Claudia am 01. Juli 2018 —

Zur Woche der europäischen Unmenschlichkeitserklärung

Nun haben sich also alle EU-Staaten auf die Orban-Linie geeinigt: Flüchtlinge sollen Europa gar nicht erst erreichen, sondern in „kontrollierte Zentren“ außerhalb Europas verbracht werden. Zur Not auch  in solche innerhalb Europas, falls sich Länder dazu freiwillig melden. Analog zum Abschiebegefängnis wird es also den „Willkommensknast“ geben, fernab jeglicher Möglichkeit zur Teilhabe, gar Integration in die Gesellschaft, weit weg von jeglicher Unterstützung durch jene, die mit dieser menschenverachtenden Politik nicht einverstanden sind.

Pure Machtpolitik (CSU), nationaler Egoismus, Abdriften in Hass und Hetze eines wachsenden Teils der Bürger, die zunehmende Verrohung in der Gesellschaft, die immer mehr nach rechts außen driftet oder es („Hauptsache mir gehts gut“) widerstandslos geschehen lässt – zu alledem fehlen mir definitiv die Worte. Nie hätte ich gedacht, dass all das „einfach so“ und so schnell geschehen könnte – ich könnte kotzen!

Über „wehret den Anfängen“ sind wir schon ein großes Stück hinaus und es sieht ganz so aus, als ginge es jetzt zügig voran in Richtung eines kaum mehr bemäntelten Faschismus. Wehe, wenn erst die Wirtschaft kippt, wofür sich die Anzeichen mehren!

Horst Schulte, der die fortlaufenden Ereignisse eloquent kommentiert und mir aus der Seele spricht,  schreibt:

„Offenbar ist die Mehrheitsmeinung inzwischen die, dass uns andere Menschen egal sein müssen, damit wir es weiter schön kuschelig in unserem Deutschland haben. Alles was stört, muss also weg. Die sollen sehen, wie sie klar kommen.“

Mal dahin gestellt, ob das die WIRKLICHE Mehrheitsmeinung ist: Alle, die diese Politik gut finden und deshalb deren Vertreter von AFD bis Seehofer gerne machen lassen, verstehen eines nicht:

Mit der Abwehr von Flüchtlingen wird das nicht aufhören!

  • Die Immigranten ohne deutschen Pass sind die Nächsten,
  • dann Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft,
  • schließlich auch die »Pass-Deutschen« mit anderweitigen Wurzeln.

Aber auch damit endet das nicht, es geht dann auch gegen alle Anderen, die die imaginierte (!) Idylle stören:

  • Obdachlose, Bettler, Hartz4-Empfänger – auch für sie bieten sich irgendwann geschlossene Lager als »Lösung« an.
  • dann sind die Kritiker dran, die links-grün-versifften Gutmenschen, die ja genug Datenspuren hinterlassen haben, so dass man ihrer leicht habhaft werden kann,
  • Schwule, Lesben, Queer – alles, was dem klassischen Familienideal widerspricht,
  • am Ende dann JEDER, der dem Regime, dem man im Lauf dieser Entwicklung zur Macht verholfen hat, nicht passt. Die Überwachungsstruktur haben wir ja bereits, die es sehr einfach macht, jedem etwas anzuhängen, der – tatsächlich oder vermeintlich – mit der System gewordenen Unmenschlichkeit nicht einverstanden ist.

Es ist schon erstaunlich, dass trotz all der »Aufarbeitung« und der beispiellosen Erinnerungskultur offenbar kaum jemand aus der Geschichte gelernt hat.
Nur das Wort »Konzentrationslager« wird man zu vermeiden suchen. Und natürlich kein Gas nutzen, sondern (erstmal) »nur« Verelendung und Sklaverei.

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12 Kommentare zu „Zur Woche der europäischen Unmenschlichkeitserklärung“.

  1. „Nur das Wort »Konzentrationslager« wird man zu vermeiden suchen.“

    Nicht wirklich.
    Die Kurzform haelt man, irgendwie unsensibel als auch haemisch grinsend mit „Kontrollierte Zentren“ bei, wie man auch ansonsten heutzutage allgemeinen Nazisprech locker in Gebrauch nehmen darf.

    Ueber die Vernachlaessigung des „wehret den Anfängen“ / „Nie mehr wieder“ wundert sich schon so mancher seit ’45.

