Claudia am 13. Juni 2012 —

Angelesen: Domian über den Tod

Noch hab‘ ich nicht viel gelesen in Domians Buch „Interview mit dem Tod“. Ich hab‘ es mir gekauft, weil ich wissen will, was einer, der so lange und häufig mit den schlimmsten menschlichen Katastrophen, Ängsten und Leiden in Kontakt kommt, zum Tod zu sagen hat.

Schon auf den ersten Seiten hat mich Domians Rückschau in die eigene Kindheit angesprochen. Er schreibt:

„Schon als 13-jähriger Hauptschüler, bildungsfern und ohne jeglichen intellektuellen Hintergrund, hatte ich den Tod in meinem Kopf. Warum müssen Menschen sterben? Was passiert danach? Wann sterben meine Eltern? Wie sterbe ich?…… Versuchte ich mit meinen Schulfreunden über derartige Fragen zu sprechen, so war die Diskussion schnell zu Ende. Sie interessierten sich nicht für meine Grübeleien und hielten mich bestimmt für einen Spinner“.

Gibt es Menschen, die eine Art „Grübel-Gen“ tragen, dass den Anderen fehlt? Über den Tod hab‘ ich in jungen Jahren nicht viel nachgedacht, wohl aber über den Sinn, den Sinn des Lebens angesichts des Universums in seiner Größe und Ignoranz gegenüber uns Stäubchen auf dem Sandkorn Erde.

Heute frage ich nicht mehr nach dem Sinn, der für mich jetzt im Leben und Erleben selbst liegt. Aber fast täglich passiert es mir, dass sich inmitten banaler Alltagssituationen ein Staunen, manchmal auch Gruseln einstellt. Da guckt man Fußball, ärgert sich in der Supermarkt-Schlange, sorgt sich um Kind, Haus, Karriere, freut sich an neuen Smart-Handys, die wieder mehr können – und um uns her ist da doch dieses schier unendliche Universum, dass diese Dinge geradezu lächerlich erscheinen lässt. Jederzeit kann uns ein Meteor treffen, der Yellowstone-Mega-Vulkan kann hochgehen, das Klima kann plötzlich kippen – wir leben inmitten möglicher Weltuntergangsszenarien und tun doch erfolgreich so, als sei alles stabil, sicher, garantiert. Man lässt sich gerne unterhalten und „schlägt die Zeit tot“ als hätte man die persönliche Unendlichkeit gepachtet.

Wenn mich diese Gedanken überkommen, wunder‘ ich mich und erlebe meine Mitmenschen für Augenblicke als blinde Zombies. Dann rufe mich schnell zur Ordnung, zur Normalität, zum Kümmern um die Erfordernisse des Alltags. Bis zum nächsten solchen „irren“ Moment.

Diskussion

Kommentare abonnieren (RSS)
6 Kommentare zu „Angelesen: Domian über den Tod“.

  1. Mein Sohn fragte mich mal, ob er vor seiner Geburt tot gewesen sei…
    So gesehen gibt es keine weiteren Fragen…
    Die Erfordernisse des Alltags lenken schön ab. Was für ein Glück haben wir doch…
    Gruß von Sonja

  2. @Sonja: dein Sohn ist ungemein weise! Dass wir vor der Geburt genauso nicht-existent waren wie wir es nach dem Tod sein werden, ist ja ein sehr tröstlicher Gedanke. Denn: es hat uns ja nicht gestört! :-)

  3. Es ist Tatsache und sehr beunruhigend, dass wir nichts (zuverlässig) vorhersagen können und alles sich jederzeit signifikant verändern kann, nichts sicher ist, nichts stabil. Dazu gehört die Gewissheit des Tods und die Ungewissheit der Art und des Zeitpunkts. Weiter, dass wir so gut wie nichts „wirklich“ wissen.

    Ich denke, dies wird von den vielleicht meisten zu selten oder nicht reflektiert. Besonders die letzte Aussage – wir wissen/verstehen/begreifen nichts wirklich, eine Generalisierung der Sokrates zugedachten Aussage „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ – begreift nur, wer sehr viel „wissenschaftliche“ Texte über den Menschen (Biologie [Genetik;Evolution;Säugetiere]/Psychologie) und der Physik und verwandte Gebiete liest (hört, denkt, sich damit beschäftigt).

    Allerdings würde ich wahnsinnig, riefe ich mir dies ständig oder häufig ins Bewusstsein. Es ist viel gesünder und mir sowie jener, die mit mir interagieren (noch umfassender: der „Menschheit“ insgesamt) zuträglicher, dies zu wissen, aber nicht fortwährend daran zu denken, es sollte jedoch eine der Grundlagen unseres Handelns sein.

  4. Verwundert, erstaunt, Claudia, daß Du dieses Thema anschneidest. Es ist doch in unser allen Köpfen, aber gleichzeitig mächtig tabuisiert.
    Bei mir ist es so, daß ich recht oft ans plötzlich schwere Erkranken denke – es kann in der Tat täglich passieren. Dies wissend, sollte ich meine Tage viel bewusster leben und nicht soviele Momente, Stunden, Tage und Wochen „minderwertig abgeben“.
    Aber mein Wissen um die Endlichkeit verhindert das leider nicht.
    Was mir manchmal gelingt, ist, meine Mitmenschen im Angesicht unserer Endlichkeit brüderlich zu nehmen – wir alle sind nur kurz da und versenken uns „gerne“ in so manche Aufgeregtheiten, Scharmützel und Egospielchen, als wüssten wir das nicht. Wir sollten uns als Brüder sehen, die alle dieses eine Los teilen. Da sollte man sich doch still umarmen und Verständnis für Manches haben.

  5. @Elmar: ich denke, vielen reicht auch schon der Blick in den Sternenhimmel, um zu wissen, das wir nichts wissen. Auch wenn die Astronomen alles, was man mittels Technik „sehen“ kann, bennent, fragt man doch leicht: und was ist „dahinter“? Und warum ist überhaupt etwas und nicht nichts?

    @Gerhard: ein schöner Gedanke, aus der Tatsache der allumfassenden Unsicherheit mehr Brüderlichkeit zu schöpfen!

  6. Was Gerhard schreibt: da geht mir tausend Mal der Daumen hoch! Sooo gut!
    Gruß von Sonja