Claudia am 25. November 2010 —

Brauchen wir gemeinsame Ziele?

Angesichts einer solchen Überschrift werden sich sicher gleich etliche Leser/innen fragen: Welches WIR?

Es eckt an, heute „wir“ zu sagen. denn egal, wie nahe oder ferne der gemeinte Kontext gerade liegen mag, denkt man als Leser nicht zu allererst das wahrscheinlichste „Wir“ einfach mit, sondern sieht sich im Gegenteil eingemeindet in vermutlich nicht selbst mitbestimmte Interressen. Was habe ICH mit diesem WIR zu tun?

Nun, ich bin heute zu dieser Überschrift gekommen aufgrund eines Kommentars von Michael Kostic auf Menachems Blog „Gemeinsam Leben“. Der schrieb zu Menachems Artikel „Nur nicht ärgern“ und zur von mir zuvor beklagten Bunker-Mentalität vieler Krisen-Kassandras:

„Ohne erkennbare gemeinsame Ziele, driftet jede Gesellschaft zusehends auseinander. Im Großen wie im Kleinen. Familie, Firma, oder Gesamtbevölkerung. Wir hatten die Chance etwas neues zu schaffen und vor lauter Arbeit kläglich versagt. Weiter noch verweigern wir uns weiterhin dieser Einsicht.“

Das WIR sei also hier die Familie, die Firma, die Gesamtbevölkerung. Ich füge noch „das Paar“ hinzu, denn auch da ist festzustellen: Wenn die erste Phase der Verliebtheit ‚rum ist, tun sich Paare schwer, die keine gemeinsamen Ziele und Aufgaben haben. Hat man aber z.B. als „Familie in spe“ einen Hausbau zu bewältigen, dann tritt die Krise oft nach Fertigstellung ein. Das Ziel ist erreicht – und jetzt?

In meiner Herkunftsfamilie gab es ab meinem 9. Lebensjahr ein gemeinsames Ziel: der jährliche Camping-Urlaub. Darauf wurde das ganze Jahr gespart, vorgeplant, sich gefreut – und trotz all der durchaus heftigen familiären Konflikte hatte das was Befriedendes: im Urlaub kamen wir alle auf unsere Kosten (übrigens gerade dadurch, dass im Urlaub weitgehend jeder seins machen durfte, anders als zuhause).

Was können Staaten wollen?

Was aber ist mit „der Gesamtbevölkerung“? Kann die denn jemals gemeinsame Ziele haben? Oder ist „der Staat“ gemeint? Säkulare Staaten sind ja gerade dadurch erträglich, dass sie die Erreichung des Glücks dem Individuum überlassen – und nur den Erhalt der Rahmenbedingugen gewährleisten wollen (Rechtsordnung, Infrastruktur etc.).

Hinzu kommt der Bedeutungsverlust der Nationalstaaten (den ich begrüße). Was kann bzw. soll EUROPA als gemeinsames Ziel wollen? Nun, im Vergleich zum asiatischen, amerikanischen und arabischen Raum fällt mir da durchaus einiges ein! Die Menschenrechte zum Beispiel, eine nachhaltige Umweltpolitik – und natürlich eine kreative Auseinandersetzung mit den Widersprüchen des Kapitalismus, die derzeit „das System“ an allen Ecken und Enden knirschen lässt.

Aber können das Ziele sein, die den Einzelnen davon abhalten, nur an sich und seine Familie zu denken? Man nehme nur das Beispiel der Fassadensanierung: alle denken nur an die drohenden Mietsteigerungen, nicht etwa an die immense Energie-Einsparung. Dann aber votieren diesselben Personen für’s Abschalten der AKWs und das Vorantreiben der erneuerbaren Energien. Aber bitte nicht, wenns uns was kostet – oder wie?

Welche Ziele könnten denn tatsächlich zu mehr Gemeinsinn motivieren? Was meint Ihr?

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Diskussion

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90 Kommentare zu „Brauchen wir gemeinsame Ziele?“.

  1. Die Regierungen Europas motivieren wachsende Teile ihrer Bevölkerungen bereits seit geraumer Zeit, durch radikalen Sozialabbau und Ausbau ihrer ‚Sicherheits’architektur (der de facto ein Entzug von Freiheits- und Persönlichkeitsrechten ist), für ein neues gemeinsames Ziel – allerdings ohne das zu wollen:
    Der kommende Aufstand

  2. Ist „mehr Gemeinsinn“ ein gemeinsames Ziel?

  3. Auch gemeinsame Ziele dienen nach meinem Dafürhalten primär den eigenen Zielen.
    Aber auch die Gemeinschaft kann meine Existenz nur sichern, wenn sie in einem Zustand ist, der ihr das auch ermöglicht. Somit wirkt ein gesunder Egoismus für eine gesunde Gemeinschaft.

    Was ist gesund und was nicht? Was ist notwendig und was nicht?
    Und da halte ich das Nachdenken jedes Einzelnen über sein persönliches Verhältnis zu Geben und Nehmen für eine gute Ausgangsbasis.

  4. @Iris: nach erfolglosen Versuchen, mir den Text aus dem PDF zu kopieren, um ihn umzuformatieren (=weniger Papier) hab ich ihn nun ausgedruckt, wie er ist. Sogar mit der Absicht, die ca. 90 Seiten zu lesen – melde mich dann! :-)

  5. @Iris: Ja, der Ausbau einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur schreitet voran und ich bin nicht begeistert. Sehe ich die gefilmten Szenen beim Check-in in den USA wird mir übel. Noch schlimmer ist natürlich, dass es immer überlappende Interessen gibt: einerseits geht es um den Schutz der Bevölkerung (im Beispiel um die Reisenden) und andererseits geht es parallel um Machterhaltung der Regierung. Welche Wahl haben wir bei der Sicherheitsarchitektur und zu welchem Preis zwischen Risiko nehmen und Abgabe von Persönlichkeitsrechten?

    Der Sozialabbau ist LEIDER auch eine Tatsache. Nur die Sozialleistungen, wie sie sich seit 1950 entwickelt haben, sind mit Blick in die Zukunft einfach nicht mehr bezahlbar. Trotz allen Dementis der jeweils Regierenden, sind ja nicht mal die Renten tatsächlich sicher, z. B. nach 2020.

    @Menachem: „Auch gemeinsame Ziele dienen nach meinem Dafürhalten primär den eigenen Zielen.“
    Stimme völlig zu. Hinter einer Zustimmung zu gemeinsamen Zielen stecken ja immer die eigenen Interessen. Was nicht bedeutet, dass man es am einzelnen konkreten Vorteil festmachen kann, aber es muss ins eigene grosse Bild passen, sonst ist man dagegen.

  6. @Relax-Senf:

    Welche Wahl haben wir bei der Sicherheitsarchitektur und zu welchem Preis zwischen Risiko nehmen und Abgabe von Persönlichkeitsrechten?

    Freiheits- und Persönlichkeitsrechte zu opfern, um unser System vor Terrorismus zu schützen, ist m.E. ungefähr das Gleiche wie Selbstmord begehen, damit mich keiner mehr umbringen kann.

    Nur die Sozialleistungen, wie sie sich seit 1950 entwickelt haben, sind mit Blick in die Zukunft einfach nicht mehr bezahlbar.

    Das glaube ich nicht – auch wenn das Mantra immer wieder vorgetragen wird. Das Geld ist immer noch da, nur wird es bereits seit geraumer Zeit auf immer weniger Köpfe verteilt.

    Davon abgesehen meinte ich mit radikalem Sozialabbau auch politisch forciertes Lohndumping, Kürzungen im Bildungssektor, Einführung von Studiengebühren sowie die Demontage von Arbeitnehmer- und Verbraucherschutzgesetzen.

  7. „Welche Ziele könnten denn tatsächlich zu mehr Gemeinsinn motivieren? “ Dazu fällt mir spontan ein: Die Rettung unserer Umwelt. Aber irgendwo las ich (schon lange her), daß, je grösser der Radius um die eigene Person ist, umso unverantwortlicher und unansprechbarer ist man (in der Regel).

  8. @Gerhard: welchen „Radius“ meinst du?

  9. @Iris: hab grade geschaut, obs das Buch auch bei Amazon gibt – ja! Und drunter stand: Dieses Buch wird oft zusammen gekauft mit „Müdikeitsgesellschaft“. :-))

  10. Die Frage, ob wir gemeinsame Ziele benötigen, würde ich beantworten mit. „Ja, wir brauchen ein gemeinsames Ziel“. Und zum Erreichen dieses Ziel gehören nach meinem Verständnis auch andere Unterziele sowie die Einbindung und Diskussion unserer Werte.

    Nehme ich z.B. das oben angesprochene Unterziel auf „Sicherheit“ so wird darin deutlich, das ein Ziel, je näher es der Verwirklichung in absoluter Form kommt, in Konflikt mit anderen Zielen gerät. Dies ist ist mir in seiner ganzen Bedeutung, z. B. für Freiheit, erst vor kurzem bewusst geworden, weshalb ich auch den „Kompromiss“ aus einer neuen Sicht betrachte.

    Ich glaube auch, das wir unterscheiden müssen, zwischen den Zielen der ratio, die das gemeinsame Zusammenleben erst ermöglicht, wie eine Strassenverkehrsordnung, und dem, was wir aus unseren Emotionen verwirklichen können. Und da ist es so, wie du schon sagst, @Relax-senf, das man Emotionen nicht wirklich vor- oder beschreiben kann, dass es aber einer Überschrift bedarf.

    Und die Überschrift hat nach meiner Meinung auch Claudia schon genannt, es ist das „Geben und Nehmen“, es drückt sich auch aus, im „Leben und leben lassen“, was auch Härte und Weichheit einschließt. Für diese Werte gibt es keine starren Gesetze, sondern nur einen inneren Kompass, der in allerfrühester Kindheit angelegt wird.

    Woraus sich für mich auch die Frage stellt: Wie weit übernehmen wir als Gesellschaft Verantwortung für die Kinder, deren Eltern es nicht möglich war, diese Verantwortung zu sehen und zu tragen?
    Ich sag`s einfach mal von mir. Nicht selten, wenn ich mir unverständliches handeln von Kindern und Jugendlichen sehe, denke ich, das geht mich nichts an, das ist doch nicht mein Bier, wenn Eltern versagt haben. Und wenn ich es dann trotzdem mal versuche, erstaunt mich das schnelle Erreichen meiner eigenen Grenzen.

    Mit so einer Grundeinstellung, was geht mich der Andere an, brauche ich eigentlich nicht weiter über ein „Gemeinsames Ziel“ nachzudenken – so wird es unerreichbar.

  11. @Menachem: im von Iris hier verlinkten Text „der kommende Aufstand“ finden sich partiell sehr spannende Gedanken. Der Autor wirft „dem Abendland“ vor, dass es keine Wahrheiten mehr kenne, sondern nur noch relativierte Sichtweisen. Dies müsse auch so sein, bzw. gehe einher mit der totalen Individualisierung und Flexibilisierung des Kaitalismus-kompatiblen Menschen, der es sich nicht leisten könne, an etwas als Wahrheit festzuhalten, denn dies führe direkt in die Arbeitslosigkeit.