    War Faschismus denn nicht nachdruecklich grausamst genug? :-(

  2. Eigentlich könnten wir Pessimisten uns zurzeit rechthaberisch gebärden und in der Bestätigung der eigenen Schwarzsichtigkeit suhlen. Egal, wohin man blickt. Seehofers als Asylnörgli. Die Kriege sowieso und immer als Erhaltungsdosis. Der politische Rechtsruck in Europa, nicht nur in den Wischiwaschistaaten. Alice Weidel sprach gestern in Anlehnung an Gaulands ‚Wir werden sie jagen‘ von einer schon begonnenen Jagd. Trump wird von mir als absurdes Theater wahrgenommen; da fehlen mir die Worte und Vergleiche. Und Sammellager „Kontrollierte Zentren“ zu nennen – meine Güte, wie weit sind wir bereits auf einer nach unten offenen Naziskala. Und unter Kollegen schweige ich bei politischen Themen neuerdings, weil es einfach keinen Sinn ergibt, gegen Windmühlen anzukämpfen, selbst wenn sie ökologisch=nachhaltig betrieben werden.

  3. @Markus: danke! Der Begriff „nach unten offene Naziskala“ gefällt mir!

    Es ist reine Paranoiapolitik, die derzeit läuft, befeuert von der AFD, die kein anderes Thema kennt. Und alle Welt sitzt ihnen auf…

  4. @Markus: danke! Der Begriff „nach unten offene Naziskala“ gefällt mir!
    Es ist reine Paranoiapolitik, die derzeit läuft, befeuert von der AFD,
    die kein anderes Thema kennt. Und alle Welt sitzt ihnen auf…

    Hallo Markus, Hi Claudia, hallo Ihrs,

    Wie lange dauert es noch bis wir alle die Nase voll von
    dem ganzen Kram haben, Back to the roots auf die
    schlappenden Fähnchen kritzeln und irgendwie „nicht amused“
    dann doch noch die Kurve kriegen?

    rückbesinnung. rolle Rückwaerts, denken, handeln, fühlen.
    irgendwie auf der verwirklichungsschiene just in Time
    zu leben, es ist was ist und was mir gefällt das mache ich.

    my home isch my caschtle, und wehe, irgendein wonneproppen
    versaut mir meinen rasen, quert mir meine tätigkeiten,
    spricht oder denkt schlecht über alles was er/sie sieht.

    wir sind nicht schlecht, wir sind nur ungeübt im besitzen
    von Freiheit. AUSÜBEN von Freiheit. Tun, just living for Live.

    jeder Tag könnte sowiso der letzte sein, also warum mal nicht
    alles auf eine Karte, mit guter Laune in den Tag und alles
    was auch nur im entferntesten Vergnügen bereitet gut finden?

    Warum nicht mal einen Tag ohne die Schuld von anderen im Genick
    selber vollkommen unbelastet draufhaun, leben, fehler machen
    und diese als solche erkennen und in Zukunft vermeiden?

    wo sind die ganzen liebenswerten Strolche deren einziges
    Verlangen es war einen Tag pro Woche in aller Ruhe die
    Freiheit der Freiheit auch geniessen zu können?

    BOAH! wat war datt leccckeeeer!

    von wegen Kühlschrank, Panzersicherung und Scharfschussanlagen
    vor der Haustür?

    braucht ein freier Mensch irgendeine art von Regierung?
    irgendeine Art von Krieg in mehr als 1000Km Entfernung
    um seine ….. vor der Haustür zu verteidigen?

    rutscht mir alle den Pukkel runter, eure Lügen
    haben viel zu kurze Beine um die wahre Freiheit
    auch nur im geringsten zu tendieren.

    das schallende gelächter von nur 10 wirklich freien Menschen
    pro gemeinde sollte ausreichen, den Rest der welt einmal pro
    woche mindestens verdriesslich nachdenklich werden zu lassen,
    jede woche eine freie mehr und irgentwann in absehbarer
    Zukunft sind bomben und fakenews vollkommen überflüssig.

    lacht mal wieder, spielt und seid verdammt noch mal so frei
    wie ihr immer schon mal sein wolltet!

    zum Teufel mit der Angst, Angst ist nur ein mittel zum Zweck
    und dieser Zweck heisst kontrolle.

    soweit ein paar rebellierende Gedanken
    mit freundlich gemeinten gruessen von der
    heute kaum noch wasser führenden rems
    -ingo

  5. Man sagt, die Summe der Süchte sei konstant. Augenscheinlich gilt dies auch für Probleme und wie wir sie wahrnehmen und beurteilen. Auf meinen Pessimismus bin ich stets stolz gewesen, bildete ich mir doch ein, die Welt annähernd realistisch zu beurteilen und den Schönrednern nicht auf den Leim zu gehen, den unausstehlichen Optimisten und Gutgelaunten.

