Claudia am 20. November 2012 —

Zum Recht auf einen medizinisch betreuten Freitod (Hart aber fair)

In der ARD-Themenwoche geht’s diesmal – passend zum November – um Tod und Sterben. „Sie werden sterben. Lassen Sie uns drüber reden“ heißt es im Trailer. Und so ging es gestern bei „Hart aber fair“ um die Frage, ob Ärzte beim Sterben helfen dürfen sollten: also nicht nur Leiden lindern, sondern auch beenden, wenn der Patient das wünscht.

Zu Gast war der Arzt Uwe-Christian Arnold, der seit vielen Jahren Menschen beim Sterben hilft. Jedoch nicht so, wie es gerne hingestellt wird: auf Bestellung vorbei kommen und den Cocktail anrühren, womöglich gegen einen stattlichen Geldbetrag. Arnold ist oft Jahre lang in Kontakt mit seinen Patienten, schöpft alle anderen Möglichkeiten aus, vermittelt palliative, psychotherapeutische und sogar seelsorgerische Betreuung und nimmt auch Kontakt zu den Angehörigen auf. So kommt es, dass nicht alle ihren Vorsatz wahr machen – einige aber doch, nämlich dann, wenn ihnen ihr weiteres Leben nurmehr als Last und Leiden erscheint.

Menschen, die nicht mehr leben wollten

Wie so ein Sterben verläuft, wurde dann in Einspielern gezeigt: der Querschnittsgelähmte, der nach 10 Jahren Unbeweglichkeit endlich gehen will, die Krebskranke, die drei Jahre „gekämpft“ hat, nun aber keinen Sinn mehr darin sieht, die finale Phase noch erleben zu sollen. Und Walter Bolinger, Schweizer Unternehmensberater, erzählte von seiner Frau, die mit EXIT aus dem Leben ging, da sie die fortschreitende Alzheimer-Krankheit mit extremer Hilfsbedürftigkeit nicht ertragen mochte.

Dem Kapuzinermönch Bruder Paulus, Gegner jeglicher Form von Suizid-Hilfe, wurde es wie er sagte „ganz kalt“ bei diesen Geschichten. Was ich ihm nicht abnehme, denn sein Statement, Bollinger hätte seiner Frau doch auch die Rasierklingen reichen können, zeugt aus meiner Sicht weit eher von Herzenskälte als die Einstellung jener Angehörigen und Ärzte, die den Wunsch, zu sterben, respektieren und unterstützen.

Palliativ-Medizin: nicht überall zugänglich, nicht immer wirksam

Dr. Barbara Schubert, Leitende Oberärztin am St. Joseph-Stift Dresden, brachte die üblichen Argumente der Palliativmedizin: Mit entsprechenden Behandlungen könne man das Leiden lindern und das Sterben erträglich machen. Dass diese Versorgung trotz Rechtsanspruch bei weitem noch nicht flächendeckend zur Verfügung steht, also derzeit noch immer viele Menschen einen üblen Todeskampf erleben müssen, ist aus dieser Sicht bedauerlich, ändert aber nichts.

Aber mehr noch: Sie musste zugeben, dass es Leiden gibt, die am Ende nicht mehr „aufs erträgliche Maß“ herunter medikamentiert werden können. Dann bleibt für Frau Schubert nur das „dabei bleiben“ – schließlich gehöre das Leiden zum Leben und müsse also akzeptiert werden.

In diese Kerbe haute auch Bruder Paulus, der zum Besten gab, dass die menschliche Seele in extremen Situtationen durchaus über sich hinaus wachsen könne. Als Beispiel diente ihm ein jugendliches Unfallopfer, das beide Beine verlor und es dennoch schaffte, dieses Schicksal anzunehmen und das Beste daraus zu machen.

Was für ein absurder Vergleich! Es kommt schließlich darauf an, welchen SINN man als Betroffener einem Leiden noch beimessen kann. Ist keine Besserung mehr in Aussicht, sondern nur immer mehr Leiden bis endlich der Tod eintritt: Warum zum Teufel soll man das aushalten?

Was ich mir zumute, will ich selbst bestimmen

An der Stelle nervt und ärgert mich die Übergriffigkeit der religiös Motivierten: Ich möchte selbst entscheiden, was und wieviel ich meiner Seele am Ende noch zumute! Und kein Staat und kein Priester hat das Recht, mir da hinein zu reden. (Dass kein Arzt dazu GEZWUNGEN werden darf, gegen seine persönliche Ethik solche Sterbehilfe zu leisten, sehe ich als selbstverständlich an. Es geht hier darum, ob Ärzte es DÜRFEN sollen.).

