Claudia am 24. Juli 2011 —

Massenmord für die Aufmerksamkeit – zu den Attentaten in Oslo

Konstantin Klein schreibt in seinem Blog denkwürdige Sätze über die ersten Reaktionen auf das verstörende Attentat in Oslo:

Worum es mir geht, ist der Reflex “Terror? Islamismus!”.

Was sagt uns dieser Reflex? Schuld sollen fremde Menschen aus einem fremden Kulturkreis mit fremder Denkweise sein. Schuld sollen Menschen sein, die dadurch, dass sie nicht aus unserem Kulturkreis stammen, anders sind als wir. Durch das Anderssein dieser üblichen Verdächtigen sind wir von dem Zwang befreit, über uns, über die dunklen Ecken unserer Gesellschaft nachzudenken. Durch das Anderssein dieser Verdächtigen können wir uns abgrenzen, können organisatorische, rechtliche, tatsächliche Zäune ziehen, können immer wieder und immer mehr zur Wachsamkeit aufrufen und damit politisch nutzbare Angst erzeugen.

Dieser Reflex erzählt uns aber nicht nur von latenter oder offensichtlicher Fremdenangst; er erzählt auch von der Sehnsucht nach raschen, einfachen und bequemen Erklärungen, von der Angst davor, sich mit neuen, unbekannten Bedrohungen auseinandersetzen zu müssen, keine in drei Sätze zu fassende Erklärung zu haben.


Recht hat er! Gerade hab‘ ich mir die grusligen Verlautbarungen dieses sich „konservativ“ nennenden rechtsradikalen Terroristen in Auszügen angeschaut. Ein ellenlanges Video über eine Art „Tempelritterkampf“ gegen Islamisierung, politische Korrektheit, Multikulturalismus und Kommunismus. Für einen Einzelnen ein recht aufwändiges Werk, erst recht die 1500 Seiten “Manifest zur Rettung Europas”, über die das NPD-Blog.info (das eigentlich NPD-Watch-Blog.info heissen müsste!) richtig schreibt:

„Breiviks Thesen zu Islam und 68ern lassen sich Millionenfach in Internet-Foren und auch Mainstream-Medien nachlesen. Unter dem Banner der Meinungsfreiheit (“Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!”) wird eine angebliche linke Hegemonie gezeichnet und der Untergang des Abendlandes beklagt. Eine brisante Mischung aus Minderwertigkeitskomplexen und Chauvinismus, die mit religiösen Elementen verbunden offenbar das Motiv für den Massenmord in Norwegen geliefert hat.

(weiter lesen..)

Da ermordert also einer ca. 90 Leute, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Aufmerksamkeit für abseitige, menschenverachtende, größenwahnsinnige Gedanken, die sowieso schon vielfach in der Welt sind – aber eben doch nicht von „den Massen“ übernommen werden.

  • Weil die Mehrheit der Europäer/innen eben doch nicht so irre, so undemokratisch, so kriegslüstern, so verschwörungsgläubig, so rechtsaussen ist, wie manche meinen.
  • Weil dieses ganze xenophobe, rückwärtsgewandte, den Herausfordergungen der globalisierten Welt in keiner Weise gerecht werdende wirre Zeug eben doch nicht mehrheitsfähig ist – und es meiner Ansicht nach auch niemals mehr werden wird.
  • Aber vor allem, weil wir eben schon viel mehr Europäer/innen und Weltbürger/innen sind, als es sich so ein großmannssüchtiger Niemand wie dieser Breivik vorstellen kann. Wer will denn heute noch heim ins rein deutsche Reich? Das würden nicht mal Neonazis wirklich aushalten!

Genug für jetzt. Das Ganze kotzt mich so richtig an. Mein Mitgefühl gehört den Norwegern, die etwas abbekommen haben, was überall hätte passieren können, auch hier in Berlin. Insbesondere tun mir die jungen Leute leid, die auf der Insel waren – was für ein Horror!

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Diskussion

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13 Kommentare zu „Massenmord für die Aufmerksamkeit – zu den Attentaten in Oslo“.

  1. In einigen Zeitungen wird Breivik als Irrer bezeichnet. Ist er das? Ab wann ist man irre? Wenn man sich die Tat ausdenkt oder erst nach dem Handeln? Wie soll so jemand bestraft werden?
    Es ist wieder mal ein Amokläufer und er ist in unserer Gesellschaft entstanden, die Gesellschaft der Nord- und Mitteleuropäer. Wir sollten uns also fragen, was mit unserer Gesellschaft nicht stimmt, das sie solche Monster hervorbringen kann.