    Doch was, wenn diese Schwarzsichtigkeit genauso daneben ist wie das FFF (Friede, Freude, Palatschinken). Einer der Wahrnehmungsfilter nennt sich das „Gesetz der zunehmenden Penetranz der negativen Reste“. Wenn Probleme gelöst werden, werden neue identifiziert bzw. wenn sich ein Problem verringert, „weiten Menschen reflexartig dessen Definition aus und betrachten automatisch mehr Umstände, mehr oder andere Details, die sie dann als Problematisch ansehen. Es sieht so aus, als gucken wir „immer kritischer auf den Zustand der Welt“, „je stärker sich dieser zum Positiven entwickelt, „so daß sich der Fortschritt quasi selbst verbirgt.

    Daß die Welt besser ist als gedacht, zeigen Statistiker wie Hans Rosling. Mit seinem Buch „Factfulness“ habe man eine Handhabe, um mit Fakten und Zahlen belegen zu können, daß sich Dinge meist zu ihrem Besseren entwickelt haben.

  6. Inspiriert durch Ingo und Markus:

    Dass ich hier im Diary mein Missfallen über politische Entwicklungen kund tue, heißt nicht, dass ich das Leben nicht genieße!

    Bei jedem gemeinsamen Kochen mit meinem Liebsten thematisiere ich das Paradies, in dem wir leben: allein der Salat besteht aus bis zu 15 Pflanzen (davon 7 aus dem Garten), die Gemüsebeilage bringt nochmal 5 auf den Teller – und immer noch kann ich Fisch essen, ohne daran arm zu werden.

    Arbeitstechnisch sitze ich gemütlich vor dem heimischen PC und schreibe derzeit hauptsächlich Auftragsartikel über ziemlich schadensarme Produkte wie Gartenhäuser und Pflanzkübel für die Webseiten der Vertreiber. Ich stehe auf, wenn ich munter werde und gehe ins Bett, wenn mir danach ist. Als „Altmieterin“ ist meine Miete im beliebten Friedrichshain noch bezahlbar, vor dem Fenster erstreckt sich ein großer Platz mit Wiese und Kinderspielplatz und Tischtennisplatten für alle. ÜBerall Bäume, weiter Blick – und auf meinem Balkon wachsen 5 Tomaten, werden riesig, trotz Nordseite.

    Das Bundeskleingartengesetz ermöglicht es mir, für schlappe 450,- einen Garten von 440 m² zu bewirtschaften, 20 Fahrradminuten von meiner Wohnung, was im Sommerhalbjahr einigermaßen Fitness bewirkt und viel Freude macht.

    Als Ehrenamt konnte ich 2013 zusammen mit dem Liebsten ein Projekt starten und per Crowdfunding finanzieren, das freiwillige Übersetzer versammelt, die deutsche Amtsformulare in die Sprachen der Flüchtlinge übersetzt – läuft noch immer, getragen von einem über 30 Jahre alten gemeinnützigen Verein, der sich immer schon in Beratung und Hilfe für Geflüchtete und Migranten engagiert, mittlerweil mit vielen „hauptamtlichen“ Stellen aus verschiedenen Förderschienen unterschiedlicher staatlicher und weniger staatlicher Institutionen.

    Über mein Smart-TV hab ich Zugriff auf unendlich viele Medienangebote, nicht nur Unterhaltung, Filme etc. sondern auch richtig tolle Dokus. Zum Einkaufen hab ich die Wahl zwischen 3 Supermärkten in nahezu fußläufiger Entfernung – und wenn ich nicht soweit laufen bzw. das Fahrrad nutzen will, dann sind es wenige Schritte zu den beiden „Spätis“ in meiner Straße, die dankenswerterweise vom Immigranten betrieben werden, seit sich sowas für Alteingesessene nicht mehr rechnet. Ach ja, vier Bäcker erreiche ich auch in der direkten Umgebung – es ist nicht zu fassen, wie gut es mir geht und wie wohl versorgt ich durch die vorhandenen Strukturen bin.