    Dagegen restauriert er dann die Wahrheit: dies sei nicht etwas, das man habe, sondern das, was einen trage. Und mit dem Erkennen der jeweiligen Wahrheit treffe man auch sofort auf Andere, die ebenfalls „von dieser Wahrheit getragen“ werden. Die Wahrheit hat also hier gemeinschaftsbildenden Charakter.

    Zitat:

    ———————————————————-
    SICH FINDEN
    Sich binden an das, was man als wahr erkennt.
    Davon ausgehen

    Eine Begegnung, eine Entdeckung, eine große Streikbewegung, ein Erdbeben: jedes Ereignis erzeugt Wahrheit, indem es unsere Art verändert, auf der Welt zu sein. Umgekehrt hat sich eine Feststellung, die uns gleichgültig ist, die uns unverändert lässt, die zu nichts verpflichtet, noch nicht den Namen Wahrheit verdient. In jeder Geste gibt es eine
    unterschwellige Wahrheit, in jeder Praxis, in jeder Beziehung und in jeder Situation. Die Gewohnheit ist, dem auszuweichen, das zu verwalten, was die charakteristische Verwirrung der Allermeisten in dieser Epoche produziert. In Wirklichkeit verpflichtet alles zu allem. Noch das Gefühl,
    in der Lüge zu leben, ist eine Wahrheit. Es geht darum, es nicht loszulassen, davon sogar auszugehen. Eine Wahrheit ist nicht eine Sicht auf die Welt, sondern das, was uns auf unreduzierbare Art mit ihr verbunden hält. Eine Wahrheit ist nichts, was man besitzt, sondern etwas, das einen trägt. Sie stellt mich her und sie löst mich auf, sie macht mich als Individuum aus und sie zersetzt mich als solches, sie entfernt mich von vielen und verbindet mich mit jenen, die sie erkennen. Das vereinsamte Wesen, das sich daran bindet, trifft unausweichlich auf seinesgleichen.
    ——————————————————-

    Ich übertrage das mal auf mein Leben: Das Fällen der alten Fichten im Nachbargarten hat eine „Wahrheit“ geschaffen: nämlich die Trauer über den Verlust und meine Motivation, gegen eine Kleingartenpolitik, die sowas macht, anstänkern zu wollen.

    Die Blogartikel dazu werden auch von anderen Mitgliedern der Kleingartenanlage gelesen, ebenso vom Vereinsvorstand und dem Bezirksverband, dem die Fällung anzulasten ist. Bleibe ich dran am Thema, werden sich rund um die Ablehnung solcher Fällungen Menschen finden, die genau DAS gemeinsam umtreibt (= die sich dieser Sache verpflichten) – und die vielleicht auch dagegen aktiv werden.

    Solche Gemeinschaften gehen von gemeinsamer Betroffenheit aus (wobei „Betroffenheit“ leider ein unangenehm verbrauchtes Wort ist). Und seit das Internet als virtuelle Kommunikationsstruktur das soziale Leben durchdringt, sind solche Gemeinschaften auch bezüglich viel großformatigerer Themen denkbar.

    Und je mehr es davon gibt, desto dichter wird das „Gestrüpp“ der Beziehungen und Verbindungen – und (um im Duktus des Textes zu bleiben) „die Macht“ hat immer weniger Chancen, hier „durchzuregieren“.

  12. Gibt es eigentlich Ziele, die wir nicht teilen, nicht voneinander gelernt oder abgeschaut haben, insofern also gemeinsame Ziele? Das Problem: Wir (gesamtgesellschaftlich gesehen) vertreten gemeinsam das Ziel, gemeinsamen Zielen zu misstrauen, in die eigene Tasche zu wirtschaften und die anderen „links“ liegen zu lassen. Das ist, wenn ich so sagen darf, ein Stück liberale Ideologie – ein gemeinsam eingeübtes Ziel. Das erste wirklich gemeinsame Ziel sollte es sein, sich aus diesem Denkzwang zu befreien, um sodann die Dinge zu benennen, die unabdingbar für die Allgemeinheit und jeden Einzelnen sind – unsere sozialen, ökologischen und ökonomischen Grundbedingungen.

  13. Ich hab`s ja dann wirklich noch gefunden, auf Seite 65, aber Respekt, @Claudia, ich wäre diesem Teil nach dem Vorspann bis dorthin nie in dieser Aufmerksamkeit begegnet.

    Ich möchte dennoch einmal mein Gefühl der ersten Seiten beschreiben: Würde jemand das Gelesene als Vortrag in einem Saal halten, in mitnehmender und charismatischer Art, und niemand der Zuhörer würde den Saal während des Vortrages verlassen – mir würde Angst und Bange.

    Aber darüber hinaus sind mir noch mal zwei Dinge klar geworden, die damit zu tun haben, wie wir mit einander umgehen:
    Ich bezeichne mich als Mensch und zähle mich zu der Gruppe der knapp 7 Milliarden Individuen, die derzeit auf der Welt leben. Ich kann ganz deutlich in mir spüren, das all das, was Menschen anderen Menschen als gut oder böse, schlecht, hinterlistig, talentiert, infantil, kreativ ……zuschreiben, auch in mir liegt. Ich kann nicht sagen, warum sich bei mir das Eine oder Andere intensiver oder minder ausgebildet ausdrückt, aber es liegt alles auch in mir. Und deshalb empfinde ich auch Abwertung irgendeiner Person oder Gruppe auch als Abwertung gegen mich, gegen die in mir schlummernden Teile, die bis dato noch nie zu Tage getreten sind.
    Im Bewerten eines Kapitalismus-kompatiblen Menschen, wie in den meisten Bewertungen, liegt nach meinem Empfinden der Unwille, Menschen in ihrem Handeln zu verstehen. Und wenn wir nicht verstehen, warum etwas geschieht, kommen wir nicht an den Ursprung und bewegen uns bei allen Verordnungen nur nach Verdacht.
    Dies lasse ich jetzt einfach mal so hier, mit all den möglichen Gedankenfehlern.

    Das zweite ist dieser Mechanismus den du beschreibst, das bilden von Gemeinschaften aus gleicher Betroffenheit. Das traff auch auf die RAF zu, oder heute Al Qaida. Auch diese binden sich in dem Gefühl, ihre Wahrheit sei die Wahrheit. Wir tuen also vielleicht gut daran, uns im wohligen Gefühl der Gleichdenkenden öfter den Argumenten der Andersdenkenden zu stellen. Es erscheint mir im Moment doch so, das vieles, vielleicht auch Wahrheit, mehr Verhandlungssache denn Vorgabe sein sollte.

  14. @Menachem:

    Das traff auch auf die RAF zu, oder heute Al Qaida.

    Worin unterscheiden sich Deiner Ansicht nach die RAF oder Al Qaida von europäischen oder US-amerikanischen ‚Anti-Terror-Kriegern‘?
    Meine persönliche Antwort: Im Wesentlichen nur an der Seite, auf der man zu stehen glaubt.

    Meine Assoziation zu der Wahrheitspassage:

    „Ich will dir sagen, wieso du hier bist. Du bist hier, weil du etwas weißt. Etwas, das du nicht erklären kannst. Aber du fühlst es. Du fühlst es schon dein ganzes Leben lang, dass mit der Welt etwas nicht stimmt. Du weißt nicht was, aber es ist da. Wie ein Splitter in deinem Kopf, der dich verrückt macht. Dieses Gefühl hat dich zu mir geführt.“
    – Morpheus

  15. @Menachem: indem ich den ganzen Text las, hab ich mich den „Gedanken der Anderen“ ausgesetzt. Beim Vorwort dachte ich auch „oh je, mal wieder so ’ne autonome Kampfschrift..“.

    Der eigentliche Text (übrigens verdammt schlecht übersetzt) enthält jedoch manchen Teil, der der Aufmerksamkeit wert ist, mich aber auch zu deutlichem Widerpruch inspiriert.

    Deshalb werd ich dem Text (oder Teilen daraus) einen eigenen Beitrag widmen. Bei Stöbern, was dazu so im Web steht (NACH dem Lesen!) hab ich nur mal kurz bei Regula kommentiert.

  16. @Claudia:

    Ob der Text verdammt schlecht übersetzt wurde, kann ich nicht beurteilen; ich habe das Original nicht gelesen.
    Und obwohl mir vieles darin vertraut und schlüssig erscheint, konnte ich mich noch nicht zu einer Quintessenz durchringen. Doch eins ist für mich klar: Der Zerfall der Matrix, die wir demokratische Gesellschaften nennen (durch Auflösung ihrer sozialen Trugbilder wie Existenzsicherung durch Lohnarbeit, Chancengleichheit durch Bildung, freie Entfaltung der Persönlichkeit durch verfassungsmäßige Rechte, Mitbestimmung durch Wahlen…), ist nicht aufzuhalten und lässt immer mehr Menschen in eine Leere fallen. Und die lösen sich ja nicht einfach in Luft auf. Sie werden nach Alternativen suchen. Ob es die Alternativen sind, die das Komitee vorschlägt, wird sich zeigen.

  17. Ob es menschlich Kultur auch ohne Komitees und sonstige Vorsteher geben kann?

    Wenn nein, ohne mich. :)

  18. @Uwe: Das „unsichtbare Kommitee“ hat mit Vorstehern gewiss nichts am Hug. Würde dem anarchistischen Selbstverständnis widersprechen.

    @Iris: ich könnte das Original nicht lesen, weil ich kein Französisch kann. Aber es sind nicht wenige Sätze drin, die grammatisch und inhaltlich so verstolpert, falsch, lückenhaft und ins Leere führend wirken, dass sie der Autor unmöglich so gemeint haben kann. Der doch offensichtlich ein literarisch beschlagener Intellektueller mit typisch französischer Eleganz im Ausdruck ist!

  19. Ich stimme generell zu dass „wir“ gemeinsame Ziele brauchen, aber ich frage mich:
    a) Wer oder was ist „Wir“?
    b) Wer oder was definiert was „gemeinsame Ziele“ sind?

    Dem „wir“ steht die Vereinzelung des Menschen gegenüber, die es wohl schon immer gab, die aber in den letzten Jahrzehnten (proportional zur Ausbreitung des Internet bzw. dessen weiteren Entwicklung?) meinem persönlichen Empfinden nach drastisch zugenommen hat. Und angesichts dieser Geschichte: http://lauramcwilliams.wordpress.com/2010/11/16/touch/

    bezweifle ich stark dass es so etwas wie ein „Wir“ überhaupt gibt. Ein „Wir“ mag es vielleicht angesichts einer unmittelbaren Bedrohung oder einer beruflichen Anforderung (z.B. ein Stationsteam im Krankenhaus) geben – aber spätestens wenn die Wohnungstür hinter mir zufällt und die Bedrohung abstrakter (beispielsweise Klimawandel) wird, dann wird auch das „Wir“ zu einem löchrigen Fadengeflecht, welches über kurz oder lang zerreisst. Dem gegenüber mag das „Wir“ stehen, welches durch persönliches Erkennen des vor mir stehenden Menschen entsteht und das von Freundschaft und Liebe getragen wird. Aber angesichts des Zeitgeistes, der weht wo er will…

    Joachim

  20. Immer wieder einmal entsteht ein „Wir“! :)

    Immer wieder finden sich Gleichgesinnte, mit Gemeinsamkeiten, gleichen Zielen, gleichen Interessen, gleichen Bedürfnissen und gleichen Abneigungen. Ein „Wir“ macht Freude und läßt geborgen fühlen. Ein „Wir“ kann klein sein oder groß, es ist schön.

