Claudia am 11. Juli 2011 —

Ist Arbeitslosigkeit zwangsläufig ein Krebsgeschwür?

Angeregt durch das kürzlich hier gezeigte Revolutionsvideo (Über Binsenweisheiten, Totschlagargumente und Demokratie) sprach Relax Senf, einer meiner geschätzten Stammleser, in einem Kommentar vom Krebsgeschwür der Arbeitslosigkeit:

„Die Arbeitslosigkeit ist bereits ein Problem und wird fortschreitend zu einem bösartigen Krebsgeschwür. Wobei zu beachten ist, dass sowohl der Mangel an High Potentials als auch der Überfluss an “nur sich selbst = nur Arbeitskraft” Anbieter zunehmen wird. Der Weg zum persönlichen Glück wird schwieriger, ist aber noch immer durch Eigenleistungen beeinflussbar.“

Schon vor über 20 Jahren hörte ich die Botschaft, „die Wirtschaft“ könne perspektivisch locker mit 30% der arbeitsfähigen Menschen auskommen, um die Welt mit Gütern und Dienstleistungen zu versorgen. Der Rest werde dann nicht mehr gebraucht.

Für mein Empfinden stellt dieser Gang der Dinge durchaus die Systemfrage – ABER eben nur in dem Fall, dass die 70% nicht zu ihrer gefühlten Zufriedenheit mitversorgt werden (Transferleistungen, Grundeinkommen). Denn um ARBEIT, definiert als Mitwirkung im Produktionsprozess, geht es doch eigentlich nicht – sondern darum, ob man genug vom zu verteilenden Kuchen abbekommt.

Ich halte es lange schon für eine absolut verrückte und verzerrte Darstellung der Verhältnisse, wenn alle immer so tun, als sei die Mitwirkung am Produktionsproszess unverzichtbar fürs persönliche Glück. An der Stelle scheint leider Interessen-geleitete Indoktrinierung bei vielen recht erfolgreich das Gehirn gewaschen zu haben und immer noch weiter zu waschen.

Es gibt doch so viele Formen, sich sinnvoll und glückbringend zu beschäftigen! Man sucht als Mensch natürlich Gelegenheiten, die eigenen Talente zu entwickeln, sucht Selbsterfahrung und Anerkennung von Anderen. Aber das alles könnte auch in freier Selbstorganisation geleistet werden: bürgerschaftliches Engagement, Freiwilligenarbeit, Kunst & Kultur machen…

Dass die Arbeitslosigkeit forschreitet, ist so gesehen kein bösartiges Krebsgeschwür – sondern nur dann, wenn „Arbeitslose“ (an sich schon ein unzutreffender Begriff!) diskriminiert und auf vielerlei Weisen marginalisiert werden.

Wäre dem nicht so, wäre Arbeitslosigkeit die Erfüllung eines alten Menschheitstraums vom Schlaraffenland: man könnte auch einfach nur so rumlümmeln und trotzdem wäre an gebraten Tauben kein Mangel!

Wie KRANK, dass heute statt dieser sympathischen. über Jahrtausende geteilten menschlichen Vision von Freiheit (bei deren Realisierung ja kaum jemand nur rumliegen würde!) ein Arbeitsbienenbewusstsein herrscht, nach dem ein Mensch fast kein Lebensrecht hat, der nicht in irgendwelchen meist gar nicht nachhaltigen und oft ziemlich überflüssigen Produktionsprozessen mitschwitzt.

In meiner wilden Jugendzeit (70ger, 80ger) war das mal anders. Mittlerweile aber betet man das Laufrad gar noch an, in dem man sich im Extremfall mit bis zu drei schlecht bezahlten Jobs gleichzeitig dem Tod entgegen strampelt!

Zum Schluss dieser spontanen kleinen Brandrede recycle ich mit Freude eines meiner Lieblingszitate vom „Medienphilosophen“ Vilém Flusser zum Thema Arbeit:

„Arbeit, sei sie Tun oder Leiden,
oder sei sie Tun und Leiden,
macht unfrei, weil sie Mögliches verwirklicht.
Nur wenn Tun und Leiden auf Automaten abgeschoben sind, …,
nur im Feld des Potentiellen ist die Freiheit:
nur wenn man projiziert anstatt zu operieren.“

Vilém Flusser

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Diskussion

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13 Kommentare zu „Ist Arbeitslosigkeit zwangsläufig ein Krebsgeschwür?“.