    Wenn mir das alles nicht hilft, weil ich nicht viel und nicht schwer tragen will (z.B. Getränkekasten, wenn Gäste…), kann ich hier in Berlin zwischen 4 Lieferdiensten wählen – einen davon hab ich grade genutzt, der sogar binnen weniger Stunden liefert.

    Und wenn ich – was ich meist vermeide – doch mal zum Arzt muss, hab ich ebenfalls direkt hier um die Ecke sowohl den Allgemeinen als auch die Spezialisten – und wenn ich die nerve mit der Hinterfragung ihres Tuns, werde ich in die Charité-Sprechstunde geschickt, wo man noch richtige Spitzenmedizin und kompetente, gesprächswillige Ärzte antrifft, man glaubt es kaum!

    Dank Garten hab ich kaum ein Urlaubsbedürfnis, außer am Ende des in Berlin so elend langen Winters. Dann fliege ich zu sehr erschwinglichen Preisen mit dem Liebsten für ne gute Woche nach Sizilien oder Südspanien und freue mich an vergleichsweise sommerlichen Temperaturen und sehr bezahlbaren Unterkünften in großer Auswahl.

    Ja, so ist mein privilegiertes Leben in Deutschland, über dessen Missstände es so viel zu schreiben gibt. Dabei bin ich einkommensmäßig weit im unteren Drittel, erwarte keine auskömmliche Rente und verfüge nicht über relevante Rücklagen – und dennoch geht es mir gut! Soll ich jetzt anfügen: Noch… ? Nein, denn im Grunde mache ich mir nicht wirklich Sorgen, auch als „Grundsicherungsempfängerin“ im Alter werde ich nicht verhungern und irgendwie über die Runden kommen. So eine PC-Tastatur kann mensch ja ziemlich lange bedienen, auch wenn die Einschränkungen zunehmen. Geistig am Ball bleiben voraus gesetzt.

    Habt einen schönen Sommertag!

  7. Hi Markus, hallo Claudia, Hallo Ihrs:)

    Geistig am Ball bleiben voraus gesetzt.

    der Flurfunk funktioniert noch:)
    danke, Claudia für deine gelungene
    generalrundumschlagssituationsbeschreibung
    (manchmal hab ich spass an langen wortgetümen).

    die sprachlichen Kulturbubblebegriffszusammenhangsvernetzungen
    meiner persönlichen Entwicklungsgeschichte bis heute kann ich
    -noch- nicht so präzise auf den Punkt bringen, ich arbeite noch dran:).

    Markus verlinkt den positiven Schweden, der Link trifft
    ins Mark meiner Enttäuschung. TTT; Titel Thesen Themperamente.
    Mainstream. kurz und knackig allgemein verständlich heile
    Welt auf den Punkt der keiner ist gebracht.

    Meine
    Weltoberflächenspannung ist nicht mehr so stark als das
    ich noch drübergehen könnte in der Meinung sie trägt mich
    sicher in die Zukunft, Sie hat Risse, Schlaglöcher geradezu.
    mir ist klar geworden dass ich nicht von mir auf die Welt
    schliessen kann genausowenig wie ich den Umkehrschluss
    der Welt auf mich weiterhin aktzeptieren kann.

    ich bin im Stadium „es ist was es ist“; meine in 61 langen Wintern
    erworbene Kulturtechnik grenzt die Unterscheidung zwischen
    halbvollen/leeren Gläsern aus, verneint allgemeingültige
    globale Welteinschätzungssysteme.

    Nichts gegen einen gesunden Pessimissmus, aber die Erwartung dass alles schlimmer kommen wird wie befürchtet, befriedigt mich nicht besonders:).

    Ich gewinnne diesen Propagandmonstern nichts mehr ab,
    sie sind für mich nur noch Beiwerk einer allgemeinen
    Verdummungsmaschinerie die gerade erst begonnen hat
    die Arbeit an ihrer eigentlichen Bestimmung aufzunehmen.

    Die Erkenntnis, selber an den globalen Verhältnissen
    „sowiso nix“ verändern zu können erschüttert mich nicht mehr,
    es ist mir schlichtweg egal. der Kaffeepreis bei Aldi
    lässt mich nicht mehr über die Arbeitssitution in der
    Erzeugerländern nachdenken,er ist ausschliesslich nur noch
    ein Posten auf dem Kassenzettel.