    Ein „Wir“ ist aber DYNAMISCH. Es ist deshalb nicht zeitlich fixierbar sondern es entsteht und es kann vergehen. Wer den Versuch unternimmt, das „Wir“ festzunageln, es zeitlich und räumlich einzusperren, der kann erleben wie sich das „Wir“ selbst aus luftdicht verschlossenen Behältern befreit und nur die leere Hülle zurückläßt, während es sich woanders neu formiert. Seit Jahrtausenden packen Menschen sich gegensetig am „Wir“- Gefühl, in das sie sich gegenseitig zwingen möchten. Die daraus entstandenen Wunden schmerzen und mancher zweifelt deshalb an der Existenz eines „Wir“.

    Die Erkenntnis des „Panta Rhei“ Heraklits von 500 v.Chr. ist noch immer nicht im Alltag angekommen. Der Mut, das „Wir“ frei fließen zu lassen, ohne der Gewohnheit zu verfallen, es der Sicherheit und Berechenbarkeit wegen in statische Formen fixieren zu wollen, den haben „wir“ (einige, manche, die meisten?) noch immer nicht.

    Wie Goethe sagte:

    „Es soll sich regen, schaffend handeln,
    erst sich gestalten, dann verwandeln;
    Nur scheinbar stehts Momente still.
    Das Ewige regt sich fort in allen:
    Denn alles muß in Nichts zerfallen,
    Wenn es im Sein beharren will.“

    WIR haben also gemeinsame Ziele, doch die fließen ebenso, wie es das „Wir“ tut.

  21. @Uwe, das hast du sehr schön beschrieben.:)
    Doch kenne ich auch die Zwangsräume, in denen dem „Wir“ jedes fließen unmöglich wird, wo Verlustängste stärker sind, als Glaube und Träume.

    Und weil ich weiterhin glaube, das wir noch nie so viele Möglichkeiten hatten aus einer Einsamkeit herauszutreten, auch gerade durch das Internet, und in einem „Wir“ nicht nur ein Projekt oder eine Arbeit gemeinsam bewältigt werden kann:

    http://www.bluetime.ch/?p=10853

    nur als ein Beispiel, das ähnlich auch schon hier auf dieser Seite in beeindruckender Weise gezeigt hat, das wir sozialer sind, als wir uns manchmal einreden.

  22. @joachim: mein Gefühl eines „wir“ hängt nicht vom physischen Kontakt ab, sondern eher von der Intensität des Austauschs und der Art der jeweils gemeinsamen Interessen. Und dafür bietet mir das Internet Kommunikationsmöglichkeiten, die alles vorherige in den Schatten stellen.

    Dass sich einer umbringt und das ins Web streamt, zeigt eigentlich nur, dass es ein sehr isolierter, verzweifelter Mensch war, der sich in seinem Umfeld niemandem öffnen/annähern konnte. Und sagt auch etwas über die japanische Arbeitskultur, die über 30.000 jährlich in den Selbstmord treibt. Das Netz als Kommunikationswelt hat daran keinen Anteil, bzw. wird halt nur benutzt. Immerhin wurde er überhaupt nur gefunden, weil sich Onliner kümmerten…

    @Uwe: ja, ein wahrhaft wichtiger Aspekt! Wenn ich Gemeinsamkeit als Besitzstand ansehe, den es zu bewahren gilt, hab ich sie im Grunde schon verloren.

    Bezüglich der Gefühle von Einsamkeit, Isolation etc. denke ich schon lange: es liegt vor allem am Individuum selbst, das sich vornehmlich darauf konzentriert, was ihm FEHLT. Und nicht darauf, was es geben könnte, wo es gebraucht werden könnte. Ändert man in diesem Sinne die Blickrichtung, ist Einsamkeit kein Thema mehr! (Aber ok, das ist vermutlich eine „Altersweisheit“… )

    Doch auch schon in jungen Jahren erlebte ich immer wieder Menschen, die mich ohne Ende „zutexteten“ im Dienste ihres Verlangens nach Aufmerksamkeit und Zuwendung – dabei war ICH doch immerhin schon da, dem Redner 100%ig zugewendet, eine geduldige Zuhörerein und bereit zum Austausch und allem, was da als GEmeinsamkeit folgen könnte. Nur kam ich gar nicht zu Wort, bzw. wurde nur als beliebige Klagemauer wahrgenommen: derjenige blieb in seinem Kopf bei seinen Sehnsüchten – und übersah die aktuelle Erfüllung, die vor ihm stand.

  23. Vorhin hab ich mal kurz über mein ‚Wir-Gefühl‘ nachgedacht:

    Das ‚Wir-Gefühl‘, was bedeutet das eigentlich für mich persönlich? Wann gehe ich in einem ‚Wir‘ auf? Gerne? Beiläufig? Widerstrebend?

    Es gibt Situationen, in denen mir das ‚Wir‘ leicht und ganz selbstverständlich über die Lippen geht – z.B. wenn ich mit anderen über Pläne und Erlebnisse unterhalte, die ich mit meinem Partner teile. Da dient das ‚Wir‘ schlicht als Kurzform für ‚Er und ich‘.

    Nicht selten benutze ich das ‚Wir‘ jedoch als rhetorisches Mittel, um einem Gegenüber gemeinsame Interessen zu suggerieren. Dabei empfinde ich mich jedoch meist nicht wirklich als Teil einer Gemeinschaft. Ich beschreibe eine Gruppe Gleichgesinnter, betrachte sie aber in Wahrheit von außen (na ja, höchstens mit einem Fuß in der Tür) – z.B. wenn ich sage ‚Wir Deutschen‘, ‚Wir Frauen‘, ‚Wir Gartenblogger‘ oder ‚Wir Atomkraftgegner‘. Es ist keine Lüge. Es gibt eine Schnittmenge zwischen mir und diesen Gruppen. Doch die Schnittmenge ist im Vergleich zum ersten Beispiel viel kleiner.
    Wenn andere jedoch das ‚Wir‘ als rhetorisches Mittel verwenden und auch mich damit meinen wollen, habe ich manchmal das Gefühl, gegen meinen Willen vereinnahmt zu werden.

    Vorhin dachte ich auch, vielleicht wär’s besser, wenn es gar keine automatischen oder ‚Zwangs-Wirs‘ wie Staats- oder Religionszugehörigkeiten gäbe. Wir wären dann alle einfach nur Menschen und könnten unsere ‚Wirs‘ frei wählen. Na ja, nicht wirklich frei (seine Eltern und Geschwister kann man sich z.B. nicht aussuchen), aber zumindest freier als in den gegenwärtigen Zivilisationen.

  24. @Claudia
    Ja, ich meine auch, es liegt am Individuum selbst, ein „Wir“ sehen zu können und zu wollen. In diesem Sinne förderlich ist die Blickrichtung des „Was kann und was will ich geben?“

    Doch das ist nicht so leicht, weil doch einige an ihrer „Wir-Schnittstelle“, irgendwie gestört zu sein scheinen, etwa so, wie Du es von dem, der nach Aufmerksamkeit und Zuwendung hungerte, sie aber weder geben noch nehmen konnte, beschrieben hast. Mit dem „Wir“ wurde und wird viel Mißbrauch getrieben, meine ich. Das „Wir“ als Besitzstand ist doch eher die Regel, als die Ausnahme. Ein „Ich liebe Dich“ heißt doch soviel wie: „Du gefällst mir, ich will Dich fressen!“ ;)

    @Menachem
    Ich halte mich und andere nicht für asozial aber ich bin zufrieden damit, den paar Menschen etwas zu geben, die ich kenne und mit denen ich meine Zeit verbringe. Jeder Fremde bekommt ein Lächeln, Geduld und guten Willen.

    @Iris
    Ich kann Deine Gedanken zum „Wir“ gut nachfühlen. Natürlich kann man sich Familie nicht aussuchen aber es ist doch möglich, das „Wir“ auch mit diesen Menschen so zu gestalten, daß es einen zufrieden macht.

  25. Im Zuge dieses Gesprächs rund ums „Wir“ bemerke ich nicht zum ersten Mal, dass ich auch ein „Wir-Gefühl“ in Bezug auf EUCH empfinde. WER ist das? Eher langsam fluktuierende „Stammposter“ bzw. Kommentiererinnen, die mir in gewisser Weise Repräsentanten für 10 bis 30 mal soviel schweigende Mitlesende sind. Die ich im Lauf der Zeit mehr und mehr als Person wahrnehme – und durchaus auch vermisse, wenn sie dann nicht mehr schreiben. Ab und an kommen ja dann wieder andere… – wer aber einmal hier „Stammposter“ war, bleibt mir in aller Regel LANGE im Gedächtnis.

    Interessant daran finde ich, dass es mir nicht leicht fällt, das „gemeinsame Interesse“ zu definieren, das Grundlage dieser „Community“ (ohne jeglichen Subscribe-, Registrier-dich, folge mir oder friende-mich-Zwang) ist.

    Denn WIR sind ja wahrlich nicht dauernd einer Meinung! Im Gegenteil, da prallen unterschiedliche politische Haltungen, Weltbilder, Lebenssituationen, Selbstverständnisse und Begriffsverständnisse aufeinander, die anderswo locker in die sog. „Flamewars“ ausufern würden.

    HIER aber gelingt es immer wieder, nicht nur oberflächlich-Netiquette-konforme Höflichkeit einzuhalten, sondern sogar in der Tiefe „open minded“ dem Zustandekommen der Position der Anderen vorurteilslose Aufmerksamkeit zu schenken. Tut man das, landet man in aller Regel beim Verstehen. Also auf der Basis aller echten Gemeinsamkeit.

    Dafür danke ich Euch!!

    Was meinen Anteil daran angeht, möchte ich den zur anderweitigen Anwendung gern BENENNEN, soweit ich ihn erkenne: Man muss VON SICH sprechen, die eigenen Erfahrungen mit dem mit-teilen, was die Begriffe, Metaphern und „Labels“ zu bedeuten scheinen. Letztlich also wahre Geschichten aus dem eigenen Leben erzählen – SIE sind die Antwort auf jede Frage des Anderen: „Warum denkst du SO?“
    (Und das bedeutet dann in der Folge auch: will ich, dass der Andere umdenkt, muss ich bereit sein, an seiner konkreten Situation etwas zu verändern bzw. zu verbessern. Bzw. im Rahmen meiner Möglichkeiten dabei mitzuhelfen).

    Mit dem Internet haben wir eine Kommunikationstechnik, die das „große Gespräch“ ermöglicht: Dass sich alle mit allen austauschen = viele mit vielen = jeweils wenige mit wenigen, die aber ihrerseits wieder vielfach mit vielen, letztlich mit allen vernetzt sind.