  2. nein Anja, das würde ich so nicht sehen. Verrückte gibt es immer und schlimme auch. Es stimmt dann mit der Gesellschaft was nicht wenn sich darüber keiner aufregen würde. Oder anders, das wäre keine Gesellschaft in der ich leben möchte.

  3. @Anja, @Ottmar,

    Halt! Der Typ war gerade KEIN Amokläufer, kein anscheinend ‚Normaler‘, der irgendwann mal ausgerastet ist! Dieser Wahnsinn war von langer Hand (9 Jahre) und sehr akribisch geplant!

    Sorry, aber wenn man das Amoklauf nennt, dann tut man genau das, was man nicht tun darf: Man sucht nach raschen, einfachen Erklärungen, die es einem erlauben, nach einer angemessenen Zeit der Betroffenheit wieder zum Alltag überzugehen.

    Das war beileibe kein Amoklauf, sondern das („folgerichtige“) Ergebnis eines langen Prozesses. Und das war auch kein ‚Verrückter‘. Jedenfalls nicht in dem Sinne, wie unsere westlichen Industriegesellschaften das definieren – nämlich als unfähig, sich ohne größere Schwierigkeiten in die Erwerbsgesellschaft zu integrieren. Der Typ hat sehr gut ‚funktioniert‘, war selbständig und hat über Jahre sehr stringent seine Absichten verfolgt. Er ist gerade nicht irgendwie an der Gesellschaft gescheitert, sondern er hat sie vielmehr für seine perversen Zwecke genutzt, und das leider ziemlich gut.

    Aber wahrscheinlich wird diese Wahnsinnstat bald mit diversen Schul-Massakern in einem Atemzug genannt werden…

    – Thomas

  4. Da muss ich Thomas zustimmen: ein „Irrer“ im üblichen Sinne ist das wahrlich nicht. Wenn ich mir seine aufwändige mediale Auf- und Vorbereitung anschaue, dann ist er eine ganz im Gegenteil bewusst feindselig handelnde, aber sehr zielgerichtet und effektiv agierende Person.

    Wir müssen einfach einsehen, dass es FEINDE unserer Lebensart gibt, die sich nicht an demokratische Spielregeln halten, sondern KRIEGERISCH agieren. Nicht nur da draußen in fernen Ländern, wo irgendwelche Kriege uns (vermeintlich) wenig tangieren – sondern hier in den Städten der hoch entwickelten Staaten.

  5. Dies (Irrsinn versus Kriminalität) ist ein Punkt, wo ich mich nicht recht entscheiden kann, was ich für das Üblere halte. Ich vermute, daß dieses Handeln, das ja offenbar ‚logistisch‘ oder ‚militärisch‘ folgerichtig war, mit seiner Bewertung als ‚Amoklauf‘ oder ‚Wahnsinnstat‘ in dem Sinne ‚richtiger‘ betrachtet wäre, daß das Moment der Selbstzerstörung (innerhalb einer Gruppe, eines Staates, mit dem sich der Handelnde scheinbar durchaus identifizierte) eben den Unterschied ausmacht zwischen ‚kriminellem‘ (ich töte auf möglichst spektakuläre Weise möglichst viele Menschen, um mein Ziel, Aufmerksamkeit der Medien, zu erreichen) und ‚krankhaftem‘ Handeln (ich bringe Menschen, auch und vielleicht sogar gezielt Kinder, aus meinem sozialen Umfeld, meiner Gruppe um, damit ich mein Ziel wie oben erreiche).

    Wenn die Auswahl von Art und Weise des Vorgehens und der Opfer rein zweck-optimierend betrachtet werden kann, würde ich leichteren Herzens von einem ‚feindseligen‘ Akt eines ‚Kriminellen‘ reden, als wenn in der Auswahl der Opfer Motive zu vermuten wären, welche mich etwa an den völkischen Wahn der scheiternden Elite des Dritten Reiches (ein Volk, das es nicht schafft zu herrschen, ist es nicht wert zu leben und sollte dann besser untergehen) erinnern, die sich autoaggressiv am Ende gegen sich selbst bzw. das eigene Volk richtete.