    Ein öffentlich-rechlicher Hinweis auf Klimawandel,
    „die Reichen werden reicher“ und der ganze damit zusammenhängene Begriffsmüll geht mir nur noch periphär am Allerwertesten vorbei.

    Das System von künstlich geschaffener Bedrohungslage
    und alternativlos notwendiger Gegenmassnahmen bewirkt bei mir
    nur noch reflexartiges Würgen weit im Hintergrund meiner gereizten Kehle.

    mir fehlt jetzt die Zeit das Ganze in verständlichere Begriffshülsen
    zu verpacken, sehe nebenher
    https://www.youtube.com/watch?v=10w_uFNCImE
    Herrn Drewermanns Wut auf globale Ungerechtigkeiten
    und muss trotzdem in 2,5 Stunden (um ca 5:30) zur S-Bahn
    dann 12 km mit dem Fahrrad zu meinem neuen Arbeitsplatz.

    ja. und trotzalledem und dem und dem… zur zeit gefällt mirs,den Blick nach vorn zu klären, was bleibt zu tun und wie werde
    ich damit zufriedenstellend fertig.

    unsortierte Grüsse von der heute wieder
    angeschwollenen Rems
    ingo

  8. Hier ein aktuelles Interview, das die Problematik besser aufzeigt als der doch etwas polemische Empörungsartikel von Claudia.

    https://bazonline.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/der-westen-soll-die-entwicklungshilfe-einstellen/story/14991589

    Die Frage ist, inwieweit ein Land verpflichtet ist, Menschen aus anderen Ländern, die illegal einwandern, aufzunehmen. Bei den Flüchtlingen, die übers Mittelmeer kommen, handelt es sich in der Regel nicht um politisch Verfolgte oder Kriegsflüchtlinge, sondern um Menschen, die auf ein besseres Leben hoffen. Für diese Art von Einwanderung gibt es normalerweise überall Regeln, die einzuhalten sind und eben auch Absagen, wenn derjenige den Bedingungen des Einwanderungslandes nicht genügt.

    Eine Absage an Menschen, die illegal einwandern, ist weder Abdriften in Hass und Hetze noch Verrohung der Gesellschaft. Grenzen sind zur Differenzierung verschiedener Lebensentwürfe notwendig. Grenzziehung per se auf einer wie immer gearteten Nazi-Skala einzuordnen, ist populistisches Gehabe, wie man es ansonsten Donald Trump unterstellt.
    Ich finde die Empörung, die aus dem Artikel spricht, unangebracht.

    Schließlich ist es doch gerade dieser Art von Empörung zu verdanken, dass die Politik sich auf derart beknackte und undurchdachte Wischi-Waschi-Lösungen überhaupt einlässt und nicht von vornherein klare Regeln aufstellt, wie das andere Einwanderungsländer machen.

  9. @fingerphilosoph:

    Die Flüchtlingsproblematik braucht man mir nicht zu erklären, da bin ich seit Jahren aktuell eingelesen! (Deinen Link dennoch ebenfalls gesichtet: lesenswert, aber auch keine Rechtfertigung dafür, Leute im Meer ertrinken zu lassen!).

    Wie schrieb mir kürzlich Thinkabout auf Twitter: „Politik kann nicht prinzipiell vor schaukelnden Schlauchbooten verhandelt werden“. Genau so ist es! Es war seine Antwort auf den sehr lesenswerten Beitrag

    Der Untergang – Es gibt plötzlich zwei Meinungen darüber, ob man Menschen, die in Lebensgefahr sind, retten oder lieber sterben lassen soll. Das ist der erste Schritt in die Barbarei.“

    Dem stimme ich zu. Die Herausgeber haben sicher nichts gegen ein Langzitat:

    „Wir können uns nicht auf Menschenrechte, Aufklärung und Humanismus berufen und gleichzeitig die Rettung Ertrinkender kriminalisieren. Der kleine Stolz, den man noch vor Kurzem empfinden konnte, ein Europäer zu sein, er ist zusammen mit Tausenden Männern, Frauen und Kindern im Mittelmeer ertrunken. Während wir alle im Fernsehen, auf Twitter und Facebook nahezu live dabei zusehen können.

