besuchen in 2 Jahren haben wir so sorgfältige Reden geschwungen! :-))))))))))))) Es kann nicht sein, daß "persönliche Rede" nur face-to-face möglich ist, auch im Text muß es eine Mitte geben zwischen der schlichten, aber uninteressanten Personal History und der objektivierenden Schreibe, die allerlei interessante Infos bietet, aber den Autor verschwinden läßt.
 
Mit dem Diary versuche ich, diese Mitte zu finden - herzlichen Dank für die Hilfen, die ihr durch eure Mails gebt!

 

11:05:00 Der Körper als Text

Sport war für mich immer schon Mord. Als Kleinste, Jüngste und einen komischen Dialekt Sprechende (Schwäbin unter Hessen!) hatte ich in der Kinderhorde schlechte Karten, war körperlich völlig unterlegen und bekam das stets zu spüren, meist auf unangenehme Art. Ich konnte nicht so schnell laufen wie die Älteren, mich nicht wehren, wenn sie mich angriffen, versagte - zu ihrer Freude! - bei jedem Wettspiel, kurzum: eine volle Niete! Ich lernte früh das HASSEN, haßte meine Übeltäter, deren übermächtiger Gewalt ich täglich ausgesetzt war. Und ganz automatisch entstand so Haß und Verachtung für körperliche Kraft und Anstrengung in jeder Form.
 
Dafür konnte ich schon vor der Schule lesen & schreiben - Groß- und Kleinschrift. Durch bloßes Nachfragen (Was steht da?) hatte ich es mir selber zusammengereimt. Zwar nützte mir das wenig bei den anderen Kindern, doch es öffnete mir sehr früh die Tür in eine andere Welt: Die Gutenberg-Galaxis war meine Rettung. Zwischen 5 und 12 las ich die gesamte Kinderabteilung der Leihbücherei durch, alles, was mich nicht zu Tode langweilte. Und das war eine Menge!
 
Erst wußte ich nicht, wie ich ein Buch aus den unzähligen Regalen auswählen sollte und fragte meine Mutter. Sie gab mir den Tip: "Schlag es irgendwo auf und schau, ob da viel 'wörtliche Rede' vorkommt. Dann kannst du es nehmen". Meistens folgte ich diesem Rat und wurde selten enttäuscht. Doch experimentierte ich auch: Griechische Heldensagen in Hexametern erfreuten mich durch diesen seltsamen Sprachrythmus, den ich durch eigene Sprüche - im gleichen Sound - zu kopieren versuchte.
 
In der Schule war alles leicht, ich langweilte mich, während die anderen Schwierigkeiten hatten, einfach nur die Buchstaben zu lernen. Zum ersten Mal war ich BESSER, erfolgreicher, nicht mehr die Hinterletzte, sonder VORN DRAN. Was für ein Gefühl.... Nur im Sportunterricht, da behielt ich die alte Rolle. Wurde immer unter den letzten ausgewählt, wenn es darum ging, eine "Mannschaft" zusammenzustellen und bei Wettrennen zog ich es oft vor, hinzufallen und mir das Knie blutig zu schlagen, anstatt wieder mal keuchend und völlig fertig als Nachzüglerin ins Ziel zu gehen, wo die anderen warteten und über mich lachten.
 
Alle schnellen Bewegungen, alle Anstrengungen, die heftiges Atmen hervorrufen, waren und blieben mir verhaßt - tatsächlich schätzte ich diese Phasen später nicht mal beim Sex! Ohne daß mir je eingefallen wäre, woher dieses Mißempfinden rührte, das ich erst jetzt versuchsweise an mich heranlasse. Klar, daß mein Weg über den Bücherwurm zum Screenpotato vorgezeichnet war. In den virtuellen Welten der Gutenberg-Galaxis läßt sich viel erleben - und mancher MindFuck brachte mir weit größeres Vergnügen als das bewegte Leben, das ich in den Zeiten der "sexuellen Befreiung" so angestrengt führte.
 
Zur Zeit fahre ich täglich Fahrrad - das bringt mich in der ersten Phase so weit weg von Home, daß ich meine Runde auch zu Ende fahre. Zurück LAUFEN würde einfach zu lange dauern (die Arbeit ruft...) Auf der Strecke gibt es verschiedene Steigungen, die mich wirklich außer Atem bringen. Ich steige auch mal ab, wenn es zu schlimm wird, doch schon jetzt schaffe ich die Runde auch ohne Pause. Das Stärkste: Zu Beginn der Tour und manchmal zwischen drin gibt es Augenblicke, da spüre ich die Freude des Körpers an der Anstrengung: als lebte da ein fremdes Wesen in mir, etwas ganz urtümliches, das seine eigenen Vorlieben hat und nur darauf wartet, daß ich ihm Raum lasse. Diesen Raum betreten, in dem offensichtlich mir unbekannte Freuden warten, bringt allerdings zuerst auch den Haß, die Verachtung, die Angst wieder an die Oberfläche, die mich dazu bewegt haben, die Türen zu diesem Raum verschlossen zu halten.
 
Erinnerungen sind im "Unbewußten" gespeichert, heißt es. Was ist das Unbewußte, mal ganz materiell betrachtet? Kein Geist exisitiert ohne Körper. Körperlich eingeschrieben sind die Erfahrungen zum Beispiel in die Fascien, die form- und haltgebenden Umhüllungen der Muskeln. Wenn durch ungewohnte Bewegungen und Anstrengungen diese verfestigten Formen angegriffen werden, beginnen sie, sich zu lockern und aufzulösen. Das ist ein körperlicher, aber vor allem ein psychischer Schmerz: man erlebt alle Gefühle wieder, die zu diesen Formen geführt haben, die ja nichts anderes sind als Verteidigungshaltungen, Verspannungen und Verpanzerungen, die irgendwann "ganz normal" geworden sind. Der in Materie verschlüsselte Inhalt wird wieder zu lesbarem Text, Text, den man dereinst nicht lesen mochte, nicht ertragen konnte.

 

10:05:00 Net-Identity

Nicht immer schaffe ich es, Leserbriefe gleich auf die Briefe-Seite zu stellen - zum Beispiel den von Michael zum Thema "Warum schreiben?", das - wen wundert's! - doch einige bewegt hat. Herzlichen Dank!
 