    Für mich ist ein Unterscheidungsmerkmal zwischen ‚rechter‘ und ‚linker‘ Gewalt stets gewesen, daß letztere eine der Grenze des Wir-Ihr halbwegs genügende Zielauswahl aufwies, während erstere sich oft nicht nur wahllos gegen das Fremde wie das Eigene (Münchener Oktoberfest, 1980), sondern sogar oft gezielt gegen das Eigene (Oklahoma City, 1995, und jetzt Oslo) richtete. Abgesehen davon, daß rechter Terror scheinbar zahlenmäßig betrachtet oft der mit Abstand effektivere zu sein scheint (obwohl das Beispiel der roten Khmer vielleicht gegen diese Regel spricht).

    Dieses Moment der Selbstzerstörung ist neben dem Berserkerhaften (’nun Volk, steht auf, und Sturm brich los‘ und ähnliche Abscheulichkeiten) in meinen Augen Bestandteil des ‚Krankhaften‘, welcher dem ‚rechten‘ Terror eher zu eigen ist als dem linken und der sich in der Befindlichkeit seiner Täter oftmals deutlich wieder findet, was dann die Charakterisierung (und Verharmlosung) ihrer Verbrechen als ‚Einzeltat‘ so leicht macht – eben weil für eine gefühlte Götterdämmerung keine abstrakten Analysen mühsam nachvollzogen werden müssen, was oft nur zusammen mit anderen Menschen und dank scharfer Instruktoren gut klappt, sondern es genügt, sich selbst dem Kreis der Erlauchten und Erleuchteten zugehörig zu ahnen, was jedermann im stillen Kämmerlein und für sich allein ganz prima hin kriegen kann.

    Polizeistaatliche Mittel (Überwachung, Bespitzelung usw.) wären als Vorbeugemaßnahmen gegenüber solchem Terror keinesfalls sehr effektiv, gerade weil die endliche Tat mehr dem Ausbruch einer Krankheit als dem Ziel einer rationalen Planung ähnelt, selbst wenn sie sich rationaler Planung zum Ausbrechen bedient. Genese und Verlauf dieses Terrors sollten primär als Krankheit betrachtet und behandelt werden. Welche Mechanismen entfremden Menschen wie diese Attentäter ihrer Gesellschaft, ihrer Gemeinschaft und rauben ihnen damit ‚die Luft zum Atmen‘? Welche Erfahrungen isolieren sie vom wesentlichen Quell ihrer Glückseligkeit, so daß ihnen am Ende nur der verzweifelte, selbst-zerstörerische Angriff auf diesen Quell als letzter Versuch einer paradoxen Selbstheilung oder endzeitlichen All-Bestrafung übrig zu bleiben scheint? Und welche Indikatoren und Symptome begleiten diesen Prozeß typischerweise?

    Resignativ sich damit zu begnügen, daß solche Verrücktheiten halt immer mal wieder und zum Glück im Promille-Bereich oder in noch geringeren Raten auftreten, halte ich für falsch (wie selbstredend auch die üblichen Forderungen nach ‚Flugzeugträgern‘ wie etwa der Vorratsdatenhaltung und den für ihren Einsatz notwendigen Gesetzesanpassungen). Ich glaube fest daran, daß eine Erscheinung wie Terror durchaus systematische Gründe hat, die sich auf individueller Ebene auswirken, dort beobachtet und womöglich auch therapiert werden können. Natürlich nicht mit Pillen oder Kameras und an erwachsenen Menschen, aber dort, wo Menschen in ihre sozialen Verbände hinein wachsen. Und ich hoffe, daß die Funktion des ‚pattern maintenance‘, die Aufrechterhaltung kultureller Identität und ihre Weitergabe an nachwachsende Generationen, nicht bereits der Funktion der ‚adaption‘ (die als Anpassung an die Gewinnerwartungen der Anleger sich ja scheinbar immer mehr im Krisenmanagement beim Auftreten zu heftiger Kapitalvernichtung erschöpft) geopfert wurde.

  6. @Susanne: hab‘ Dank für den ausführlich tief schürfenden Kommentar!

    Du schließt dich also letztlich der Krank/Irre-Bewertung des Täters an und suchst nach Gründen in seiner Psyche und Vorgeschichte, durchaus unter Einbeziehung der Gesellschaft, in die er hinein wuchs.