  1. .. nun, die Arbeitslosen selbst machen offenbar was draus: seit ein paar Monaten gibt es ja jobioo.com , das „Facebook für Arbeitslose“ …

    LG Reinhard

  2. Seine telematische Ambition untersuchen wir in ihrer motivationellen Struktur, ihrer anthropologischen Radikalität und in ihrem weltrevolutionären Anspruch. In ihrer Systole (Degagement) und Diastole (Engagement) steigernd durchlaufenden migratorischen Form erweist sich Flussers Biopolitik als nomadologische Verausgabung.

    Wenn Du alles lesen willst, was auf den folgenden Seiten geschrieben steht, mußt Du Dich auf knapp 30 Lexien einstellen.

    Ohne Claudia Klinger würde es diesen Text nicht geben.

    ?

  3. Im alten Testament war Arbeit ein Fluch. In der Antike hat man die Arbeit die Sklaven machen lassen. Das Christentum aber ist als Sklavenreligion gestartet und in der Industrialiesieung (Industrie = Fleißig) wurde die Arbeit als Grund für alles verstanden. Heute arbeitet ein erfolgreicher (aber auch weniger erfolgreicher) mindestens 60 Stunden die Woche. Es gibt sogar den Begriff des Gehetzten. Das sind diejenigen die schon zu vernünftigen Nahrungsaufnahme keine Zeit mehr haben. Doch die Arbeit ist irgendwann getan, sie ist zu ende. Wir haben auch Maschinen die die eigentliche Arbeit tun. Wir verwalten doch nur noch die Arbeit in den Schreibstuben. Denn Arbeit macht Arbeit. Und keine Arbeit noch mehr. 

    Ottmar

  4. es hat sich die verdienstrichtung geändert:
    heute arbeitet ein handwerker ca 15 Jahre
    um ein Haus abzubezahlen, ein durchschnittlicher
    insolvenzverwalter braucht für die selbe summe
    in etwa 3 wochen oder weniger reine arbeitszeit.

    und die art der (einträglichen) arbeit hat sich verändert.
    sesselwärmen und bleistitspitzen bringt in etwa das 5-10 fache dessen was eine zeitlich gleiche schufterei
    von hand am arm aufm bau einbringt.

  5. … und noch mehr bringt es ein, mit geliehenen Millionen zu zocken.

  6. Wer von bloßer Geldgier getrieben seine Tätigkeiten wählt, tut mir wirklich richtig leid. Egal, wieviel Schotter er anhäuft, er wird nie die Freude kennen lernen, die im Tun dessen liegt, was man um seiner selbst willen gerne tut.

  7. Damit („Egal, wieviel Schotter er anhäuft, er wird nie die Freude kennen lernen, die im Tun dessen liegt, was man um seiner selbst willen gerne tut.„) rührst Du am zentralen Punkt: kann ich davon kommen mit dem Gewinn, um welche Kosten auch immmer er mir zufiel, oder holen sie mich ein, Strafe, Rache, der dräuende Gott?

    Jedem prekären Menschen sollte einmal ein Tag unter den Reichen gegönnt sein, und er wüßte sofort: ja, genau das glauben sie: davon kommen zu können! Und genau deswegen ist ihnen jedes Leid recht, das sie anrichten müssen, um exakt dieses zu tun. Und es findet sich leider immer einer, den sie beauftragen können, mit einem vor Dollars und Franken und Euros süß säuselnden ‚Hey Buddy, sorge dafür, daß genau so etwas niemals jemand erfährt‘!

    Die Welt des Geldes ist leider nicht häßlich, nicht grau oder hart. Sie ist schön, bunt und weich. Und das Schreien im Keller, das drang immer erst dann hoch zu ihr, als der Koch nicht mehr kochte und der Schuster die Schuhe und der Schneider die Kleider nicht passend mehr machte und die Dirnen dem Phallus ihren Leib nicht mehr gaben – aber was, wenn Maschinen als Huren her hielten, als Leben, als Welt, als das eigentlich Wirkliche dann?