Ein anderer Diary-Gast, der nicht veröffentlicht werden will, stellte die Frage nach dem Verhältnis der "Net-Identity" zur Real-Person, inspiriert durch Einträge, in denen ich Unzufriedenheit merken lasse, ohne dabei sehr konkret zu werden. Ja, das ist eines meiner Lieblingsthemen und ich freue mich, wenn jemand die Eigenart so einer medialen Seinsweise bemerkt.
 
In meinem ersten Netz-Jahr (1996) hab' ich da wilde Experimente veranstaltet, indem ich ansatzweise "virtuelle Zweitexistenzen" ins "Leben" rief. Zum Beispiel verfaßte ich eines Abends die Homepage eines absulut destruktiven Charakters (männlich, ätzend-übel gelaunt, zynisch, abgründig...), so als Gegengewicht zu meiner eher "positiven" Weblandschaft. Ich dachte, da laß ich die andere Seite 'raus, merkte aber schnell, daß es mich einfach nicht für mehr als 2 Seiten inspirierte. Das Licht des Webs hat die Site nie erblickt, dieser Aspekt war einfach nicht selbständig lebensfähig.
 
Ein andermal hatte ich einen längeren Maildialog, geriet mit dem anderen in Streit und es war zeitweise Funkstille. Da loggte ich unter einem neuen AOL-Account ein, schuf drei verschiedene "Kunstfiguren" und mailte unter diesen Identitys ganz locker und entspannt mit meinem Gegenüber weiter. Allerdings auch nur zwei/drei recht oberflächliche Mails lang, dann war das Experiment als "hohl" erkannt.
 
Nicht alles, was das Netz möglich macht, fühlt sich sinnvoll an, wenn man es ausprobiert. Ich stellte schnell fest, daß es nichts bringt, per Medium "viele" zu sein und trete überall unter eigenem Namen auf. Dass ich - nach so und so vielen Projekt-Namen - eines Tages www.claudia-klinger.de anmeldete, geschah aus dem Gefühl heraus, daß dieser Name, den ich mir nicht selber gab, immerhin eine Konstante ist, etwas, das ich nicht beliebig ändern kann. Also bestens geeignet, die unzähligen Teilaspekte und unvereinbaren Widersprüche eines Individuums über die Zeit zusammenzubinden (zu linken!), wenn es schon sonst nichts gibt, was wirklich immer gleich bleibt (außer dem "Beobachter", der aber keinen Namen braucht).
 
Dass ich mich weder im Netz, noch in einem anderen Medium wirklich "vollständig" abbilden kann, ist lange klar. Ich will es auch gar nicht mehr, denn Authentizität bedeutet auch, zu der gerade getroffenen Wahl zu stehen: Alles in allem BIN ICH EHER POSITIV gestimmt, also wühle ich lieber nicht öffentlich in irgendeiner Scheiße, wenn es mir auch manchmal danach ist. Eher treibt mich das Verlangen, in jeder Hinsicht so "gut" zu werden, wie eine rundum gelungene Website, als zu jedem Defizit eine eigene Homepage zu verfassen, mit oder ohne "Zweit-Identity".
 
Meine Webseiten sind also allesamt "Schokoladenseiten" (irgendwo muß man die ja haben). Die GANZE, die schreckliche Wahrheit ist: ich bin ein Hund.... :-)
 

 

09:05:00 Geschlechterkampf

Im TV schau ich mir gerade noch die Tagesschau und ab und an einen Fernsehkrimi an: Tatort, Polizeiruf, K3 etc.. In jedem einzelnen Film fällt mir auf, dass ihr gesellschaftliches Hauptthema - neben der eigentlichen Krimihandlung - das Geschlechterverhältnis ist. Und zwar aus der Sicht von Männern zwischen 40 und 60, die stets und ständig mit fähigen erfolgreichen Frauen konfrontiert werden und auf unterschiedliche Weise daran kranken, mal mehr, mal weniger humorig dargestellt. Frauen als Kommisarinnen, Staatsanwältinnen, Sonderkommisionsleiterinnen, Ausbilderinnen, Gerichtsmedizinerinnen - und Frauen in der Wirtschaft, an Top-Positionen, souveräne Frauen mit vielen Fähigkeiten, die, wenn sie denn mal in die Rolle der Verfolgten geraten, den Täter letztlich selber erledigen - der retten-wollende Mann kommt immer zu spät. Die Heldenrolle ist - für Männer - passé, zumindest im deutschen Fernsehkrimi.
 
Was da gezeigt wird, entspricht nicht der Realität. Keineswegs sind die Top-Positionen überall von Frauen besetzt oder auch nur gleich verteilt. Dass es in den Krimiwelten so dargestellt wird, bedeutet, daß sich Männer dieser Altersgruppe sehr stark mit den geänderten Verhältnissen auseinandersetzen. Offensichtlich erleiden sie einen Identitätsverlust, wenn Frauen heute ganz selbstverständlich viele Funktionen einnehmen, die dereinst dem "starken Geschlecht" vorbehalten waren und damit offensichtlich sogar gut zurecht kommen. Jetzt, lange nach dem großen Schlagabtausch durch die Frauenbewegung (70er/80er-Jahre), kommt das wirklich zum Tragen, jetzt finden sich selbständige und selbstbewußte Frauen überall im Real Life, und nicht mehr im Bereich der Parolen, Forderungen, Vorwürfe, der Propaganda. Und mehr noch: die ehemals so stützende intellektuelle Solidarität in männerbündlerischen Verhaltensweisen ist nicht mehr Mainstream. Kein Mann kann mehr sicher sein, sich augenzwinkernd mit anderen Männern darum herumdrücken zu können, Frauen ernst zu nehmen.
 
Ich kann mir vorstellen, daß das nicht einfach ist. Und keinesfalls sind die aktuellen Schwierigkeiten dieser Männer nur Ausdruck von Konkurrenzverhalten, von Neid und Eifersucht auf zunehmende Erfolge des anderen Geschlechts, also bloße Besitzstandswahrung. Nein, die innere Ökonomie ist gestört, in die sie (anders als viele Jüngere) noch hineinsozialisiert wurden: Frau ist für das Innere zuständig, Mann für das Äußere. Eine Frau, die genauso "in der Welt" lebt, wie früher nur Männer, steht nicht mehr als "das ganz Andere" für den Ausgleich der Psyche zur Verfügung. Ja, sie braucht sogar selber diesen Ausgleich, den früher nur Frauen den Männern geben konnten, wie umgekehrt die Werte des Äußeren (Geld, Arbeit, Erfolg, Ruhm) nur von Männern kamen.
 