    Wenn das die Welt mal wirklich durchdrungen hat: glaubt ihr, es könnte noch jemand (außer im Affekt) töten?

    (Ok, das ist jetzt eine utopistische Spekulation… man gönnt sich ja sonst nichts… :-)

  26. Jetzt mach ich mal was, was ich sonst nie mache. Kommentiere einen Kommentar, ohne (ausnahmsweise mal bei Dir, aber letzte Woche war echt gesteckt voll) den Artikel zu meinen oder ihn gar gelesen zu haben. *duckt sich*.

    Ich Danke Dir für diese Ecke im Netz, wo man sich mit anderen „echten“ Menschen hinsetzen und reden kann. Diese Ecke stellst Du nicht nur bereit, sondern pflegst und vor allem prägst sie. Und da kommt man immer gerne hin. Und nur das setzen wir eben wieder im Kommentieren um: Deine Art und Weise und Qualität. Danke Dir also!

  27. Liebe Claudia,
    ich kehre immer wieder gerne zu Deinem Blog zurück – ich empfinde es als erfrischend, hier zu lesen und mitzukommentieren.
    Bezüglich des Internet bin ich längst nicht so zuversichtlich wie Du, das merke ich immer wieder. Auch das hat private Gründe (wie Du ja gerade in der Reflexion “Warum denkst du SO?” anmerktest. Für mich persönlich ist das allabendliche Kreisen im Internet problematisch, weil andere Dinge zu kurz kommen bzw. völlig ausgeblendet werden. So habe ich letzten Donnerstag mal wieder in einem wertvollen Buch gelesen, das ich viele Monate aufgeschlagen herumliegen hatte – und ich habe einen Abendspaziergang gemacht, der mir in jeder Beziehung gut tat. Und Zeichnungen nachbearbeitet, eine geradezu meditative Angelegenheit.
    Aber wie gesagt, Deine Seite und die interessanten Kommentare Deiner Stammleser möchte ich trotzdem nicht missen.

    Gruß
    Gerhard

  28. „Mit dem Internet haben wir eine Kommunikationstechnik, die das “große Gespräch” ermöglicht: Dass sich alle mit allen austauschen = viele mit vielen = jeweils wenige mit wenigen, die aber ihrerseits wieder vielfach mit vielen, letztlich mit allen vernetzt sind.“

    Dagegen möchte ich etwas sehr anderes setzen:

    Mit dem Internet haben wir eine Kommunikationstechnik, die das „schlimme Gespräch“ ermöglicht: Daß sich alle mit niemand austauschen = die Vielen mit den Wenigen = ein paar Knoten mit dem Einen, der sie alle in der Hand hält, was kaum einer merkt und sie letztlich alle gleich macht.

    Sehr mutig parallelisiert, aber in meinen Ohren doch sehr passend (natürlich mit den entsprechenden Übersetzungen der Label), klingt es so:

    Three Rings for the Elven kings under the sky,
    Seven for the Dwarf-lords in their halls of stone,
    Nine for Mortal Men, doomed to die,
    One for the Dark Lord on his Dark Throne,
    In the land of Mordor where the shadows lie,
    One Ring to rule them all,
    One Ring to find them,
    One ring to bring them all,
    And in the darkness bind them,
    In the Land of Mordor where the shadows lie.

  29. Ich finde das Internet, @Gerhard, trotz der Zeit die man manchmal auch gut und gerne anders verbringen könnte, schon eine tolle Sache.

    Ich komme also spät heim, nach einem harten aber sehr erfolgreichen Arbeitstag, knipse den Rechner an und freue mich in der guten Laune der Kommentare hier, besonders und beginnend mit @Claudias Kommentar „rund ums wir“. Und während ich dabei über authentisch, Geben und Nehmen nachdenke, „schneit“ (man beachte die Spitzfindigkeit in Anlehnung an die heutigen Strassenverhältnisse) Susanne`s Kommentar dazwischen.

    Und auf einmal meine ich neben mir zu stehen und dabei zuschauen zu müssen, ohne was daran ändern zu können, wie mein Stimmungsbarometer von 220 unaufhaltsam auf -70 fällt.
    Natürlich kenne ich Stimmungsschwankungen, aber in dieser Heftigkeit war es eine lange unbekannte Beobachtung bei mir, was natürlich daran liegt, das ich in @Susanne`s Kommentar was erkannt habe, auch wenn ich den großen Kontext nicht verstehe, was unangenehm wahr sein könnte.

    Das ganze ist zu später Stunde zwar nicht sehr angenehm, doch konnte es mich heute abend, nur aus dem Internet in einem großen Gespräch erreichen. Ich denke nun schon eine ganze Weile über die Dinge nach, die mir gefallen haben und nicht, und wie ich sie sehe.

    Dafür danke ich dir, @Susanne, und besonders dir @Claudia, die immer wieder dazu anregt und mir das ermöglicht.

  30. @susanne
    Und was heißt das auf Deutsch?

  31. Auch Dein Beitrag, @Menachem, ist mysteriös für mich. Soweit ich Dich kenne oder Deine Kommentierung kenne, gehst Du gerne nach einer unangenehmen Nachricht „alsbald“ ins Allgemeine, um Dich zu schützen und nicht verletzt zu werden. Wenn dem so ist (weiß ichs?), dann will ich auch nicht daran rühren.

    Was mich an der Blogkultur verdriesst, ist, daß ich nicht mal so auf einen Sprung vorbeikommen kann, sondern eine „abendfüllende“ Beschäftigung daraus machen muß, meist zumindest (oder manchmal), UM überhaupt mitreden zu können. Haupttext von Claudia, Kommentare lesen, Meinung bilden, etwas dazu sagen, was irgendwie Sinn macht…ect.

  32. @Susanne: offenbar erleben wir das Internet jeder sehr anders. Ich habe wohl bemerkt, dass dein Blog erst keine Kommentare mehr zuließ, dann vollständig hinter einer Zugangsdatenabfrage verschwand – und jetzt ist es gar nicht mehr da.

    Ich dagegen eröffne immer mehr Projekte und denke darüber nach, endlich eine/n Mitarbeiter heran zu ziehen, damit das weiter gehen kann. (Suche Sponsoren für Philosophie-Projekt… :-) Mache seit 1996 jede Menge tolle Erfahrungen, lernte neue Menschen kennen, die mir heute echte Freunde sind, erlebe Mitmachen und Zusammenwirken auf Feldern, wo es früher einfach nicht möglich gewesen wäre. Kann mir mittels Recherche besser eine eigene Meinung bilden als in der alten Welt der Gatekeeper. Bekomme Einblick in die Sicht- und Denkweisen so vieler verschiedener Menschen, wie es früher mangels Kontakt gar nicht möglich gewesen wäre. Könnte in etliche Länder reisen und würde da jemanden kennen, wäre nicht „nur Tourist“, sondern könnte das normale Leben mitbekommen. Meine zwei Kambodscha-Reise waren Besuche bei einer Internet-Bekanntschaft – und die zweijährige Spendensammlung hier im Diary zum Brunnenbau hat dort Hunderten Menschen die reale Lebenssituation SEHR verbessert!

    Ach ja, ich könnte viele Seiten füllen mit allem, was ich an positiven Asprekten und Folgen des Netzes mitbekam, genutzt und genossen habe.

    Dass es auch eine dunkle Seite gibt, ist doch normal. Das ist immer so, wo Menschen interagieren. Es gibt Betrüger, Menschenverführer, Hetzer, Rassisten, Maleware, Trojaner, Abmahnwahn, Absahner, Trolle, Flamewars, Verrückte, politisch Suspekte, Cyber-War, Industriespionage, Vermarkter und Überwacher – na und?

    Dies alles gab es auch ohne das Internet. Jetzt bekommt man es nur besser mit.

    Und es passieren neue Verschaltungen, die es so noch nie gegeben hat. Verborgenes kommt ans Licht: Teflon-Angela ist witzig, die arabischen Bitten Richtung USA, der Schlange Iran doch den Kopf abzuschlagen, nicht. Wieviel Transparenz erträgt die Welt? Wir werden sehen…

    Irgendwie ist es auch absurd, überhaupt über „das Internet“ zu sprechen – als gäbe es da etwas jenseits von uns. Etwas, das WIR MENSCHEN nicht selber wären. Dabei handelt es sich doch „nur“ um eine kommunikationsermöglichende Verschaltung potenziell aller mit allen.

    Wie sich die eigene Stimmung angesichts all dessen entwickelt, geht einher mit dem, womit man sich selber aktiv befasst. Wo mache ich mit? Wohin leite ich Aufmerksamkeit? Wo investiere ich Herzblut? Wo gehe ich in Resonanz und wo wende ich mich mit Grausen ab? In welche Richtung schwenke ich meine Flügel, um als Schmetterling den potenziellen Orkan zu entfachen?

    Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Alter Spruch, aber wahr.

  33. @Uwe:

    Das:

    Drei Ringe der Vielfalt, der Welt und der Zeit,
    sieben der Einfalt, die sich weiß wie ein Stein,
    neun für Allwissenheit, stets eifrig bereit,
    einer der Nachricht, dem einzigen Sein,
    im Lande der Wahrheit, die jeden ergreift,
    ein Satz, sie alle zu leiten,
    ein Satz, sie zu finden,
    ein Satz, sie alle beizeiten
    an Meinung zu binden,
    im Lande der Wahrheit, die jeden ergreift.

    @Claudia

    Der Sumuze-Blog bei blogspot.com ist gesperrt, ja, aber die Website, auf die ich hier z.B. immer eifrig verweise, nicht.

    Ich finde es durchaus legitim, von ‚dem Internet‘ zu reden, da oft auch von ‚den Printmedien‘ geredet wird, wenn beide gegenübergestellt werden, um das Loblied des Letzteren zu singen.

    Und etwa die Veröffentlichungen von wikileaks betrachte ich nicht der Absicht, aber der Quantität nach eher als Des-Information denn als Information. Interessanterweise rufen sie jetzt die alten Meinungshüter (hier in Deutschland etwa ausgerechnet Spiegel-Redakteure!) auf den Plan, um zu tun, was in meinen Augen Kennzeichen des Internets ist bzw. wird:
    Angesichts eines unbearbeitbaren Chaos aus Millionen kaum zu prüfender Detailinformationen die Autorität der wenigen Meinungsmacher den vielen Meinungshabenden gegenüber zu restaurieren.

    P.S. Das, was ich über Teflon-Angela und ihre Helferlein da lese, hat für mich offen gesagt den Erkenntniswert von Bauernweisheiten und Börsennachrichten. Dazu braucht es wahrlich kein Internet.

    Und zu alten Sprüchen fiel hier jemandem ein: Du hast keine Chance, also nutze sie! ;-)

  34. Ich kann mich Deiner Beurteilung, Susanne, so ich sie meine verstanden zu haben, zu nicht kleinen Teilen anschliessen. Allerdings nutze ich, so denke ich, die Technik der miteinander verbundenen Wortspeichermaschinen in erster Linie zum Austausch mit Menschen, die ich mag (zBsp. eben Claudia) oder die mir bei denen dann begegnen (mit Dir jetzt gerade).