    Diese Art der Betrachtung und des Hinterfragens scheint für uns so typisch zu sein, weshalb der SPIEGEL geradezu verstört und fordernd bemerkte, dass die Frage nach dem „Warum?“ in Norwegen gar nicht gestellt werde. Keiner rede dort über mögliche Motive des Täters- er sei quasi durch Schweigen ausgeschlossen.

    Dass übrigens der Täter die sozialdemokratische Jugend als „eigene Seite“ anerkannte, bezweifle ich. Er hatte klare Feindbilder, die er in seinem Pamphlet im Detail beschrieb – und er erläuterte auch, dass zunächst der „kulturelle Marxismus“ dezimiert werden müsse – also alle irgendwie der Linken zuzuordnenden Aktiven. Ungefähr 45.000 müssten allein aus dieser Gruppe (die nicht die einzige ist) im Lauf seines „Kriegs“ ihr Leben lassen, bis dann spätestens 2083 alles vorbei sei.

    Hört sich aber doch ziemlich irre an!

  7. Ich habe keine Fragen an den Mord, der ist uralt, nicht an die Mörder, was sollen die mir sagen? Die jungen Leute irritieren mich. Wie kann ein Einzelner, egal, wie gut bewaffnet, anderthalb Stunden unter Hunderten schießen, bis Dutzende tot sind? Fünf, die auf ihn stürmen, hätten ihn überwältigt, die Überlebenden davon. (Keiner deckte ihm den Rücken. Wann lud er nach?) Was sollte ich in solcher Lage tun? Vom Täter kann ich hier nichts lernen, aber auch, was seine Opfer taten, wird die Polizei ermitteln. Vielleicht ist das Ballett geeigneter als Protokolle, zu zeigen, was geschah, sonst eine Kunst. So könnten die Toten noch etwas lehren, statt wieder er.

  8. @Claudia
    Ich denke im Gegensatz zu Dir, daß dieser Mann eben keine klaren Feindbilder besaß, vor allem keine, an die er ‚Hand anlegen‘ konnte!
    Daher mußte er sich auf eine mir eher hilflos anmutende Weise selbst welche erschaffen, die genau der gleiche psychische Prozess für ihn erst handgreiflich angreifbar machte, welcher ihm auf einer abstrakteren Ebene ‚Islam & Kulturmarxismus‘ zu (ideologischen) Dämonen werden ließ. Und dieser Prozess, so vermute ich, hat weniger mit Erfahrungen fremder Kulturen zu tun als mit solchen aus und mit seiner nächsten, alltäglichen Umgebung, weswegen er am Ende nicht zu einer Moschee gefahren ist, um dort Gläubige beim Gebet abzuschlachten, sondern auf eine Insel, auf der Jugendliche an einem Feriencamp teilnahmen.

    @Dirk
    Was jedoch lehrt uns das Handeln der Opfer, wenn wir es uns in Termini eines Balletts denken?
    Ich sehe da zunächst nur diese Vermutung: daß Gemeinsamkeit (hier ein defensives Handeln, das den Angreifer gemeinsam überwältigen könnte) der Choreographie bedarf, und wo diese wie hier fehlte, nicht geschah. Choreographie aber bedeutet Design, Plan, Lenkung, d.h. Herrschaft und Autorität sowie Einübung in Gehorsam.
    Vielleicht ein weiteres Feld (nach Markt und Polis), auf dem sich die Idee eines ‚autonomen Subjektes‘ als brüchig erweist, sobald Gemeinsamkeit grundlegend in Zweifel steht oder allererst herzustellen wäre.

  9. @Susanne Ja. Die Umsetzung, weil ich es anders nicht fassen kann. Die Autorität der Choreografie käme aus dem kunstfernen Anspruch, Lehrtanz für Widerstand zu werden. Der Widerstand selbst bedarf der Autorität nicht, nur wäre die koordinierte Aktion effektiver. Das eben: lernen, wie losstürmen. Durchaus gut: mitreißen. Aber so viel. Liegen Freunde im Gebüsch und flüstern? Schließt man sich im Wegrennen Haufen an? Drinnen/Draußen. War es gut, ins Wasser zu springen? Neunzig Minuten. Wie viel Zufall lag darin, wer überlebte? Das sehen. Nicht in Akten, Wörtern, Tabellen, sondern in Bewegung, Körper. Damit der Einzelne, der sich in die Masse begibt, Ferienlager, Zuschauerraum, und allein wieder heraus will, etwas mitnehmen kann. Natürlich nicht wirklich Belehrung, eher Anregung. Wäre spontanes gemeinsames Handel häufiger, wäre die Welt anders. (Ich erinnere dazu zwei Segelerlebnisse, mal mit sprechenden Blicken, mal mit Kentern.) Auf Utøya hatte jeder für sich das starke Interesse zu überleben, aber nicht unbedingt ein gemeinsames, für das man sein Leben setzt. Das fällt erst hinterher ein.