Frauen sind hier im Vorteil. Wenn sie mit ihren Männern nicht zurecht kommen, gibt es noch die anderen Frauen. Es ist für frau kein Problem, einer anderen ihr Herz auszuschütten, sich schwach zu zeigen - aber welcher Mann könnte sich das bei anderen Männern erlauben? Sie stehen also wirklich auf dem Schlauch und registrieren mit Grausen, daß auch der intimste Liebesdialog mit einer Frau nicht mehr bedeutet, dass sie alle eigenen Gedanken und Interessen "für ihn" vergißt oder zurückstellt. Wie soll er sich also für den täglichen Kampf "da draußen" regenerieren?
 
Immerhin trägt er nicht mehr alleine die Last der Welt. Ist nicht mehr gefordert, wegen der Verantwortung für andere, die sich nicht selbst durchbringen können, da draußen Rädchen im Getriebe oder erfolgreiche Kampfmaschine zu sein. Wenn er es doch noch tut, ist es sein persönlicher Spaß - und dessen sollte er sich gewahr werden. Eine schlichte Kosten-Nutzen-Rechnung bezüglich Karriere, Aufstieg, Erfolg, Gehaltserhöhung, Ruhm & Ehre ist oft ganz dienlich. Manche Menschen - Frauen und Männer - können das als lockeres Spiel betreiben, viele bringen sich aber auch damit um, verlieren sich selbst und alle konkrete Freude am Leben. Die "erotische Beziehung zum Kontoauszug" tritt die beherrschende Stellung an, eine Form von Sterben auf Raten.
 
Die Alternative ist das Interesse für sich selbst - nicht als "Objekt", das innen wie außen möglichst verwertbar und kompatibel zu stylen wäre (beginnend mit Bodybuilding bis hin zu "Positiv thinking"), sondern in einer eher forscherischen Art: Was tut mit gut? Wo ist meine Lust? Was macht mir - by doing, nicht "in der Zukunft" - Freude? Aber auch der Blick auf das Gefürchtete gehört dazu: Was macht Angst? WIE geht sie wieder vorbei?
 
Mir tut leid, wie es geworden ist. Die Krimi-Männer haben mein Mitgefühl - sind es doch auch "meine Männer", die von der letzten Welle des Geschlechterkampfes kalt erwischt wurden. Nicht, weil sie schlimmer gewesen wären, als Männer (und Frauen) vorher oder nachher, sondern weil sie "zufällig" gerade da waren, zu dieser konkreten Zeit, als die Frauen sich bewegten. Gegenüber dieser Bewegung, die alle Geschlechterbeziehungen meiner Generation durchdrungen hat, gingen sie spontan in Abwehrhaltung oder in den vorauseilenden Gehorsam, reagierten also, anstatt sich auf sich zu besinnen. Nun ist der Kampf nicht mehr Thema Nr.1, die Erfolge der Frauen sind konkrete Realität, mann muß im Alltag damit leben, nicht nur "sich in einer Diskussion positionieren". Im Grunde müssen sie sich auch bewegen, weit hinein ins Unbekannte (wie wir es schließlich auch gemacht haben!). Doch das ist zwischen 40 und 60 nicht mehr ganz easy, ich weiß.

 

07:05:00 Abschiedsfotos

Die Fotos, die bei der Session vor über einer Woche entstanden sind, hab' ich noch nicht gesehen. Der äußere Anlaß für dieses "mich fotografieren lassen" war ein aktueller Bildbedarf in einem Webprojekt - und meine Neugier, mich mit den eigenen inneren Widerständen beim "abgelichtet werden" zu konfrontieren, einmal ausführlich auszuprobieren, was es damit eigentlich auf sich hat. Doch ohne das spontane Angebot eines Künstlers, der sowieso viele Leute aus eigenem Interesse fotografiert (mit f neuerdings? Oder doch ph in der Mitte?), hätte ich das nie veranstaltet, sondern wieder eine schreckliche Passbild-Automaten-Erfahrung gemacht.
 
Wir sind durch Wald und Wiesen spaziert, durchs Gelände der alten Schweineställe gestiefelt - und immer wieder schaute er mich durch's Objektiv an: KLACK!
Es ist besser, von einem weitgehend Fremden fotografiert zu werden, als von einem Nahestehenden - und besser, wenn jemand daran eigene Interessen hat (Arbeit, Hobby, Kunst...), als wenn es aus reiner Gefälligkeit geschieht. Dann stört die Beziehungsebene den Ablauf nicht, im Grunde macht jeder sein Ding, obwohl man äußerlich etwas zusammen tut.
 
Ich konnte also gut dieses komische Empfinden beobachten, diesen Wust irgendwie unangenehmer Gefühle, die für mich mit dem Fotografiert-werden verbunden sind. Und es hat auch lange genug gedauert, um unbewußte Ebenen zu erreichen - anders wäre es nicht erklärlich, daß mir seither so viel dazu einfällt. Nach und nach stellt sich nämlich heraus: es sind Abschiedsfotos. Die Person, die da abgelichtet wurde, ist ein Auslaufmodell, schon jetzt gibt es sie nicht mehr. Ohne die Bilder gesehen zu haben, kann ich jetzt klar sehen: SO will ich nicht mehr sein. Diese Person ist mir zu unsymphatisch. Sicher, sie macht nette Webseiten und kann Wörter zu ansprechenden Sätzen reihen. Aber das kann vieles andere nicht aufwiegen, was ich an ihr feststellen muß, Defizite, die sich in den letzten Jahren fast unmerklich entwickelt und verfestigt haben bis hin zu einem drastischen persönlichen "Reformstau".
 