    Es geht nicht um unterschiedliche Auffassungen, wie man mit Migranten- und Flüchtlingsbewegungen umgehen soll. Es geht nicht darum, dass man »nicht alle aufnehmen« kann. Es geht schlicht um ein Mindestmaß an Zivilisiertheit: Wer gerade dabei ist, zu ertrinken, der ist weder Flüchtling noch Migrant, der ist weder Afrikaner noch Europäer, weder Muslim noch Christ, der ist ein Mensch, der gerade dabei ist, zu ertrinken, und man muss alles unternehmen, um ihn zu retten.

    Danach kann selbstverständlich jeder streng kontrollierte Grenzen fordern, die Einhaltung des Dublin-Verfahrens, Hilfe vor Ort statt »bei uns«, alles gut und richtig. Man kann sogar der Meinung sein, Flüchtlinge sollten, wenn sie es bis hierher schaffen, möglichst nicht am öffentlichen Leben teilnehmen dürfen, damit sie sich bloß nicht integrieren und schnellstmöglich zurückgeschickt werden können, wenn Gerichte das so entscheiden. Menschen aber sehenden Auges ertrinken zu lassen, als abschreckendes Beispiel für andere, das ist keine Meinung. Es ist der erste Schritt in die Barbarei. Prozesse gegen diejenigen zu führen, die tausende Menschen vor dem Tod gerettet haben, ist der zweite Schritt dorthin. Den dritten möchte ich mir lieber nicht vorstellen.“

    Übrigens antwortet auch der Autor im von dir verlinkten Artikel auf die Frage: Soll Europa die Wirtschaftsmigranten aufnehmen oder sich abschotten?

    „Echte Flüchtlinge müssen aufgenommen werden“.

    (Der Rest sei Verhandlungssache zwischen EU- und Afrik. Staaten).
    Es ist sonnenklar, dass dies nicht auf dem Meer unterschieden werden kann – da müssen erstmal alle gerettet und NICHT zurück in libysche Folterlager verwiesen werden. (Dazu mal lesen: „Ich habe Flüchtlinge aus dem Meer gerettet – Glaubt nicht den Lügen der AfD“)

    Egoismus, Hass und Hetze wird am laufenden Band und massenhaft in den Medien ausgedrückt und sickert langsam in immer größere Kreise, in die „Mitte“. Damit wird dem Faschismus der Boden bereitet, der ganz gewiss nicht bei der Abwehr und Diskriminierung der Flüchtlinge halt machen wird, sondern, wie die Geschichte (und tendenziell auch schon die Gegenwart in der Türkei, in Ungarn…) lehrt, immer weitere Kreise als „Andere“ bzw. „Feinde“ ausgrenzen, bekämpfen und schließlich vernichten wird.
    Insofern bezog sich mein Posting nicht allein auf den sowieso wenig konkreten EU-Beschluss, sondern auf den gesamten gesellschaftlichen Trend nach rechts und rechtsaußen.

    Dass man mit Afrika viel kreativer umgehen könnte/müsste, finde ich auch. Das sprengt allerdings den thematischen Rahmen dieses Blogposts. Evtl. bald mal was dazu.

  10. Wenn ein Obdachloser vor Deiner Wohnung in einen Hungerstreik tritt, womöglich mit einem entsprechenden Schild um den Hals, auf dem steht: „Ich verhungere, weil Claudia mich nicht in ihrer Wohnung aufnimmt“, wie reagierst Du in diesem Fall? Wie reagierst Du, wenn jemand bereits im Vorfeld mit Deinem Humanismus kalkuliert und ihn ausnutzt, um von Dir gerettet zu werden?

    Sagst Du: „Okay, mein Humanismus fragt nicht nach der Motivation, jeder hat das Recht gerettet zu werden, also herein mit dir. Dein Hungerstreik gibt dir das Recht, ab jetzt bei mir zu wohnen.“
    Wenn Du tatsächlich so reagierst, dann lasse ich gelten, was Du sagst, wenn ich auch nicht Deiner Meinung bin. Ich möchte mich nicht erpressen lassen, das gilt auch dann, wenn sich einer aus diesem Grund in Lebensgefahr begibt.