    Aber ich bin naiv. Ein Freund traf es gleich: „Da wird wieder ein Horrorfilm draus.“

  10. @Dirk
    Haben Horrorfilme nicht all diese Überlegungen längst vorweg genommen (oder schlau und einfühlsam abgeguckt)?
    In ihnen herrschen durchaus Regeln (wer sich absentiert, wird massakriert; wer flüchtet, rennt seinem Unglück in die Arme; wer still hält, wird hinterrücks überrollt; wer erleichtert aufatmet, wird überraschend erwischt usw.). Diese Regeln sind inzwischen längst selbst Gegenstand solcher Filme (plus ihrer Rezensionen) geworden und das Spiel damit zum Quell von suspense und thrill.
    Ich glaube daher nicht, daß aus Geschehnissen wie dem auf Utøya erst noch solche Filme und Momente heraus destilliert werden müssen. Sämtliche Ingredienzien liefern Hollywood und andere via DVD oder Internet für ’nen Groschen oder frei Haus. Auch sie aber kommen, denke ich, nie ohne die Autorität (des Bösen, des Angreifers, des Raubtieres und, sollen sie sich zum happy end doch einmal positiv wenden, des Retters) aus.
    Bei Betrachtung etwa des Überfalls von Raubtieren auf eine Herde geschieht Ähnliches. Die Selektion der endlichen Opfer erfolgt den obigen Regeln gemäß, und die angegriffene Herde bewegt sich wie ‚unter der Regie‘ des Angreifers. Der Verfolger jagt seine Beute dorthin, wo er sie leichter erlegen kann. Ihre Bewegung ist Resultat der seinen.

    Du bringst es am Ende, wie ich finde, auf den Punkt: es „hatte jeder für sich das gleiche, starke Interesse zu überleben, aber nicht unbedingt ein gemeinsames“. Diese Inkongruenz von Gleichheit und Gemeinsamkeit ist ja die andere, oft sehr düstere Seite dessen, was auf seiner helleren Seite als Hoffnung, Gemeinsamkeit könne auch bei Ungleichheit bestehen, für mich jeder Vorstellung von Gesellschaft und Zivilisation unterliegt.
    Vielleicht ist ein Mensch wie dieser Attentäter gerade einer, dem beides in eins zu fallen hat und der deswegen das eine nicht ohne das andere denken und ertragen kann, weswegen er so grundlegend das eine negiert, wenn er das andere nicht haben kann.

  11. @Susanne
    Der Horrorfilm kennt z.B. das ‚Final Girl‘, das sich nach dem Gemetzel endlich aufrafft, zurückzuschlagen, brutaler nun, als das Monster selbst, bedarf des Retters für das Happy End nicht unbedingt. Du hast Recht, die Rezepte sind schon da und von Utøya wird kaum mehr als der Name bleiben, der an der Kasse zieht. Wie auch die Sprüche des Mörders recht angestaubt sind. Eine Neuralgie hat mir des Denken ausgetrieben. Sorry. Dass das Gemeinsame nicht so nahe liegt, muss man wohl aushalten, oft ist es ja besser, es wird ausgehandelt.

    dirk (Formular nicht ausgefüllt)

  12. BAAL LEBT
    (aus den aktiven Zeiten der Mailingliste Netzliteratur)
    ________________________________________________

    Der Zorn der Morgenroete in meinem Gesicht treibt mich
    grundlos hinab.

    wie sollten die drei groschen je die stolzen schwarzen
    segel von baals kanonenboot bezahlen, wenn nicht all
    die wechsler, heuchler, degoutanten schwaetzer und redner
    den kurs von baals renommee taeglich neu festigen wuerden?

    MIETE? SOLLZINSEN? KREDITE? ZAHLUNGSFAEHIGKEIT?

    der totgesaegte baal lacht lust- und lautlos ueber diese
    schoene neue welt.

    wir freuen uns, ihnen mitteilen zu duerfen, dass der
    offenbarungseid ihrer unschuld am 20.oktober vor dem
    amtsgericht ihrer heimatgemeinde um 10.00 UHR ver
    handelt wird.

    fuer anschliessendes leichenschmausen wird um
    angemessene garderobe gebeten.

    karten am eingang erhaeltlich.