Nein, er kommt jetzt nicht, der Seelenstriptease. Das Webdiary, wie ich es schreibe, ist dafür nicht das richtige "Format". Wollte nur von der Fotosession erzählen: dass sie wie ein Brennglas für das Bewußtsein wirken kann, wenn man sie "in Reinform" erlebt und ihre Symbolgehalte mitbekommt. Schon allein das Wort "Objektiv" wirft so viele Fragen auf - und Angeblickt-werden durch ein solches bringt ein Double-Bind-Gefühl ans Licht: Einerseits WILL ich gesehen werden, sehne mich nach dem Blick, der Aufmerksamkeit des Anderen, andrerseits FÜRCHTE ich diesen Blick, will nicht be- und dann verurteilt werden (nicht mal Lob kann ich ganz stressfrei ertragen). Die Bilder schließlich, die entstehen, sind tote Artefakte, eingefrorene Momente und Aspekte eines lebendigen Wesens, das sich auf dem Bild nie einfangen läßt - dennoch erheben gerade Fotos den Anspruch, eine Wahrheit zu zeigen. Schließlich hat ein Apparat sie gemacht, ganz objektiv. Durch die ganze Veranstaltung werde ich darauf gestossen, mich versuchsweise selber "objektiv" zu sehen - und das Äußere ist dabei nur ein minder-wichtiger Aspekt, ein Nebenthema.
 
Und wenn das mal angefangen hat, gibt es kein Halten mehr. Im Lauf der letzten Tage hat mir das Reale Leben einige Anstöße geboten, den Prozess ernst zu nehmen, Warnungen, die deutlich sagen: versacke nicht wieder in Routine, löse gefälligst deinen "Reformstau" auf. Sonst wird dir nämlich schon bald der Himmel auf den Kopf fallen....
 
Na gut. Das Leben ist halt keine gemütliche Couch. Ich werde meine Mauern, Zäune, Stützen und Gerüste nach innen und außen einfallen lassen, keine Kraft mehr in sie investieren, mich verändern lassen, auch wenn es nicht immer gut tut. Vom alten Zustand hab ich ja bald ein paar Erinnerungsfotos.

 

06:05:00 I love you

Wer hätte gedacht, dass es ein E-Mail-Virus mal in die Haupt-Nachrichten schafft! Überall wird darüber berichtet, als sei ein Orkan durch das Netz gefegt - und als sei dies das ERSTE MAL. In keiner Netz-fernen Nachrichtenquelle wurde übrigens berichtet, was der Virus eigentlich ANRICHTET. Das hätte wohl zu viel Sendezeit benötigt, zu unkundig sind die neuen User und die anderen sowieso. Also wird wieder mal der Eindruck vermittelt, es sei hier fast so etwas wie Terrorismus im Gang, naja.... Ich hab' schon gar keine Lust mehr, mich aufzuregen, nicht über Medien.
 
Aber ist es nicht hübsch, dass der erste echte allgemein bekannte STAR am Virushimmel unter dem Subject "I love you" daherkommt? Und in der Mail steht dann verführerisch: "da ist ein Love-Letter für dich im Attachment....." Offenbar können dieser Botschaft sehr sehr viele Menschen nicht widerstehen. (Zumindest würde ich mich doch fragen: warum schreibt er/sie nicht direkt in der Mail?)
 
Was will der Mensch? Wenn man die häufigsten Virus- und SPAM-Subjects betrachtet, ist die Frage leicht zu beantworten:

  1. Sex, Pics, XXX
  2. reich werden ohne Arbeit in 14 Tagen
  3. geliebt werden

Das Erkenntnisinteresse ist vergleichsweise gering ausgeprägt. Obwohl: eine Mail mit dem Subject "Die Weltformel" oder "was VOR dem Urknall war" würde vielleicht doch Aufmerksamkeit erregen, wenn auch niemals so viel, wie die basalen Wünsche. (Das verhält sich wie ARTE zu RTL2).
 
Und weil mir heut' so locker zumute ist, kommentiere ich das mal:
 
1. Sex, Pics, XXX:
Sex muß im Augenblick gelebt werden - nicht in Texten und Bildern und Reden und Schreiben und Aufsätzen und was auch immer. Die heutige mediale "Durchsexualisierung" von allem und jedem ist nur ein Zeichen, wie wenig wir das noch hinkriegen. Dass wir mit Sex Probleme haben, liegt - so denke ich heute - nicht am "Geschlechterkrieg" oder der "Erziehung", sondern an der Tatsache, daß Sex ohne den Körper nicht zu machen ist. Und das "Leben", das heute in der Spätzivilistation, der komplexen Infogesellschaft geführt wird, ist vom Körper so weit entfernt, wie das Glas Sekt vor mir von Alpha Centauri.
 
2. Reich werden ohne Arbeit in 14 Tagen
Das ist nur eine Verlegenheitslösung. Fast jeder antwortet auf die Frage: Was wünschst du dir, angenommen eine nette Fee gibt dir einen Wunsch frei?, mit dem Wunsch nach einer oder mehreren Millionen, Mark/Euro oder Dollar, egal. (Ältere nennen immer öfter "Gesundheit", weil sie schon aus eigener Erfahrung wissen, daß ohne Gesundheit Geld einen Dreck wert ist).
Doch der Wunsch nach Geld ist nur der Versuch, die Fee festzunageln. Man möchte einen Joker, falls demnächst konkrete Wünsche aufkommen..... Und das stimmt auch nicht ganz, wir sind nicht so orientiert an konkreten Wünschen, im Grunde sind es Verteidigungsbedürfnisse, die uns verleiten, den Wunsch in Geld, ein Abstraktum, überführen zu wollen. Mit Geld, so wissen die meisten, wird man vielleicht nicht glücklich, aber man kann sich ganz gut zur Wehr setzen, bzw. einfach von der Welt abwenden, wenn man die Nase voll hat. (Geld ist das Gegenteil von SINN.)
 
3. Geliebt werden
Jaaaa, das wollen wir alle! Trotzdem ist es eine Sackgasse, danach zu streben. Die schlimmste aller Sackgassen. Schon wenn jemand sagt "Ich liebe Dich", ist der GRUND, warum es nötig war, das auszusprechen, ganz sicher nicht die reine Liebe. Der Virus sagt auch "I love you" und löscht dann deine wichtigsten Dateien - sag' bloß, du wüßtet nicht, dass es im realen Leben ganz genau so ist!
Und kennst du nicht auch DIESE Situation: du hörst jemandem zu, hängst an seinen/ihren Lippen, findest diesen Menschen wunderbar und wartest nur auf eine Gelegenheit, ihm/ihr das in passenden Worten, Blicken, Gesten 'rüberzubringen. Geht aber nicht, weil er/sie redet wie ein Buch, an dir vorbei blickend. Redet und redet und es ist affenklar, daß mensch mit 'Inhalten' beeindrucken will. Dir zeigen, auf welchen Fronten er erfolgreich kämpft, wo er spitzenmäßig mithält, warum es endlose Gründe gibt, ihn oder sie einfach super zu finden....
So langsam klingt deine Begeisterung ab, du kommst ja nicht zu Wort, er/sie nimmt dich gar nicht wahr, ist ganz verstrickt im Kampf um deine Anerkennung, will geliebt werden....
 