    Und bei letzteren lerne ich diese dann ab und an auch etwas näher kennen. Das geht an den mir unangenehmen Strömen des Netzes ganz gut vorbei. So wie eben im anfassbarem Raum auch. Mal (eitel gehofft „meist“) mehr, mal sicher auch weniger als man es sich wünscht.

  35. Oh, ein Doppelkommentar, verzeiht Claudia, aber ich wage es mal frech. ;-) (Und dann auch nur auf einen Kommentar beziehend *hustet verlegen*)

    Wikileaks Aktion wird in meinen Augen dazu führen, das die Unsicherheit den „neuen Kommunikationsmedien“ gegenüber noch mehr zunimmt. Das pauschale ungefilterte Veröffentlichen von privaten und vertraulichen Gesprächen, führt dazu, das sich immer mehr Leute doch überlegen werden, ob sie einem Medium diese ihre Kommunikation anvertrauen wollen, das alles so lange speichert, bis es auch der letzte dritte diese wieder ausgegraben hat und fraglos veröffentlicht hat.

    Das Ergebnis dieser Verunsicherung führt dann dazu, das die Leute sich zum einem immer mehr mit virtuellen Brandschutzmauern und Gartenzäunen umgeben, und dahinter anderseits auch lieber nur noch Belanglosigkeiten austauschen, die nachher möglichst unbelastend wirken. Man redet nur noch über Oberflächlichkeiten.

    Da mag die kleine Scharr der emsigen Bloger noch mehr Blogs eröffnen, die grosse Masse der Skeptischen ist nun noch mehr auf Gartenzäune und eigene-Meinungs-Verpixelung aus. Und ich kann es teilweise auch gut verstehen.

  36. @Susanne: ah, das Blog ist doch nicht weg! Ich war gestern über deinen Link hier hin gesurf, doch war es definitiv nicht erreichbar (weiße Seite). Zum Glück also nur eine temporäre Störung, kein „Rückzug aus dem Netz“!

    Bezüglich Wikileaks sehe ich durchaus Fanatiker am Werk, die „Staaten vorführen“ wollen und irgendwie Geschichte schreiben. Allerdings haben die USA mit der Schaffung ihrer für über 1 Mio Leute zugänglichen zentralen „geheimen“ Datenbank für all diese „vertraulichen“ Memos selbst daran mitgewirkt, dass das so kommt. Wie kann man nur so bescheuert sein?

    Mich ruft die Arbeit, ich würd gerne länger schreiben! Heut abend dann halt.. :-)

  37. @Susanne
    Danke, Susanne, für die freundliche Übersetzung. Sie scheint mir recht frei zu sein, doch das ist nicht die Ursache, weshalb ihr Sinn sich mir nicht erschließt. Es scheint mir, als sei mein Wortbildungsapparat vollständig resistent gegen Lyrik. Ich finde das schade, denn ich würde wirklich gerne wissen, was Du meinst aber ich verstehe, ganz im Ernst, nur schlichte Aussagen, gebildet aus Wörtern, deren Bedeutung nicht allzuviel Interpretationsfreiheit lässt.

    Mehr gefühlt als verstanden habe ich einen Ausdruck der Besorgnis darüber, daß die „Kommunikation“ via Internet in ein Meinungs- bzw. Wahrheitsmonopol führen könne, welches aber unbemerkt bliebe und Vielfalt lediglich vortäusche. Wer oder was „der Eine, der sie alle in der Hand hält“ sein könnte, kann ich mir aber nicht gut vorstellen.

    Es ist wohl so, daß Kommunikation bei weniger selbstbewußten Menschen leicht dazu führt, daß sie ihre Positionen verlassen und sich dem anschließen, der eloquent, sicher und wissend auftritt, insbesondere dann, wenn dessen Position sich ständig wiederholt und als Echo aus allen Richtungen des Netzwerkes zu hören ist. Wenn es diese Verführbarkeit wäre, die Dich besorgte und wenn Du das Internet als Tummelplatz der Verführer sähest, dann verstünde ich, was Du meintest. :)

  38. @Uwe

    Ich finde, daß Du meine rohe Umsetzung der etwas bombastischen Zeilen des Mr.Tollkien sehr passend in deine Worte gekleidet hast. Und „nur schlichte Aussagen, gebildet aus Wörtern, deren Bedeutung nicht allzuviel Interpretationsfreiheit lässt“ ist in meinen Augen ein sehr (fast schon zu) dickes Lob für so ein paar Zeilen. Weil es nämlich ziemlich genau beschreibt, wie ein Gedicht auszusehen hat, das mir gefallen könnte.

    Auf den hier diskutierten Zusammenhang passen womöglich besser als die obigen Zeilen diese (uralte Kamelle, Ende 19.Jahrhundert) der Miss Emily Dickinson:

    To make a prairie it takes a clover and one bee,
    One clover, and a bee,
    And revery.
    The revery alone will do,
    if bees are few.

    Hier eine mögliche Übertragung, falls Du lieber Deutsch liest:

    Für Prärie da brauchst du Klee und Bienen,
    einen Klee, und eine Biene,
    und einen Traum.
    Der Traum reicht auch,
    sind Bienen aus.

    Im Geschnatter in und über ’neue Kommunikationsmedien‘ liegt mir das Gewicht viel zu sehr auf dem Klee und den Bienen, die dort offenbar beide niemals ausgehen können, so daß es des Traumes anscheinend immer weniger bedarf.

    Davon unbenommen bleibt, daß es trotz allem immer wieder Menschen gibt, die vorhandene, ob alte oder neue spielt da keine Rolle, Kommunikationsmedien auf eine Weise verwenden, welche ihre Träume am Leben läßt. Claudia hat oben Beispiele genug angeführt. Ich glaube aber, solche Menschen täten so etwas auch ohne ’neue Medien‘, weil sie Menschen sind, die Träume haben und stets nach Wegen suchen, diese nicht sterben zu lassen.

    Wer jedoch im Medium nach ‚(s)einem‘ Traum sucht (und das sind nicht wenige), wird im Dunkel belassen. Das Medium ist eben nicht die Botschaft. Obwohl die Behauptung des Gegenteils so verlockend eingängig klingt, daß ein Haufen Leute sie seit Jahren wie eine Weisheit ausposaunt. Aber ich fürchte, diese Menschen kann man auch glauben machen, daß der Preis das Brot sei. Bis sie ihn dann eines Tages essen müssen.

  39. Wobei ich, Susanne, da eine leichte Einschränkung einführen würde, die aber, vielleicht, Deine Intention jetzt nicht so riesig infrage stellt: ich erlebe im Netz (ich bewege mich seit nun 20 Jahren in computergestützen Kommuikationsnetze) immer häufiger, das „Wichtigkeiten“ herbei geschrieben werden. Da entsteht ein virtuelles aufgeregtes Beben, das die Leute dann rückwärts gekoppelt in das reale Leben zu übernehmen scheinen. Das Medium führt dazu, das Botschaften quasie künstlich entstehen (Angst zum Beispiel), die dann plötzlich und ernst zu nehmend als real empfunden werden.

    Obwohl sie nur durch das gegenseitige schulterklopfende Bestärken in der Wichtigkeit von sich zuschreibenden Internetkommentatoren so intensiv entstanden sind.

    Die Dynamik des Netzes erzeugt so reale Gefühle, die wiederum reale Taten nach sich führen können. Das ist keine Erfindung des Internets, aber das Internet kann das zum Teil innerhalb seiner Gemeinde weitaus schneller, als die anderen Medien das konnten.

    Nebenbei wird, denke ich, aus dieser Eigendynamik unter den Netzleuten die Wichtigkeit des Netzes an sich auch noch etwas zu hoch gehangen. Kommunikation übers Netz ist in der Gesellschaft weit weniger verbreitet und wichtig, als von vielen angenommen, denke ich. Deswegen entfernen sich immer mehr Netzleute in ihrem (Selbst-)Verständnis zu einem nicht eben kleinen Teil von der restlichen Gesellschaft.

  40. gemeinsame ziele sind gefährlich für die die ausser halb des Wir- Raums leben,
    denk ich mal.

    beispiel:
    rapsöl /ölanbau im noch vorhandenen Urwald
    dort wird in etwa 20% mehr co2 produziert
    durch abholzung riesiger flächen die dann zum anbau von ölpflanzen für „bio“-öl
    genutzt werden. die „wirs“ der EU fördern die „wirs“ der autofahrer und bald auch der fluglinienbetreiber mit subventionen in milliardenhöhe.

    „wir“ sägen uns den ast ab auf dem wir sitzen und subventionieren das auch noch freudestrahlend (preise und ehrungen für technische entwicklung von motoren die biosprit verfeuern)

    „wir“ im öffentlichen raum: nein danke!
    ingo

  41. Leider hat meine Frage (ganz oben), ob mehr Gemeinsinn denn ein gemeinsames Ziel ist, niemanden interessiert. Ich komme über diesen Punkt vorerst nicht hinaus und schon gar nicht zum Brauchen von Zielen, ist doch meines, davon wegzukommen, aber

    ich danke Chräcker für die ‚Wortspeichermaschinen‘ (meine nutze ich dazu, Wörter zu speichern) und Uwe für den ‚Wortbildungsapparat‘ (meinen versuche ich, im Zaum zu halten). Das sind schöne Zusammensetzungen, an denen ich mich freue. Merci!

    Und ich danke Susanne für ihren Satz über Gedichte, die ihr gefallen könnten, und Uwe, der die Vorlage lieferte, weil ich Susanne jetzt besser verstehe und ahne, was uns beide trennt (ich brauche keine Bedeutung schon im Gedicht, will mehr ‚Interpretationsfreiheit‘, letztlich Gedichte aus allem erlesen, nicht mehr als solche schreiben). Wir brauchen aber keine gemeinsame Auffassung vom Gedicht, die wäre nur langweilig.

    Ohnehin freue ich mich an den Kommentaren, die mir ein Gemeinsames sind (zehn Minuten Lesevergnügen), das kein einzelner in Sinn hatte, das nicht auf dieses Ziel gerichtet gemeinsam geschaffen wurde und doch … Dank also allen, herzlichen Dank.

    *
    Zum ‚Wir‘, zu ‚ich und meine Freunde‘, Familie, Kiez, Stadt, Land, Sprache, Essen und Tanz: wo das Online-Wir über das Netz (im technischen Sinne) hinaus weist (außer in parteilichen Foren), erscheint es oft als nicht mehr ausgrenzendes (das sehe ich wie @ingo), sondern als auf ‚uns Menschen‘ gerichtetes, öfter als im Offline-Alltag, das gefällt mir gut. Wirbildungsapparat vs. Wirspeichermaschinen. (Ich bin bei ‚wir, das Leben‘.)

    *

    Und @Chräcker (doch ein Ziel): du hast wohl Recht, ‚online‘, ist gesellschaftlich weniger relevant, als man es online empfindet. Noch – d.h. es soll mehr werden. Das hätte ich gern. Heute regen sich Netizens darüber auf, wie eine netzferne Politik das Netz regulieren will, morgen vielleicht schon darüber, wie eine netzferne Politik die Gesellschaft reguliert, übermorgen regulieren sie dann hoffentlich sich selbst, sind mehr und sind die Politik, die dann nicht mehr Beruf einiger, sondern Anliegen aller ist. (Das Netz nicht als heutige Technik, sondern als Möglichkeit gefasst, es darf sich auch entwickeln.)