Henning Scherf, ehemaliger Bürgermeister von Bremen, verwies natürlich auf die deutsche Euthanasie-Geschichte und warnte davor, dass wir da wieder „hinein rutschen“ könnten. Ich sehe das nicht so, denn nicht der Staat soll darüber befinden, wann „genug gelitten“ ist, sondern jeder Mensch für sich. Und da die Ärzte nun mal die einzigen sind, die den Zugung zu entsprechenden Medikamenten haben, braucht es sie für einen angenehmen Tod.

Warum nicht sich und anderen die Bürde abnehmen?

Dass Angehörige nicht nur altruistische Motive haben könnten, wenn sie dem Suizid zustimmen, kam auch kurz zur Sprache. Wobei schon die „Befreiung von der Last der Pflege“ bzw. das nicht mehr ertragen können der Leiden des Sterbenden als problematisch dargestellt wurde. Es dürfe doch nicht sein, dass der Sterbende deshalb gehe, weil er dem Umfeld nicht mehr weiter zur Last fallen wolle.

Ja warum eigentlich nicht? Wir sind nicht total voneinander getrennte Menschen und die Last der Pflege spielt selbstverständlich eine Rolle: sowohl für die Angehörigen und Pflegenden, wie auch für den Sterbenden. Warum sollte ich noch Tage und Wochen dahin vegetieren und allen eine Bürde sein, wenn es doch nicht mehr besser wird? Oder, mal krass gesagt: Warum abwarten, bis ich als Demente meine Exkremente an die Wände schmiere? Will ich das irgend jemandem zumuten? Lieber nicht!

Aber bei allen Varianten einer möglichen Suizid-Entscheidung in der Vorschau auf schmerzliches oder unwürdiges Sichtum halte ich es für eine wesentliche Unterstüzung, zu wissen: ich KÖNNTE gehen, wenn ich will. Das hilft nämlich auch dabei, Leiden besser zu ertragen und vielleicht auch „über sich hinaus zu wachsen“.

Das Publikum war – wie immer in dieser Frage – in überwältigender Mehrheit für das Recht auf ärztlich begleiteten Freitod. Die Politik und die Institutionen werden diesem Trend auf Dauer nicht widerstehen, da bin ich mir relativ sicher.

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Diskussion

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9 Kommentare zu „Zum Recht auf einen medizinisch betreuten Freitod (Hart aber fair)“.

  1. Ein warmes Dankeschön, liebe Claudia für diesen Beitrag!
    Die Sendung habe ich auch gesehn und habe mich richtig geärgert über die Äusserungen des Kapuziners.Dieses wiederholte Zurückkommen auf Kälte (seine!)war höchst irritierend…insbesonders nach der beeindruckenden Schilderung der Umstände im Falle von Herrn Bollinger und seiner Frau. Ich stimme Dir in allen Punkten zu und hoffe sehr, dass in solch sehr persönlichen Fragen auch das persönliche Verhältnis zur Religion berücksichtigt wird,was für mich bedeutet, dass Schuldzuweisungen von solch zweifelhaften Obrigkeiten nicht nur überflüssig, sondern auch unzulässig sind.

  2. Anfang 2011 hattest du auf deinem Blog „Die Kunst des Alterns“ einen Gastbeitrag zu diesem Thema.

    http://www.kunst-des-alterns.de/2011/03/vom-freitod-und-den-grenzen-der-freiheit/

    Ich hätte damals gerne kommentiert, habe es dann aber bleiben lassen. Heute mag ich, auch wenn ich die Sendung nicht gesehen habe, aus eigener Betroffenheit etwas dazu sagen.

    Grundsätzlich stimme ich dir zu, dass jeder Mensch bis zum Schluss Herr über sich selbst sein sollte. Eigentlich darf ich das als praktizierende Christin ja gar nicht laut sagen. ;-) In den zurückliegenden 10 Jahren waren mein Mann, meine Söhne und ich sehr stark in die Pflege alter und hilfsbedürftiger Menschen eingebunden. Das Siechtum mitzuerleben war kaum auszuhalten. Ich sah regelmäßig nach dem Lebensgefährten meiner Mutter, der in einem Altenheim seine letzen Jahre verbrachte. Er war sehr tapfer und hat sein Schicksal angenommen. Doch manchmal kam er eben doch der Satz: „Ich mag nicht mehr“. Und da dachte ich oft: „Es wäre gut, wenn….“ Aber ich sehe auch die große Gefahr und den „Markt“ der Sterbehilfe. Menschen machen aus allem Geld. Wo die Grenze ziehen? Hier eine gute Lösung zu finden bleibt ein großes Stück verantwortungsvolle Arbeit.