Was wünsch ich mir, dies alles wissend? - nichts. Aus dem NICHTS kommt die Fülle, sagte mein Yoga-Lehrer, das hört sich gut an. Fakt ist, dass mir konkret nichts einfällt - bzw. das, was ich mir wünsche, nicht durch Feen erfüllt werden kann (dann wäre es NICHTS), sondern nur durch das reale Leben. Und immer muß ich dabei ins Risiko gehen - Wunder sind im Grunde langweilig.

 

05:05:00 Splendid Isolation

An diesem so plötzlich aber heftig ausgebrochenen Frühling, der seit einer Woche den Norden heimsucht (endlich sind WIR mal bevorzugt!), fällt mir dieses Jahr besonders die GEWALT auf, mit der er alles ergreift und verändert. Keine gemütliche, allmähliche Veränderung, sondern eine Explosion, die alles aufbricht und nach außen treibt, auf Gedeih oder Verderb. In den Mauern Berlins war das sehr viel verhaltener, doch hier, inmitten der Wiesen, Wäldchen und endlosen Felder, die in schreiendem Rapsgelb glühen, ist die Energie viel deutlicher spürbar. Ich möchte auf Berge klettern, fliegen, vielleicht sterben - mich der Gewalt überlassen, irgendwie.
 
Doch ich lebe meinen Alltag, fast wie immer, und untergründig verdichtet die Energie die Wahrnehmung. Im Zug, auf der Rückfahrt von Hamburg: in jeder Reihe des Großraumabteils sitzt ein Mensch, intuitiv hat jeder den weitestmöglichen Abstand zum anderen gewählt. Der Junge in der Reihe vor mir, vielleicht 20, flüstert dauernd in sein Handy, die junge Frau hinter mir, unglaublich schick gestylt, blättert in einer Zeitung. Noch eine Reihe weiter langweilt sich ein weiteres Individuum, starr aus dem Fenster blickend. So geht das eine Stunde lang und ich frage mich: Warum plaudert eigentlich niemand mit dem Anderen? Warum sitzen wir da wie Schaufensterpuppen?
 
Völlig "normal", ich weiß. Tue ja auch nichts, um das zu ändern, schon gar nicht mit Leuten, die Äonen jünger sind als ich und damit fast wie Aliens auf mich wirken. Säße da statt dessen ein sorgenvoll dreinschauender Endvierziger, Charakterfalten im Gesicht, aber sonst halbwegs in Schuß, vor sich am besten DIE ZEIT oder einen Laptop - ja, da würde ich vielleicht ein Geplauder in Erwägung ziehen, vielleicht.... wahrscheinlich aber doch nicht, zu dominant ist das Gefühl, nur dann Kontakt aufnehmen zu dürfen, wenn es dafür einen konkreten Grund, ein "um-zu" gibt.
 
Als Kind brauchte man das nicht: klingeln, klopfen, rufen: HALLO, KOMMST DU RUNTER? Kein Problem, ganz normal im Paradies, aus dem wir alle bald schon fallen und das sich erst in der Rückschau als Paradies herausstellt. Der Frühling macht die Mauern bewußt, mit denen wir uns umgeben, um nur ja niemandem nahe zu kommen. Wenn es doch mal sein soll, müssen erst aufwendig Durchbrüche geschlagen, Wege geebnet, Zugbrücken heruntergelassen werden und wehe, der Andere ist nicht so, wie erwartet.... Wir wollen stets alles unter Kontrolle haben, und genau das macht die Ödheit des Alltags aus, gegen die die Spaßgesellschaft mit unzähligen Events erfolglos anrennt.
 

 

03:05:00 Metatags

Metatags sind Begriffe, die im Quelltext einer Webseite angegeben werden können, um den Suchmaschinen "Futter" zu bieten: Suche ich bei Altavista z.B. nach "Netzliteratur", werden mir Seiten angezeigt, die in den Metatags dieses Stischwort aufführen.
 
Manchmal mache ich mir den Spaß, in den Code einer Website zu gucken, die mich irgendwie anspricht. (ist leicht: Im Browser-Menü "Ansicht - Quelltext...) Interessant zu lesen, mit welchen Stichworten der Verfasser die Suchenden "anlockt", ob es Begriffe sind, die zum Inhalt passen, oder auch ganz andere, nur darauf angelegt, möglichst viele Besucher anzuziehen. (In diesem Fall spricht man von "Meta-Tag-Spamming"). Man kann auch darüber ins philosophieren kommen, wer mittels der Metatags eigentlich was zu wem sagt.... Schließlich ist es eine Kommunikation per Maschine/Programm, was ihren Charakter nicht unverändert läßt.
 
Mit a n d e r e n Worten: Metatags zum anfassen ist ein Spiel mit den Stichworten, das mir auch neue (Netz-)Horizonte eröffnete. Die Herstellung der Site, die Auswahl der Links bedeutet, auf anderen Wegen durchs Web zu surfen als auf den ausgetretenen Pfaden, die ich aus alten Zeiten (96,97,98) kenne und wo sich fast nur noch Webleichen finden. Wie man es dreht und wendet, das Netz gestattet nicht, nur passiv zu bleiben, die Freude hört dann einfach auf, man findet zwar, was man aktuell sucht (nützlich! nützlich! nützlich!), aber DAS ist ja nicht das Spannende. Ich werde nur noch im Kontext einer kleinen, selbstgestellten Aufgabe surfen, das bringt viel mehr.
 

 

02:05:00 Leben, Tod

Mich ergreifen die Sonnenstrahlen, die Blüten ringsherum, der fast gewaltätige Duft der Bäume. Lege mich in ein Meer aus Löwenzahn, was für unerschütterliche Gewächse, mäht man drüber, sind sie in einer halben Stunde wieder da!
 