    ER treibt im Unwesen seiner Scherze ab.
    der wind weht ueber das narrenschiff hinweg
    und traege flappen die segel.
    die belegnaegel harren ohne arbeit.

    GLAUBE
    Baal verlangt von dir nicht viel
    Deine aengste sind sein ziel
    Dich der hoffnung zu berauben
    Daran musst du gar nicht glauben
    Denn schon in der ersten nacht
    Hat er sich zu dir gemacht
    Du musst dich einfach fragen
    Woher dies zaudern und zagen

    Weshalb suchst du an solchen orten
    Noch immer nach verlornen worten

    Kein Platz fuer Menschen. Weniger noch fuer Goetter.
    „Baal lebt? Hat er seine Miete gezahlt?
    Seine Kredite puenktlich zurueckgefuehrt?“
    fragen die Geldwechsler.
    „Wo ist seine Steuererklaerung?“ fragen die neuen Goetter.

    baals schwangres koenigreich
    in deinem herz den schatten gleich

    Ihr versteht ja all so wenig
    Von BAAL und jedem andern Koenig

    dem goetzen, der kanonenfutter
    aus euch macht, euch in die umlaufbahnen
    eurer eitelkeiten schiesst, euch
    fressen ficken fernsehn als parole
    eurer nichtigen lebensillusion vorbetet,

    Nein, ihr traeumt pur;
    der POP funktioniert nicht.

    Reden wir – ich, DUIHRERWIRIHRSIE?

    und baal knuepft all die schwaetzer
    mit seinen spinnenfaeden aus wolfsmilch
    in seinem netz an den quer in die buehne
    ragenden ast und schnitzt aus lebern ringe

    ABER VIELLEICHT BIN ICH MORGEN SCHON ANDERER MEINUNG!

    aber halt:
    ich bin ja noch,
    also denkt baal doch
    da waer ein loch
    noch ungevoegelt!

    es ist ein irrtum
    nein ich wehre mich
    ich bin nicht baal
    goetter menschen lebertran
    abfuehrmittel menschenwahn!

    und du wirst ihnen nicht entrinnen!
    sie werden das letzte blaue blut aus dir
    herauspressen und deine durchscheinende huelle
    in den wind ihrer wechselnden meinungen haengen.

    TRAUM
    Manchmal hab‘ ich einen traum
    Haenge dann an einem baum
    Verwundert dass der strick mich traegt
    Den ich um meinen hals gelegt
    Verstehe ploetzlich – ich hab‘ nicht
    Auch annaehernd nur das gewicht
    Welches ich mir und meinem leben
    Voll arroganz einst selbst gegeben
    Doch manchmal – wenn der wind loslegt
    Dank ich – weil mich noch was bewegt

    BAAL FORDERT MENSCHENOPFER

    und er haelt sie nicht
    heute erhalten wir die briefe
    unseres untergangs eingeschrieben.
    unsere unterschrift in blut
    ist nicht mehr gefragt.

    BAAL IST UEBERHOLT.

    der Irre ohne arme hat genug?

    Genug – und lass dich nie beluegen
    Bedeutet doch nur selbstbetruegen
    Genuegsam ist des meineids bruder
    Und zuwendung ein falsches luder
    Das leben macht dich niemals satt
    Denn du erlebst es nur anstatt

    in deiner perfekten illusion
    deines glaubens an die menschheit hast
    du deine goettergleiche unwahrscheinlichkeit
    missachtet und zahlst nun den preis

    STIMMT, ABER VIELLEICHT IST BAAL
    MORGEN SCHON ANDERER MEINUNG

    Ansichten – und meistens schiefe
    Kommen aus der perspektive
    Deshalb schreib‘ ich auch nicht meine
    Denn perspektive hab‘ ich keine
    Doch das aendert allemal
    Sich am rueckkehrtag von BAAL

    in deinem blut waelzt sich ein hering
    es ist dem narrenschiff egal
    der wind treibt uebers weite feld
    und heult in seiner qual

    yesterday, all my troubles sime so far away
    heute starren augen stumpf
    und ohne glanz im totentanz
    ___________

  13. Das wäre ja alles nicht ganz so schlimm wenn jetzt nicht noch der Goldpreis so steigen würde.