  42. Ich behaupte mal, dich auch so verstanden zu haben, @Susanne. Ich glaube ebenfalls nicht, dass das Internet Neues erschaffen oder erzeugen kann, aber es kann in seiner Art Anteile von uns sichtbar werden lassen, wobei es eine von verschiedenen Kommunikationsmöglichkeiten ist, die dem einen mehr, dem anderen weniger liegt.

    Ist es nicht ähnlich wie mit vielem, z.B. mit Autos. Du fährst viele probe und irgendwann entscheidest du dich und sagst, dieser Autotyp kommt meinen Bedürfnissen am nächsten, trotz eventueller Einschränkungen.

    Hier findet doch keine Pflichtveranstaltung statt, und aus den unterschiedlichsten Motiven wird hier kommentiert. Ich finde nicht nur klasse, was @Gerhard über mich z.B.schreibt, sondern fast noch mehr, wie er es schreibt. Ich fühle mich dabei in meiner Meinung bestätigt, das wir im unredigierten hier geschrieben Wort mehr Nuancen unserer Befindlichkeiten wahr nehmen, als es uns bewusst ist und so auch kommunizieren.

    Wenn Gerhard über mich schreibt, dass ich mich gerne durch „Allgemeines“ zu schützen versuche, dann drückt er das aus, was ich wohl in mir fühle, das ich aber selbst klar und deutlich nicht gerne ans Tageslicht lasse. Ich empfinde das Ausdrücken dieser Beobachtung von @Gerhard nicht nur als Hilfe für meine Selbstbeobachtung, sondern er drückt es aus,
    ohne mich zu verletzen, fast als freundschaftlichen Rat: Schau mal dorthin.

    Keine Frage, wenn es mein Wollen ist, mich in dieser Art mit Menschen auszutauschen, finde ich das auch im realen Leben, weshalb ich das Internet auch nicht als „entweder – oder“ betrachte, sondern als persönliche Erweiterung.

  43. @Dirk

    Deine Frage („Ist ‚mehr Gemeinsinn‘ ein gemeinsames Ziel?“) habe ich beim Lesen der Kommentare hier leider ganz übersehen. Womöglich ging es anderen ebenso. (Vielleicht war, weil bei Claudia die Kommentare stets dazu tendieren, sehr lang zu sein, Deiner einfach etwas zu kurz geraten? ;-) )

    Nach meiner Lesart ist ‚Gemeinsinn‘ so etwas wie das Händchen-Halten in den lärmenden Gruppen kleiner Kinder, wenn Kindergärtner/innen sie durch den Verkehr in der bedrohlichen Stadt lotsen. Jedes Kind fühlt, daß da andere sind, orientiert sich an ihnen und orientiert wiederum sie, und jedes Kind genießt es wohl auch sehr. Bei Erwachsenen kommen Planung und Vorausschau, Verzicht und Leistung und die Belohnungen des von sich wissenden Gefühls für Verantwortung zu den Händchen, dem Gekicher und Geschrei hinzu.

    Das Konstrukt des Homo oeconomicus hat solchen Sinn nicht, sondern entwickelt nur einen Ersatz aus der Ratio der individuellen Nutzenoptimierung (ich muß daran denken, was andere mir wegnehmen können, wenn ich ihnen etwas wegnehme). Das ist aber nur eine mich unendlich langweilende Gedankenspielerei, an der mich lediglich interessiert, warum sie so lange die Hirne angeblich des Denkens fähiger Menschen verkleistert hat.

    Ich glaube vielmehr, daß Menschen Gemeinsinn haben, wie sie Tastsinn haben. Ohne Gemeinsinn wären die Menschen keine Menschen bzw. es gäbe sie gar nicht. Das heißt aber nicht, daß dieser ‚Sinn‘ nicht verkümmern kann, wie etwa der Geschmackssinn oder andere menschliche Werkzeuge und Relationen. Wir erleben das ja gerade mit dem Geld. Der Perspektive des Bilanzjahres, Kriterien wie dem des shareholder values, generell allen Gewinnkalkülen muß ein ‚Gemeinsinn‘ (hier das Heraustreten aus der jeweils gewählten Beschränkung auf damit einzig relevante Binnen-Parameter) aufgezwungen werden. Fehlt ein solchen Zwang ausübender Leviathan, ergibt sich ein Krebswachstum, daß die Funktionen des Geldes zu negieren droht (wenn z.B. Geld mehr Geld durch den Tausch gegen Geld zu machen scheint als durch den Tausch gegen Ware, was die (Re-)Produktion von Waren, auch der Arbeitskraft, gefährdet)

    Ähnlich bei den einzelnen Menschen. Die Verkürzung der Perspektive auf Parameter des individuellen Gewinnens (bei Ausbildung, Job, Partnern, Verbrauch und der Anschaffung langfristiger Konsumgüter) negiert vieles an Parametern, was außerhalb eines modischen Fahrzeugs und einer Einladung zur Gartenparty bei wichtigen Leuten dem Einzelnen sein Leben lebenswert erscheinen lassen kann. Denn niemals können alle zugleich gewinnen. Wir erleben in Europa und Nordamerika gerade doch, wie hart es uns ankommt, in der nicht mehr allzu fernen Zukunft zu den Verlierern der Globalisierung zu gehören (neulich ein wütender Handwerker beim Baumarkt vor dem leeren Schraubenregal zum hilflos von Lieferengpässen murmelnden Verkäufer: ja steckt doch aus Raffgier den Chinesen gleich alles hinten rein, ihr Deppen!)

    So betrachtet denke ich, kann Gemeinsinn durchaus als ‚Ziel‘ im Sinne eines ‚wehe wenn nicht!‘ angesehen werden. Die Redeweise ‚mehr‘ leuchtet mir allerdings nicht ein. Höchstens, wenn sie von einer ‚gesunden‘ Form des Gemeinsinns ausgeht, die dann als ‚mehr‘ einer ‚kranken‘ Form gegenübergestellt wird und an die es wieder heran zu kommen gilt.

    .

    Noch ein paar Worte zum Gedicht:

    Deine Aussage, “ich brauche keine Bedeutung schon im Gedicht, will mehr ‘Interpretationsfreiheit’, letztlich Gedichte aus allem erlesen, nicht mehr als solche schreiben“ empfinde ich nicht komplett als Gegensatz. Einmal sind Texte nur recht beliebig auf solche umzäunten Plätze wie Prosa, Gedicht, Abhandlung, Albernheit, Gelalle usw. zu verteilen. Zum anderen gibt es kein Wort, das nicht Lesenden Interpretationsfreiheit ließe, je nach Willen und Können derselben.

    Natürlich spielt die Absicht aber eine große Rolle. Wenn ich einen Text unter ’songs‘ mir gelistet denke, dann ist er für mich ein Gedicht. Wenn nicht, eben keins. Andere sehen als Gedicht alles, was kein Fließtext ist und irgendwie (mir meistens leider unerklärliche) grafische Gestaltungen sowie Zeilenumbrüche vor Ende des (auch virtuellen) Seitenrandes aufweist. Für wieder andere ist nur das ein Gedicht, was irgendwo einen anerkannten Preis bekommen hat, zumindest in Gestalt des Autors. Das alles ist mir aber, wenn ich genauer darüber nachdenke, ziemlich Wurscht. Sicherlich vor allem, weil mir solche Unterscheidungen zu mühsam sind und wenig zum Genuß beitragen.

    Aber das mit der Bedeutung ist schon ein fetter Punkt. Ich bin davon überzeugt, daß niemand vermeiden kann, daß sich im Text immer schon Bedeutung breit macht. Oder jeder Texte reduzierte sich auf ‚abcdefghijklmnopqrstuvwxyz0123456789‘ (ich habe mal die Umlaute und Satzzeichen weg gelassen) plus dem Hinweis, die Buchstaben und Zahlen irgendwie beliebig bei erlaubter Wiederholung sich vorzustellen. Daß eine bestimmte Auswahl qua Worten und Sätzen getroffen wurde, ist niemals frei davon, Bedeutung zu versuchen oder zu simulieren oder doch wenigstens zu suggerieren. Daß dann der Leser wie das sprichwörtliche Kamel daher kommt, das alles Gras weg frißt, welches im Druck oder beim Vorlesen oder ins Netz Stellen über die Buchstaben gewachsen sein mag, und damit der ganzen Sache eine neue, ihm just gefallende Bedeutung gibt, die später ihm ein staatlich geprüfter Literat mit Fleiß vielleicht dann wieder aus der Hand schlagen wird, ist etwas, das genau auf diesem Keim von Bedeutung (der von mir aus als etwas Ungeborenes betrachtet werden kann) aufbaut.

    .

    @Claudia

    Entschuldige bitte, daß sich die Diskussion hier teilweise so weit von Deinem Text entfernt hat. Ich hoffe sehr, es macht Dir nichts aus.

  44. @Susanne
    Danke Dir! Die nette Geschichte mit dem Klee, der Biene und dem Traum habe ich jetzt verstanden. Das Medium ist nicht die Botschaft, sehe ich auch so.

    Der Aspekt der Bedrohung, den ich in Deinem vorhergehenden Statement, und vor allem in den Versen Tollkiens noch wahrzunehmen meinte („ein paar Knoten mit dem Einen, der sie alle in der Hand hält, was kaum einer merkt und sie letztlich alle gleich macht.“), finde ich darin aber nicht wieder. Oder liegt eine Bedrohung darin, das Medium mit der Botschaft zu verwechseln?

    @dirk
    Doch, Deine Frage (ganz oben), ob mehr Gemeinsinn denn ein gemeinsames Ziel ist, hat mich interessiert. Ich konnte sie nur nicht beantworten, weil ich, wenn überhaupt, dann nur meine eigenen Ziele kenne. Dabei habe ich eigentlich nur ein Ziel: Ich möchte in´s Paradies. ;)

  45. @Uwe

    Das Moment der Bedrohung liegt für mich leider immer ein wenig unterhalb der Schwelle dessen, was ich rational – und daher dann sehr einfach zu kommunizieren – wahrnehme.

    Z.B. die Verelendung der reichsten Staaten des 20.Jahrhunderts, i.e. der USA und Deutschland vor allem.

    Politik bedeutet dort seit mindestens 20 Jahren Vorbereitung der Massen (auch der Beamten!) auf das Schicksal der schleichenden Pauperisierung. Aber lese ich irgendwo etwas davon? Mitnichten!

    Beamtenwitwen (auch wenn Menne noch atmen sollte, sind sie es dennoch zumeist schon) bloggen oder dichtern oder diskutieren oder – das Schlimmste! – work-shoppen über ihre spinntisierenden Vorstellungen bezüglich ihres vermeintlichen Astral-Leibes (der letztendlich nur aus sexueller Frustration besteht), und weißhäutige Klassenbeste vergewaltigen mit all ihrer lächerlich revolutionären Kleinkinderwut den reinen Gedanken wegen ihres um die Realität der erträumten Omnipotenz am Ende doch betrogenen Daseins. Und beide Gruppen trösten sich kichernd darüber hinweg mit den Bildern des Innersten des Inneren der Welt, die sie sich bei einem Pfeifchen oder einem Rotwein zurecht phantasieren.