Fahre mit dem Fahrrad eine Runde, überall blühender Flachs, Himmel, Horizont, sonst nichts. Pflanze im Garten etwas an, nicht richtig ernsthaft, die Schnecken werden es fressen, einfach so, aus Freude am Wachsen. Yoga auf der Wiese, ich bin flexibler geworden, zumindest nachmittags.
 
Zurück am Monitor sind die Farben leuchtender als sonst. Der Computer ist der Tod, während "da draußen" das Leben tanzt. Warum zieht es mich immer wieder zurück ins kühle Licht des Monitors, zum schwankungsfreien Rauschen der Festplatte? Singen nicht die Vögel ein schöneres Lied?
 
Ja doch, ja. Alles ist wunderschön - ob ich nun da bin oder nicht. Der Fühling kommt ohne mich aus, nicht aber die Website, die gerade unter meinen mal zärtlichen, mal agressiven Maus- und Tastenklicks entsteht. Während ich "draußen" ergriffen, besetzt, beeinflußt, besessen werde von allem, was da ist, kann ich "hier" selber ergreifen, besetzen, faszinieren oder abstoßen, meine Lebendigkeit in tote Formen fließen lassen, die vielleicht in anderen Menschen wieder zum Leben erwachen.
Ich muß immer neu darauf achten, die Ground Control nicht zu verlieren.

 

30:04:00

Bald werde ich meine verschiedenen, meist recht veralteten Linklisten in diversen Projekten abschaffen, zugunsten des Surfboards, das ich gerade beginne. Es wird das erste ohne Kompromisse (nehm ich mir vor, toi, toi, toi!) - also nur Websites, die ich wegen irgend etwas schätze und tatsächlich ab und an aufsuche. Mal sehen, was da zusammenkommt, möge mir der Himmel nicht auf den Kopf fallen!

 

29:04:00 Hühner

Hühner 1 - Hühner 2 - Hahn - ansonsten geht's mir prima.
  

 

28:04:00 360 Jahre leben!

Der im SPIEGEL kolportierte Plan einiger Wissenschaftler, die menschliche Lebenszeit demnächst auf 360 Jahre zu verlängern, hat Wodile und Matthias zu ernsthaft-nachdenklichen und trocken-humorigen Comments angeregt. Sagt mal, was ist los mit euch? Noch nicht gemerkt, daß heute OPTIMISMUS angesagt ist? Wir müssen auch 500 Jahren Leben unerschrocken ins kalte Auge blicken können - was soll denn sonst aus dem europäischen GenTech-Sektor werden? Neulich bekam ich die Ausschreibung eines Literaturpreises, gerichtet an Autoren, die "von der Zukunft nicht bedrückt werden". Da hättet Ihr aber verdammt schlechte Karten! Immerhin hat Matthias wenigstens daran gedacht, in 300 Jahren seine Telekom-Aktien verkaufen zu können...
 
Und weil das Thema so nett ist, hab ich eben mal mit dem Sloganizer gespielt. Hier die Ergebnisse zur geneigten Lektüre.
 
Nachher kommt ein Freund, der sich dankenswerterweise angeboten hat, mich zu fotografieren. Ich brauche mindestens EIN Bild für mein aktuelles Projekt, denn der Auftraggeber will die Gesichter der Macher/innen auf den Seiten sehen: Menschen, Menschen, Menschen! Mir ist schon ganz flau im Magen, denn fotografiert werden ist für mich seit je ein Horror. Mein Vater war ein "engagierter Hobbyfotograf" und hat nie eine Gelegenheit ausgelassen, die Family abzulichten: "Mach doch nicht so ein Fotografiergesicht" fluchte er mich regelmäßig an und machte damit alles noch schlimmer. Naja, das ist an mir hängen geblieben - aber ich werd's überleben....

 

27:04:00 Creative Writing

"Es ist als bräche das Gemeinte, der Sinn, die Message aus den Worten aus, sobald ich sie aneinanderreihe". Dieser Satz aus einer E-Mail bringt mich ins Grübeln. Ich bin mir nämlich nicht mehr sicher, ob ich überhaupt etwas meine, bevor ich schreibe - oder ob es erst im Schreiben entsteht. Die gewöhnliche Sicht der Dinge ist: ich will etwas sagen, das drücke ich schreibend aus. Die "Message" geht der Produktion voraus. Mittlerweile erlebe ich faktisch stets das Gegenteil: schreibend entwickeln sich Gedanken und ich wähle aus, welche davon ich "rauslasse".
 
Als ich vor ca. 10 Jahren die Creative Writing-Techniken kennenlernte, war ich ungeheuer fasziniert: Endlich ein Ansatz, der diesem Erleben entspricht, ihn entwickelt, damit spielt. Es wird dabei ein "Schreibanlaß" gesetzt: ein kurzer Blick auf ein Bild, ein Stück Musik, ein bißchen tanzen und plötzlich in der Bewegung stoppen. Dann ein Assoziations-Cluster: ohne jede Ordnung werden auftauchende Worte zu Papier gebracht, nicht linear, sondern in sternförmigen Assoziationsketten. Dabei kristallisiert sich ein Thema heraus, Aspekte und Blickwinklel sammeln sich. Ausgehend von diesem Wortbild ist das Schreiben dann sehr leicht.
Eine andere Methode ist das Schreiben nach der Uhr: Ab dem "Start" wird 10 Minuten geschrieben, alles, was in den Kopf kommt, niemals den Stift absetzen, sondern in Bewegung bleiben, nicht zensieren.
 
Was mich reizte an diesen Schreibübungen war das Risiko des Kontrollverlustes. Ich wollte sehen, was sich da aufschreibt, wenn "ich" mich nicht einmische. Leider hatte ich dabei schlechte Karten: mein innerer Kontrollbeamter ist sehr sehr mächtig und in der Lage, praktisch jede Geschwindigkeit mitzuhalten.

 

25:04:00 Glück allein

Im Beitrag Vom Plaudern der Bilder hatte ich gegen die Texte angeführt, daß selbst Gespräche von Angesicht zu Angesicht oft darauf hinauslaufen, zwanghaft Begriffe zu definieren, um eine Gemeinsamkeit im Verstehen herzustellen, die doch nie erreichbar ist. Wie zur Bestätigung kam ein - übrigens wunderschön formulierter - Leserbrief von Iris, indem sie zum Wort "Selbstausdruck" schreibt:

führt der ausdruck des selbst als einem singulären ereignis in seiner zwanghaftigkeit ein solches zu sein nicht wieder zur einer inszenierung, etwas stilisiertem - zu etwas das am wirklichen vorbeigeht? ist ein innerer drang in uns, zu inszenieren, zu stilisieren? ich kenne den drang, wenn ich mit klopfendem herzen und zitternden fingern mich hinsetze und irgendetwas schreiben muss, das handelt aber nur bedingt von mir, ich drücke mich nicht aus, etwas drückt sich aus durch mich, ich bin nur ein instrument, durch das es hindurchfliesst.