    Für mich macht es einen Unterschied, ob ein Mensch sich kalkuliert in Lebensgefahr begibt bzw. andere in Lebensgefahr bringt (wie die Schlepper), oder ob ein Mensch unabsichtlich in Lebensgefahr gerät. Es besteht keine humanistische Pflicht, Menschen bei sich aufzunehmen, die sich absichtlich in Lebensgefahr bringen, um damit etwas zu erreichen, was sie auf legalem Weg sonst nicht erreichen. Wenn daraus eine Methode wird – und das ist ja der Fall – zerstört diese Methode den Humanismus. Was man ja auch beobachten kann.

    Was Europa der Welt momentan vorführt, ist, wie man sich erpressen lässt. Länder, die im Vorfeld klare Regeln setzen und diese dann auch einhalten, haben nicht Europas Probleme.

  11. Humanismus kann nicht ausgenutzt werden. Er gibt & gilt freiwillig jedem. Die Menschen, die zu uns flüchten, sagen sich nicht: Oh, jetzt setze ich mich mal in dieses Boot, weil ich die europäische Politik aufmischen will, was für ein Heidenspaß.

    Wenn man dein Kriterium der kalkulierten Lebensgefahr stringent anwenden wollte, dann müßte man 90% der Bronchialkarzinome unbehandelt lassen, weil Menschen geraucht haben. Man müßte den größten Teil der Herzinfarkte, Schlaganfälle und weitere durch falsche Lebensweise entstandene Krankheiten sich selbst überlassen. Man dürfte keine verunfallten Sportler mehr kurieren, keine schiefgegangenen Selbstmörder mehr therapieren. Jeder Verkehrsteilnehmer setzt sich freiwllig der Gefahr aus, vom nächsten LKW umgenietet oder der nächsten Straßenbahn 100 Meter mitgeschleift zu werden.

    Eine Gemeinschaft von 500 Millionen Menschen sollte fähig sein, sowohl kurzfristig den verzweifelten Menschen auf der Lebensgefahr zu helfen als auch langfristig die Weichen zu stellen, daß die Fluchtursachen in den Herkunftsländern ausgemerzt werden. Und wenn der Klimaschutz nicht gelingt, werden uns die vor Dürre und Wassernot Fliehenden sowieso die Bude einrennen. So abschotten können wir uns gar nicht, daß wir diesem Ansturm gewachsen wären.

  12. @fingerphilosoph: die setzen sich nicht in die Boote, um „zu erpressen“, sondern weil sie vor Zuständen fliehen, vor denen wir auch fliehen würden, wenn wir könnten! Und dein Obdachlosenbeispiel hinkt gewaltig, denn wir leben nicht als isolierte Individuen in verstreuten Behausungen, sondern in einem Rechts- und Sozialstaat, in dem wir Steuern und Sozialbeiträge zahlen, um solche Problematiken kollektiv zu organisieren. Und erzähl mir nicht, wir wären durch die Flüchtlinge an der Grenzen des Leistbaren angekommen! Das stimmt einfach nicht, nicht in Deutschland und auch nicht in diversen anderen europ. Staaten.
    Auf mein Argument, dass man nicht in den Booten entscheiden kann, wer ein Recht auf Asyl oder subsidiären Schutz hat und wer nicht, gehst du wohlweislich nicht ein! Gerettet werden muss auf jeden Fall, das gebietet die Menschlichkeit – und wenn man das aufgibt, greift die Barbarei umso mehr um sich.

    @Markus: danke! Diese Weiterungen wären mir jetzt gar nicht eingefallen… und auch den Dreh zum Klima finde ich richtig. Ich denke deshalb auch mehr und mehr um, was das Beharren auf Beständen, die uns lieb sind, angeht.

    Insgesamt: die Politik reagiert lahm und fantasielos (wenn nicht direkt menschenfeindlich) auf die gesamte Problematik mit Flüchtlingen. Warum hatte z.B. niemand mal die Idee, eine „internationale Stadt der Zukunft“ vorzuschlagen und europäische Möglichkeiten zur Förderung zu nutzen, um – am besten in einem wirtschaftlich rückständigen Gebiet – eine neue Bleibe für Zuwanderer und vielerlei Initiativen zu erschaffen? Ein Ort mit Perspektiven, mit Bildungseinrichtungen, Wohnungsbau, biolog. Landwirtschaft, warum nicht als Freihandelszone, um Unternehmen anzulocken? Ja, da gibt es viele „geht nicht, weil…“, aber m.E. liegt es mehr am mangelnden Willen, mangelnder Fantasie, fehlender Initiative und Trägheit.