    Derweilen wird jeden Tag, den Gott werden läßt, schier unglaublich viel Geld verdient damit, aber und aber Millionen Menschenleben nach Belieben herum zu schieben. Aber so richtig will das keiner wahr haben, weil es doch schlichtweg zu garstig klänge, Börsenkurse und Tarifabschlüsse mit ermordeten, vergewaltigten und mißbrauchten Leibern in Beziehung zu setzen.

    Und als ob das noch nicht genüge! Noch wenn die Reichen schon längst fliehen, bestellt man brav ihren Hinterhof. Sich duckende Sklaven, geboren, zu dienen und das Lob ihrer Herren abzuwarten. Ein unsägliches Elend, und nichts, wirklich nichts hält es auf!

    Ich finde das extrem beleidigend und abgrundtief dumm. Vielleicht ein verrückter Irrtum, ein Wahnsinn, ich weiß es nicht und kann es nicht wissen.

    Aber ist das ein Thema irgendwo? Nein!

    Bahnhofsneubauten, Ölbohrplattformen, Spitznamen für Politiker, Schurkenstaaten (plus immer wieder der Sport und das Grinsen der Prominenz) regieren das Denken der medial vernetzen Weltbürger. Dagegen kommt niemand je an. Weswegen Resignation und ihre ästhetisch stets ach so anspruchsvollen Variationen (die Kunst weiß nicht nur ein Lied davon zu singen, ja, sie lebt fast davon!) wieder und wieder Konjunktur haben und haben werden. Und die mühselig sich Plagenden, die hier und da Ritzen finden, in die hinein sie den Brei eines Besseren schmieren, werden heimlich belächelt und treten, vielleicht, wenn es hoch kommt, im Vorabendprogramm als Gutmenschen auf. Und dann schalten wir gleich um zur Werbung!

    Okay, das war jetzt reichlich pauschal, aber egal, manchmal muß der Gedanke sich selbst überlisten!

    Kommt denn nicht heimlich da doch die Idee des einen Ringes auf, der geschmiedet sei, sie alle zu finden, in der Schwärze der Nacht, der auf ewigen Ohnmacht, sie alle zu binden?

  46. @Susanne: Bach machte aus Lettern Liedchen. Mehr will ich nicht. Gedichte sind für mich nur ‚Sprache schön‘, gebunden, zum Mitnehmen. (Will ich was sagen, tu ich das einfach.)

    @Uwe: Ich kann sie auch nicht beantworten ;-)

  47. @Dirk

    „Gedichte sind für mich nur ‘Sprache schön’, gebunden, zum Mitnehmen“ Das verstehe ich nicht! Bücher (wg. gebunden und zum Mitnehmen)?

    „Sprache schön“ aber kann ich gut fühlen. Sage einmal ein Gedicht, in der Mittagspause, am Telefon, auf den Gängen des Gerichts, in einem Bistro oder auch nur im Bett. Schau, wie sie reagieren, wie sie innehalten, gucken, die Stirn oder die Brauen runzeln.

    Verweigere das Erwartete und überhöhe das Vermutete. Das, vielleicht ja nur das ist so etwas wie Poesie.

    Der Gewarnte (gebildet, belesen, gewappnet) lacht nur frech oder schleimt sich ein in des Dichters, des Publikums After als gemeinsinniger Freund. Die unverhofft Ertappten aber denken.

    Vielleicht lehnen sie ab. Vielleicht denken sie: wie blöd! Oder: Gott, wie albern! Aber sie tun, was der jede Kultur schon gefressene Bourgeois niemals kann – sie denken für sich und genau für den Moment!

    Sie ur-teilen.

    Darin ist ‚Ur‘ und auch ‚Teil‘, nicht der kriecherisch winselnde Wunsch danach, dem heutigen Herrn zu gefallen, der sich – Geschmack gerne nennt. Sondern mehr, unendlich viel mehr!

  48. @Susanne: ‚gebunden‘, ‚gebundene Rede‘.
    „Sage einmal …“ – tu ich. Kommt gut. Kleine Alltagsfreude.
    Und: ja.

  49. @Susanne
    Danke, daß Du zum Thema machst, was für Dich eines ist – und auch für mich, mit Worten, die ich verstehe. :)

    Ich habe keinerlei Probleme mit der garstigen Vorstellung, Börsenkurse und Tarifabschlüsse mit ermordeten, vergewaltigten und mißbrauchten Leibern in Beziehung zu setzen und wenn wir darüber reden, dann nimmt das Denken der medial vernetzen Weltbürger zumindest einmal eine andere Richtung.

    Ich glaube, daß der „Ring, sie alle zu binden“ von jedem selbst geschmiedet wird, indem er aus Gewohnheit und aus der Bindung des „Wir“-Gefühls heraus, genau das fortsetzt, was er gerne beendet sähe.

  50. Nein, mich stört es nicht, wenn sich das Gespräch ab und an vom Thema weit entfernt. Denn es findet auch immer wieder mal zurück – ich lese alle Eure Kommentare mit großem Interesse und freue mich über so einen lebendigen Austausch!

    @Susanne: ich gehör ja nun wahrlich nicht zu den oberen 10%. Mein Einkommen aus der Selbständigkeit ist im Grunde IMMER prekär und wenn am Monatswechsel alles (immerhin inkl. Sparrate) abgebucht ist, bleiben mir wenige hundert Euro zum Ausgeben über den Monat. ABER ich fühl mich nicht mal ARM, geschweige denn „verelendet“. Und auch die Hartz4er unter meinen Freunden fühlen sich NICHT so, sondern haben in der Regel ein kleines Zusatzeinkommen, das die Situation im Rahmen der Zuverdienstregel etwas aufbessert, so dass sie keinen Grund zum Jammern & Klagen sehen (da wirkt eher die „aktive Arbeitsmarktpolitk“ als Nerverei).

    Ich kann also nicht wirklich nachvollziehen, warum du DE (die derzeit wachstumsintensivste „Leit-Wirtschaft“ der EU mit immer noch gut ausgebautem Sozialstaat) als mit den USA gleichermaßen „verelendet“ siehst! Wobei in den USA eben die Abwesenheit eines vergleichbaren Sozialstaats heftig zu Buch schlägt, wenns wirtschaftlich knirscht – aber die wollen das ja so, wie man an der massiven Kritik an der Krankenversicherung für alle wieder sieht.

    Natürlich bringt die Globalisierung auf Dauer einen Prozess des Ausgleichs: wir verlieren Wohlstand, in anderen Weltteilen gewinnt man. Und auch in EUROPA: wir müssen „die Südschiene“ genauso fördern wie früher Bayern – was aber so lange nur zwangsweise (=Rettungsschirm) funktioniert, so lange es nicht mehr freiwillige Politik-Abstimmung gibt. Bzw. MEHR GEMEINSINN.

    In aller Regel wollen wirtschaftliche Interessen auch nicht Morde, Vergewaltigung und Missbrauch – sondern billige Arbeitskräfte, die ansonsten keinen Aufstand machen. Sozialer Friede ist ein wertvoller Wirtschaftsfaktor. Ob der nur äußerlich durch massive Repression oder durch soziale Mindeststandards erhalten wird, liegt nicht nur an „uns“ im Sinne westlicher Konsumenten und weltweit agierender Konzerne, sondern ebenso an den jeweiligen Regimen im einzelnen Land. Sollte man denn nach Eurer Ansicht dort keine Rohstoffe kaufen, wo keine Demokratie nach unseren Vorstellungen herrscht? Dann hätten wir immer schon auf das arabische Öl verzichten müssen…

    Kurzum: ich versteh manchmal diesen extrem miesepetrigen Blick auf UNSERE bundesdeutschen Verhältnisse einfach nicht. Verglichen mit unzähligen anderen Orten der Welt leben wir hier lange schon „im Paradies“ (@Uwe).

    Und derzeit setzt sich sogar zunehmend wieder die Meinung durch, dass die Löhne STEIGEN müssen: damit die Binnennachfrage das Ungleichgewicht durch unsere boomende Exportwirtschaft ausgleicht.

    = Verelendetes Deutschland ???

  51. @Claudia:
    Zum Verständnis für die Leser, wir Beide haben sicher nicht immer die gleichen Ansichten und Meinungen zu Politik und Gesellschaft, aber dieser aktuelle Kommentar von Dir, könnte betreffend Überlegungen und – Hoppla, bitte mal Nachdenken – von mir stammen, wenn denn auch weniger harmonisch formuliert.

    Willkürlich wähle ich jetzt einfach mal die Leser ab Jahrgang 1960 heraus um festzustellen, dass ab 1960 geborene nur den Wohlstand kennen. Es ging in DE immer nur aufwärts. Kühlschrank, Wachmaschine, Auto, Ferien ausserhalb DE, Geschirrspühler etc., alles war normal und für die damaligen Kinder gab es zuviel Geschenke. Dies führte zu Stress und dem Wunsch mit dem halben Wohlstand liesse sich immer noch gut leben und die Armut auf der ganzen Welt bekämpfen. Nicht dass ich Armut gut finde. Im Gegenteil. Doch, wenn der Beitrag der Armutsbekämpfer sich in politischen Forderungen erschöpft, dann ist es Weltverbesserung aus der Hängematte heraus, in der man bequem liegt, weil das politische und wirtschaftliche DE System solche Dinge möglich macht.

    Es zeigt Weltfremdheit und ein Defizit an Reisen in fremde Länder, wenn man DE als Hölle für Schlechtverdiener ansieht, wobei es selbstverständlich soziale Probleme gibt. Dass man in DE seine kranken Angehörigen und Freunde im Spital für eine Rundumversorgung abgibt, ist selbstverständlich. Es ist eben nicht selbstverständlich und ich denke da nicht an Länder im afrikanischen Dschungel. Wer in Italien – gehört zu den Top Ten Industrieländern, bzw. ganz sicher zu den G-20 – ins Krankenhaus kommt, muss dort von Angehörigen mit Essen versorgt werden und viele Handgriffe im Krankenzimmer müssen auch von Angehörigen erbracht werden und dies rund um die Uhr.

    Menschen die bis jetzt nur ständig wachsenden und krank machenden Wohlstand in DE erlebt haben, stehen noch harte Zeiten bevor und dies, umso schlimmer, je jünger sie sind. Es werden Zeiten kommen, wo in Washington und Berlin nicht mehr schwergewichtig die Weltkonjunktur gestaltet wird. Ein Frohlocken ist nicht angebracht, die Verteilungskämpfe werden noch härter werden. wenn die Weltkonjunktur von Entscheiden in China und Indien gesteuert wird.

  52. @ Claudia, Relax-Senf:

    Was mich auf die Palme bringt, sind nicht (nur) die sinkenden Realeinkommen (sinkender „Wohlstand“) an sich, sondern die Tatsache, dass das zwar die Mehrheit, aber dennoch nicht alle Schichten der Bevölkerung gleichermaßen betrifft.