Offensichtlich WIDERSPRICHT Iris jemandem - sei es mir, bzw. meinem Text vom 21.4., oder dem Zitat von Govinda. Dabei sehe ich keinen Widerspruch: Das Selbst ist gerade NICHT das Ich, das nach Inszenierungen lechzt, um sich - immer erfolglos - seiner selbst zu vergewissern. Selbstausdruck ist ein hingegebenes Hören auf das, was "von selbst" kommt und sich schreiben will, genau DAS, was auch Iris bechreibt und Govinda sagt.
 
Ohne Zweifel ist die nicht-literarische Textwelt vollständig vom DISKURS verseucht: Rede und Gegenrede, Spruch und Widerspruch, These, Antithese, Synthese - usw. usf.. Selbst dort, wo gar kein Gegensatz ist, muß einer hineininterpretiert werden, um die 'Lizenz zum Schreiben' zu verspüren. Einem Bild dagegen kann man nicht widersprechen, genauso wenig übrigens, wie den Programmen - vielleicht ist das der Grund für ihre aktuelle Dominanz?
 
Schon sehr lange bin ich der Diskurse müde, aller Diskussionen überdrüssig. "Andere Meinungen" nehme ich absichtlich nur noch als fremden Blick in die Welt wahr, nicht als etwas, das es zu widerlegen gilt im Ringen um die WAHRHEIT. Was ist denn schon Wahrheit? "Heute scheint die Sonne" - würde das der Maulwurf auch so sagen? Oder die Flechte auf dem Grund der Tiefsee? Ich brauche keine Wahrheit zu bemühen, um einen Standpunkt im Kampf aller gegen alle zu rechtfertigen. Alles was lebt, lebt vom Sterben, zumindest von der Unterdrückung anderer und je mehr Menschen den Planeten bevölkern, desto schlimmer wird es. Über DIESE Wahrheit brauche ich schon garnicht streiten, denn kein Argument wird sie mir nehmen können, leider!
 
An den vier freien Tagen über Ostern war ich ungewöhnlich viel mit anderen Menschen zusammen und gerade deshalb genieße ich es jetzt wieder sehr, mit dem Monitor "für mich" zu sein. Mein Gott, wenn ich immer wieder diese Soziologen, Psychologen, Philosophen oder andere Meinungsmacher lese, die sich darüber ereifern, daß der Mensch vor dem Computer sozial vereinsamt, denke ich: Man sollte ihnen mal das Gerät für ein paar Wochen entziehen, die Flucht in die Texte verunmöglichen, mal sehen, was sie dann sagen!
 
Nichts gegen die konkreten Mitmenschen, ich treffe normalerweise nur Leute, die ich mag! Was mich stresst, ist das Verhalten in Gruppen, praktisch jede Gruppe nervt, weil alle beteiligten Individuen heftig um den Platz an der Sonne, um Aufmerksamkeit, Macht und Einfluß, Ruhm und Ehre streiten, mehr oder weniger brachial. Ich kenne nur zwei Ausnahmen: Arbeitsgruppen, wenn die aktuelle Aufgabe die Leute an ihre Grenzen führt und über sie hinaus - dann tritt gelegentlich ein luzides und sensibles miteinander-Umgehen auf, für Konkurrenzkämpfe ist keine Zeit und keine Kraft mehr vorhanden, alle agieren wie Tänzer in einem vollkommen Ensemble, jeder gibt sein Bestes für die Sache. Das "Dritte" befreit für kurze Zeit vom Psychismus, ein Geschäft, das in therapeutisch ausgerichteten Gruppen vom Therapeuten verrichtet wird. Hier versetzt der Rahmen - oft auch "schützender Raum" genannt - die Teilnehmer in die Lage, die Rüstung ablegen, das Visier herunterklappen zu können. Zuvorderst mit der Regel: Kritisieren und Argumentieren verboten, jeder spricht von sich.
 
Im SPIEGEL konnte ich gerade lesen, bald werde uns die Wissenschaft mit erheblicher Lebensverlängerung beglücken, ja, eine Vervierfachung auf 360 Jahre sei im Blick! HAAAAA, wenn ich mir das mal vorstelle: 360 Jahre Spiegel-Headlines! 360 Jahre Hauen & Stechen, 360 Jahre Skandale und Entlarvungen, 360 Jahre RTL2....
 

 

23:04:00 Bildergeplauder 2

Das Experimentieren mit Text und Bild sprengt den Rahmen des Diary. Vernichten die Bilder den Innenraum, den der Text generiert? Schaffen sie ihrerseits einen Reaktionsraum, der in Text umschlagen will? Ist ihre emotionale Gewalt ein Übel - oder das, was wir suchen?
 
Überlegungen, die sich beim In-Szene-Setzen des Leserbriefs "Warum noch schreiben?" einstellten. Ein Stück Ostern hab' ich damit verbracht. Kommentare erwünscht.
(Ein Mausklick auf die Bilder bringt dich weiter).

 

22:04:00 heute 'nur' ein Bild.

Kein Hase! :-) Laßt es Euch gutgehen und rettet die Feiertage vor dem Gerät!

 

21:04:00 Vom Plaudern der Bilder

Warum noch schreiben? Darüber denke ich oft nach, wenn ich den Impuls spüre, irgend etwas über einen Text ausdrücken zu wollen. Meist ist dieser Impuls ein Gefühl, ein diffuser Eindruck, eine Gemütsregung, die erst durch die Überlegung "Wie schreib ich das jetzt?" eine klare Gestalt bekommt. Aber ist das Beschriebene überhaupt noch das, was ich eigentlich mittteilen wollte? Ja, wenn es sich um blosse Tatsachen handelt: heute morgen hat es geregnet. Ja, wenn es um Meinungen geht: Ich finde Merkel besser als Kohl. Wie interessant!
 