  8. die derzeitige Krönung ist,- (meinem empfinden nach)-
    dass diejenigen, die eigentlich die interessen „aller“ vertreten sollten,- genau die Interessen derer vertreten die am unglück der unvertretenen den reibach machen.

    wie sonst kämen die gesetze und richtlinien (z.B. Insolvenzordnung, Vergütungsordnung für insolvenzverwalter)
    zustande? eben: garnicht.

    ein erweiterter horizont schärft eventuell den Blick auf die Zusammenhänge verhindert allerdings im gleichen mass den Blick aufs detail.

    von unten gesehen ist das Recht eine Schimäre
    die von aussen betrachtet mit verbundenen Augen
    alle den selben Grundbedingungen unterwirft und chancengleich dem Recht Genüge tut-
    im Kern jedoch die „unteren“ an die Wand stellt
    um jeglichem „oberen“ ein freies Schussfeld
    zur freien Verwendung jeglicher Neigungen zu bieten.

    ein leben ist linear, von anfang bis ende, es gibt kein
    zweites im Keller um es „das nächste mal“ besser zu machen; nicht in dieser Hemisphäre dieses planetens.

    details auf anfrage:)

    gruss ingo

  9. Hallo Ingo. Ich muss zugeben deiner Argumentation nicht folgen zu können.  Sicher sind Mächtige stärker als Ohnmächtige. Sicher kommen Reicher leichter zu Wort als sprachlose Arme. Das ist in jeder Gesellschaft so. Aber in unserer Gesellschaft gibt es einen Anspruch, auch wenn dieser oft unerfüllt bleibt. Die Gesetzte sind nicht nur für die Reichen sondern sollen dafür sorgen, dass alle gleich behandelt werden. Jetzt sag nicht, die Reichen haben die besseren Anwälte, er muss schon gut argumentieren wenn er durchkommen will, wenn er seine Macht ausspielt. Das ist ein gefundenes Fressen für die Presse. In der Industrie kann sich das keiner erlauben, das macht den Ruf kaputt. Das Recht ist nicht gleich, es ist im Prinzip für den Bedürftigen. Sowie unser Staat, unsere Staatengemeinschaft ein Umverteilungsprinzip hat: von den Reichen für die Armen. Dein Schussfeld für die Reichen kann ich nicht sehen. Ein Staat in dem nur die Mächtigen das Sagen haben den kennen wir von Diktaturen, sei es eine sozialistische oder sonst eine. Wir haben die Armen, die Bedürftigen immer im Fokus. Das ist ein Erbe unseren christlichen Ursprungs. Und dass so viel drüber geredet wird zeigt doch nur, dass es funktioniert. Ich bin jetzt bei den asiatischen Staaten wie China gespannt. Da ist das anders. Ob das überhaupt funktionieren kann? Ich bezweifele das. Wir jedenfalls sind eine Transfergesellschaft: von den Reichen zu den Armen, von den reichen Staaten zu den armen Staaten. Der natürliche Weg ist der umgekehrte. Bei uns fließt der Fluss bergauf – und treibt damit das Rad. Nicht perfekt, dazu müssen wir zusammenhalten. 
    Ottmar

  10. schulden gesamt=20.000 Eur. alle gläubiger werden zu 100% bedient

    insolvenzverwalter vergütung= 35.000 Eur.
    Dauer des verfahrens= 10 monate
    insolvenzmasse=90.000 Eur (durch hausverkauf)
    zahl der Glaubiger: 4

    und sowas nennst du also gerecht?

    wenns dir fehlt,
    sieh dir die vergütungsordnung der Insolvenzgerichte an.

  11. Der Begriff „Arbeitslose“ ist in der Tat sehr unzutreffend. Deshalb sollte man stets das Wort „Erwerbslose“ anwenden. Erwerbslos zu sein, bedeutet nämlich noch längst nicht, dass man auch arbeitslos ist. Ich bin seit einigen Jahren erwerbslos, aber oft hat mein Tag zu wenig Stunden.

  12. @Reinhard Sollenau

    Das könnt ihr euch xxxxxxxxxxxxxxxx wg. möglicher Beleidigung/übler Nachrede gelöschtxxxxxxx. Wer bei einem Ideenwettbewerb Personen über 30 ausschließt, ist weder sozial noch verbessert er die Welt.

  13. @Jürgen: dein Kommentart hat inhaltlich nichts mit diesem Artikel zu tun. Die möglicherweise als Beleidigung/üble Nachrede zu bewertenden Äußerungen habe ich gelöscht. Bitte führe solche Auseinandersetzungen nicht hier in diesem Blog!