    In der Bibel gibt es nur sehr wenige Stellen, die über den selbstgewählten Tod berichten. Die meisten wirst du im AT finden z.B. Richter 16,30, 1.Samuel 31,4-5. oder 2. Samuel 17,23. Im neuen Testament fällt mir jetzt nur Judas bei Matthäus ein. Er erhängte sich nach dem Verrat. Alle Tode werden ohne Betroffenheit und Bewertung beschrieben. Gründe werden zwar genannt, bleiben aber unkommentiert. Erst mit Augustinus setzte eine Entwicklung der Bewertung ein, die zu einer veränderten Haltung führte. Sowohl in der katholischen als auch in der evangelischen Kirche hält man am „JA“ Gottes zum Leben fest. Martin Luther sah im Suizid das Werk des Teufels. Er verurteilte die Tat, nicht das Opfer. Die Tat bleibt für beide Kirchen unverständlich und wird nicht gebilligt. Aber unabhängig davon wird der Mensch nicht verteufelt und landet wegen der Tat nicht in der „Hölle“, wie kürzlich ein anonymer Gast in meinem Blog kommentierte. Diese Vorstellung hat mit meinem Glauben nichts zu tun. Egal für welchen Weg sich ein Mensch entscheidet, er bleibt auch weiterhin der Gnade Gottes überlassen. Keinem von uns steht ein Urteil zu.

    Du sprichst noch den Aspekt der Freiheit an. Doch ist Freiheit nicht ein subjektives Gefühl? Gesund und krank, jemanden zur Last werden empfindet jeder in jeder Situation anders. Aus eigener Betroffenheit kann ich sagen, dass ich heute dankbar dafür bin, dass meinem Wunsch nach „Selbstbestimmung“ während meiner Krankheit nicht nachgegeben wurde. Ein hochsensibles Thema hast du da mal wieder aufgegriffen. Danke dafür.

  3. Liebe Frau Klinger,

    vielen Dank für Ihre sachliche Analyse und das klare Bekenntnis. Ich habe mir erlaubt, als eventuell zukünftig betroffener Sohn einer sterbewilligen Mutter, einen offenen Brief an Bruder Paulus zu schreiben.

    Über einen Kommentar ihrerseits würde ich mich wirklich sehr freuen.

    http://radwechsel.net/wordpress/2012/11/20/offener-brief-an-bruder-paulus-sie-machen-mir-angst

    Vielen Dank

  4. Habt Dank für Eure Kommentare zu diesem schwierigen Thema!

    @Christa: interessante Infos über Bibel versus Kirche!

    Angesichts der Hartherzigkeit eines Bruder Paulus würde ich – auch als Nicht-Kirchenmitglied – weiter fragen: Warum sollte denn ein LIEBENDER GOTT von den Menschen verlangen, dass sie in für sie unerträglichem Leiden ausharren bis zum Ende? Mir scheint, der Gott, der so ewas fordert, ist nicht der von Jesus verkündete Gott, sondern eher der Stammesgott des alten Testaments, der z.B. mit Hiob regelrecht sadomasochistische “Spiele” aufführt: mal schauen, ob Du zu mir stehst, egal, wie dreckig es dir geht

    ***

    Auf Kunst-des-Alterns gibts auch noch einen aktuelleren Post zum Thema, der durch die ablehnende Haltung eines bloggenden Arztes inspiriert war:

    Zum Recht auf ärztlich begleiteten Freitod

  5. Liebe Claudia,

    Diese Schriftspache hat wirklich ihre Tücken. Ich hoffe doch sehr wir haben uns nicht missverstanden. Ich sag‘ nicht’s anderes als du. Ich verbiete mir, bei einer Selbsttötung ein Urteil über einen Menschen zu fällen. Ich lebe in dem festen Vertrauen, dass dies der Weg des Suizidenten zu Gott ist auch wenn ich diesen Weg nicht immer gutheißen kann. Selbsttötung ist eine Möglichkeit seinem Leiden ein Ende zu setzen, aber es ist auch die letzte.

    Es geht mir nicht mehr dreckig. Die trüben Gedanken habe ich vor mehr als zwanzig Jahren hinter mir gelassen. :-) Ich wollte in meinem letzten Absatz zum Ausdruck bringen, dass eine Krankheit ganz schön unfrei machen kann.

    Schade, dass ich die Sendung nicht gesehen habe.

  6. Liebe Christa, ich weiß nicht, wie du auf ein „Missverständnis“ gekommen bist – ich sehe keines.

    Mein Absatz nach dem Dank an Dich für die Bibel-Infos, (beginnend mit „Angesichts der Hartherzigkeit eines Bruder Paulus…) enthält meine eigenen weiteren Gedanken zum Thema, wobei die HIOB-Geschichte mein Standard-Beispiel für einen NICHT liebenden Stammesgott ist – im Unterschied zu jenem, den Jesus verkündete.

  7. […] gespürt, als ich hier nach der Sendung “Hart aber fair” einen Artikel zum Thema “Recht auf einen medizinisch betreuten Freitod” […]