Was will ich, wenn ich jenseits von Zwecken den Schreibimpuls spüre? Ich möchte mein Inneres, mein "für-mich-sein" mit anderen teilen, auch wenn das, wie der Verstand leicht ermittelt, niemals ganz möglich ist. Allenfalls eine Anmutung erreicht den anderen, man setzt einen Reiz, doch die Reaktion ist nicht zu "programmieren", jeder versteht die Texte von den eigenen Denk- und Gefühlsschubladen her. Wer hat nicht schon Diskussionen erlebt, die immer wieder darauf hinauslaufen, daß man letztlich Begriffe definiert - im sinnlosen Bemühen, eine verläßliche Gemeinsamkeit festzuklopfen, indem man Sprache so scharf zu machen versucht wie die Mathematik.
 
Doch es funktioniert nicht. Man braucht nur an die "großen Worte" denken: Freiheit, Liebe, Gerechtigkeit, Gleichheit. Nie werden Menschen hier einen Konsens erreichen. Die Tatsache, daß wir uns leicht darüber einigen, was ein Tisch und was ein Monitor ist, läßt das leicht vergessen. Doch das Reden & Schreiben über Geräte, über Fakten und Pläne, das heute für viele den Alltag in der Info-Gesellschaft ausmacht, berührt uns eigentlich nicht. Wie sollen wir also noch kommunizieren, was uns berührt, wenn die Texte bei aller Geschwätzigkeit verstummen?
 
Literatur? Ja. Im Prinzip funktioniert es hier noch. Von einem literarischen Text kann man verschlungen werden, ein Gedicht kann berühren. Gerade, weil hier nicht das Kalkül auf die Vereinahmung des Lesers zugunsten eines vermeintlich "objektiven Allgemeinen" versucht wird, sondern der Selbstausdruck des Autors im Mittelpunkt steht. Ein guter Autor hat sich vom Gedanken verabschiedet, er könne die Reaktionen des Lesers "programmieren", er schreibt, weil er muß.
 
Im Web kann heute jeder literarische Texte veröffentlichen und es geschieht auch massenhaft. Überall stehen sie herum, gute und schlechte, die Linklisten zur "Literatur im Netz" sind lange schon unübersichtlich geworden und nutzen Datenbanken. Aber: Wer liest das alles? Wenn ich mal von mir ausgehe, dann sind es nur wenige. Zwar bin ich bereit, längere Texte über Dinge zu lesen, die ich brauche - aber Literatur? Da schieben sich komischerweise schon nach einer halben Minute die laufenden Telefongebühren ins Gedächtnis, an die ich bei der ARBEIT gar nicht mehr denke. Woran liegt das? Gönne ich es mir nicht? Oder liegt es am Text als solchem, der ein anderes Sich-Einlassen erfordert, als - ja was? - Bilder?
 
Als ich 1996 meine ersten Webseiten baute, hatte ich vor, kurze Texte collage-artig mit Bildern zu verbinden. Natürlich sollte das Bild mit dem Text mehr zu tun haben, als bloß optische Auflockerung zu bieten. Ich merkte schnell, daß das ungeheuer aufwendig ist und meine Ideen mein Können bei weitem überschritten - trotz der vielen Features in den Bildbearbeitungsprogrammen. Also wurde ich nolens volens eine "textlastige" Webberin, wenn ich auch immer darauf achte, daß die Umgebung, das Design, zumindest eine gewisse Stimmung vermittelt.
 
So geht es offenbar den meisten: wir sind in die Gutenberg-Galaxis konditioniert und stehen den Bildern hilflos gegenüber. Eine Hilflosigkeit, die zum Beispiel das Medium Fernsehen weidlich ausnutzt, indem es den Betrachter mit schnellen Schnitten und heftigsten optischen Reizen zuschüttet, so daß man sich emotional regelrecht ausgesaugt fühlt, ohne recht zu wissen, was eigentlich geschieht.
 
Die allseits zunehmende Text-Müdigkeit in den Netzen könnte die Chance bieten, eine Grammatik und Semantik der Bilder zu erlernen. Es wird nämlich noch einige Zeit vergehen, bevor die Bandbreiten das "richtige" Web-TV ermöglichen, Zeit, die genutzt weden kann, um eine Webkultur der Bilder zu entwickeln. Schon jetzt ist es ja z.B. nicht mehr möglich, den Web-Surfer zum passiven Betrachter zu machen und "an die Hand zu nehmen", ihm die Macht der WAHL per Mausklick wieder zu entziehen. Anbieter, die darauf spekulieren und sich mit Guided Tours durch allerlei Commerce-Seiten als "innovativer StartUp" gerieren, leben nur von der netzfernen Ahnungslosigkeit ihrer Geldgeber.
 
Wir könnten lernen, in Bildern zu kommunizieren, zu philosophieren, Bedeutung in Pixel zu gießen, um uns gegenseitig zu berühren, wie es mit reinen Texten kaum mehr geht. Und sicher ist dabei der erste Schritt, die Texte nicht gleich aufzugeben, sondern einzubeziehen. Bilder, die mit Texten plaudern - und umgekehrt. Wie etwa in Mein Schreibtisch, das Schneefeld - von Dietmar Kamper, grafisch in Szene gesetzt von Gagarin2 und Matzenbacher, den ambitionierten Grafikern des CyberZines Digitab.
 

 

20:04:00 Selbstdarstellung im Web

Immer wieder treffe ich Menschen, die sich fragen, wie sie sich im Web zeigen sollen: nur die berufliche Seite? Oder so richtig mit Family und Hobby? Oder nur durch WERKE glänzen? Ich finde das Thema spannend und hab' es deshalb der Liste Netzliteratur zur Diskussion vorgeschlagen. Das Ergebnis kann man hier besichtigen (Design-frei!). Es lohnt sich, die vielen Beispielseiten anzugucken. Da sind inspirierende Sachen zu sehen und zu lesen, die über die großen Portale kaum je zu finden sind.
 
Weil ich selbst das Update diverser Homepages vor mir herschiebe und mich auch immer wieder frage "Wie nur?", bin ich weiterhin für gute Beispiele dankbar. Schickt mir URLS von Selbstdarstellungen, die euch gefallen - ob privat oder beruflich oder beides, ist egal. Nur Firmenseiten interessieren mich in dem Zusammenhang nicht.
 

 
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© 1996-2000 Claudia Klinger
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