    Während immer mehr Menschen in prekäre Arbeits- und Lebensvehältnisse gedrängt werden, Arbeitsplätze in Leiharbeitsfirmen oder „Billiglohn“-Länder „outgesourct“ werden, scheffeln industrielle Großkonzerne, Banken und deren Vorstandsvorsitzende weiter frohgemut Milliardengewinne – abgesegnet und gutgeheißen von einer Kaste, die im Einkommensniveau zwar eine Etage tiefer, aber immer noch sehr erquicklich daran partizipiert: unseren Damen und Herren Politikern.

    Die Globalisierung, der man nun all zu gerne die Schuld für die Misere zuweist, ist ja nicht vom Himmel gefallen. Sie ist entstanden infolge des Zusammenbruchs des sozialistischen Teils der Welt und des damit einher gehenden Falls des Eisernen Vorhangs. Das Kapital, dem nun auch geografisch keine Grenzen mehr gesetzt waren, konnte sich von da an ungehindert ausbreiten. Allerdings hat es seine Milchmädchenrechnung ohne die „rückständigen“ Länder gemacht.

    Milliarden Chinesen, Inder … begnügten sich leider nicht wie erhofft damit, als Konsumenten für den ganzen Schrott, den der Westen und seine Industrie im Überfluss hervorbringt, zu fungieren. Sie lernten (und kopierten) schneller als es westeuropäischen Konzernbossen im Traum eingefallen wäre und produzieren ihren Wohlstandsmüll nicht nur selbst, sondern spülen ihn auch gleich in den goldenen Westen zurück und sorgen dort selbst für die eingangs erwähnten Verwerfungen. Die Schlange beißt sich somit in den Schwanz: Gier und Größenwahn des Kapitalismus bringen seine Mutterländer nun selbst in die Bredullie (sicher sehr vereinfacht dargestellt; aber wer Marx gelesen hat, weiß, das so in etwa der Kapitalismus mit seiner zyklischen Krise bis zu seinem letztlich finalen Exitus funktioniert).

    Jedoch alles kein Problem, solange es den Konzernbossen und Börsenspekulanten nicht selbst an den Kragen geht, sondern sich alles problemlos auf ein willfähriges Dummvolk, das klaglos immer neue Lügen, Beschwichtigungen, Erniedrigungen hinnimmt, abwälzen lässt.

    „Die Krone der Schöpfung, der Mensch, das SCHAF“, könnte man in Abwandlung eines Satzes von Gottfried Benn meinen. Und wenn ab und an mal jemand dagegen aufbegehrt, wie hier Susanne in ihrem Beitrag (wenn auch in für meinen Durchschnitts-IQ viel zu hoch fliegenden Worten), dann ist das m.E. nicht „Weltfremdheit“, sondern ein Glücksfall. Denn mindestens die Hälfte der Schnarchnasen, die sich in diesem Blog gegenseitig den Bauch pinseln und sich damit in einem trügerisch-virtuellen „Wir-Gefühl“ wähnen, ist wohl innerlich längst tot und jeglicher Empörung abhold und nicht mehr fähig.

    ***

  53. Totgesagte leben länger, @Peter.

  54. @Claudia

    Ad “Ich kann also nicht wirklich nachvollziehen, warum du DE (die derzeit wachstumsintensivste ‚Leit-Wirtschaft‘ der EU mit immer noch gut ausgebautem Sozialstaat) als mit den USA gleichermaßen ‚verelendet‘ siehst!“

    Eben weil der Sozialstaat nur ein noch immer gut ausgebauter ist. Weil es eher zu befürchten steht, daß das wohl nicht so bleibt. Und weil, gemessen an dem Reichtum, den dieses Land aufweist, seine Leistungen als Sozialstaat schlichtweg jämmerlich sind.

    Ad “In aller Regel wollen wirtschaftliche Interessen auch nicht Morde, Vergewaltigung und Missbrauch – sondern billige Arbeitskräfte, die ansonsten keinen Aufstand machen.“

    Ich halte es mit Dir für einen weit verbreiteten Irrtum, zu glauben, Geld, das sich vermehren möchte, würde nach Mord und Totschlag gieren. Dem Geld ist es vollkommen gleichgültig, womit und weswegen es sich vermehrt. Hauptsache, es tut das.

    Ganz anders aber verhält es sich mit der Frage, warum Mord und Totschlag scheinbar nicht auszurotten sind. Wieso gibt es in Afrika seit Jahrzehnten permanenten Völkermord? Warum hält im Nahen Osten seit über einem halben Jahrhundert ein in der Geschichte bis auf den Tod gepeinigtes Volk ein Nachbarvolk in Geiselhaft? Und zwar, wenn es sein muß, auch bis auf den Tod.

    Oder, anders gefragt: warum umgeben sich die Zentren politischer und wirtschaftlicher Stabilität und Macht mit einer Peripherie aus Desorganisation, Elend und permanentem Krieg?

    Kann es nicht sein, daß das eine das andere bedingt? Daß es nicht allein eine ökonomische Frage ist, sondern eher eine politische? Etwa eine, die mit der inneren Legitimität der Zentren zu tun haben könnte, welche immer weniger aus qualitativen, inneren Werten (Sozialstaat, Wachstum, Reichtum für alle usw.) sich nährt, sondern immer mehr aus dem bloßen Gegensatz zur schieren Hölle ringsum und woanders?

    Schauen wir uns ein Beispiel an, die Vereinigten Staaten von Amerika.

    So wie die USA die frontier auf ihrem eigenen Kontinent zur ersten Konstituierung des land of the brave brauchten, bis sie diese so weit nach Westen verschoben hatten, daß jenseits der frontier einfach niemand und nichts mehr da war, was man noch hätte totschießen können, um sich selbst als der in allen Belangen Überlegene zu wähnen, so brauchen sie diese bis heute immer noch, um sich als god’s own country zu sehen. Denn so sehen sie sich. Das tun natürlich kaum liberale Intellektuelle, deren geschmackvolle Wohnungen mit den tiefen Fenstern zum Central Park hinaus schauen und in den eingebauten Bücherregalen wertvolle Kultur zeigen. Sondern vor allem Leute, die verglichen mit unserer Wohnkultur in baufälligen Bretterbuden hausen und in ihren schrottreifen 20-Liter Abgasschleudern six-packs budweiser einkaufen fahren.

    Nur wo diese frontier jeweils ziehen?

    In Zeiten des kalten Krieges war das einfach und nannte sich eiserner Vorhang, weil dahinter ein Gegenspieler hockte, der genauso seine eigene frontier brauchte, um seine Gulags, Säuberungen und das wachsende Versagen seiner Ökonomie zu überspielen. Diese schönen Zeiten gingen vorbei. Viel Altgewohntes geriet in Bewegung und unter die Räder der Zeit, die bekanntlich jeden bestraft, der nicht mit kommt. Und wie das nun mal so ist, wenn einem der Blitz ins Haus eingeschlagen und eine Menge kaputt gemacht hat, bastelt man aus dem, was noch so irgendwie geht, sich das neue Wohnzimmer zurecht. Das dann oft an das alte erinnert.

    Das ist, so meine ich, das, was wir heute jeweils als Al-Qaida, als Taliban, als islamische Republik, als tschetschenische Rebellen, als Schwellenstaaten beim Atompoker usw. zu sehen bekommen. Vor Jahren war es der häßliche Buchhalter in Uniform, Saddam Hussein. Noch davor der Charmeur im Fes, Muammar al-Gaddafi. Auch mit einem kantigen Serben wie Slobodan Miloševic war die undankbare Rolle des Bösewichts einmal besetzt, und als Dauerbrenner dient der scheinbar nicht zu fassende Osama Bin-Laden.

    Damit mich jetzt keiner mißversteht – diese Leute und diese Staaten sind, so weit ich weiß, keine Erfindung des CIA oder des KGB. Es gab und gibt sie und ich bin mir sicher, sie verfolgen tatsächlich so schurkische Ziele wie ihren Reichtum zu mehren, ihre Macht zu erweitern und zu erhalten und jeden anderen mit der Drohung von Gewalt davor abzuschrecken, ihnen an den Kragen zu gehen. Was wir, sofern es hierzulande einer täte, als Mehrung des Wohles des deutschen Volkes, als Stabilitäts- und Wachstumspolitik sowie Sicherung der Landesverteidigung bezeichneten.

    Die in den Medien jeweils herum gereichten Figuren sind selbstverständlich Staffage, bloße Knallchargen für die Plakate am Eingang des Theaters, in dem in jeder Spielzeit wieder ein unendlich viel übleres Stück aufgeführt wird. Dessen Komparsen marodierende Banden von Kindersoldaten und zur Prostitution gezwungene Mädchen sind. Babys und Jugendliche, die an Aids sterben. Verhungernde, Vertriebene, Versprengte und Entwurzelte. Eben all das, was wir hier manchmal im Fernsehen in einer Dokumentation spätabends zu sehen bekommen. Und ohne das vielleicht in den Wohnungen des Prekariats keine Flachbildschirme neben der Schrankwand aus dem skandinavischen Möbelhaus ständen, auf denen dieses leider lieber Fußbälle guckt als aufgedunsene Hungerbäuche.

    An der Beseitigung dieser Zustände weit hinten an den Rändern unserer Welt aus Laptops, Mobilephones und gesundem Essen besteht, das ist mein Verdacht, nicht das geringste Interesse dort, wo genug Macht und Mittel vorhanden wären, um dagegen anzugehen. Denn diese Zustände sind die nicht abzutrennende Kehrseite des Euros, des Dollars, des Yuan und des Rubels – und der Armeen aus Generälen und Generalsekretären, die um diese herum aufgebaut stehen. Vielleicht ist das eine niemals ohne das andere zu haben. Und wir, da hast du absolut Recht, Claudia, haben das bessere Ende der Wurst. Wir leben hier und heute im Paradies auf Erden. Wir hier sind die Betenden in den gemauerten Kathedralen, und die anderen dort sind die Aussätzigen in den Hütten aus Blech.

    Ich kann nur hoffen, daß die Betenden auch einmal um etwas anderes beten werden als darum, daß doch bitte alles für immer so bleibt, wie es jetzt ist. Und, ach ja, ein Patentrezept, wie ich mich als Einzelne dem allen gegenüber verhalten soll, habe ich absolut nicht.

  55. @Susanne: gestern sah ich diesen Talk-Beitrag (Markus Lanz) mit einer Näherin aus Bangladesh (anwesend!) – Trailer und Diskussion ist noch in der Mediathek. (=drastisch!!!!)

    Dass es niemanden interessiert kann man ja wirklich nicht sagen! Und am Ende kommt heraus, dass die Jeans für 9,99 hier nicht teurer sein müsste, da der Lohnanteil für diese miese Sklavenarbeit unter unmenschlichen Bedingungen nur ein paar Cents beträgt – es müsste „nur“ die Ladenkette „Kick“ und der Unternehmer vor Ort ein WENIG von ihrem Gewinn dem Lohnanteil zuschlagen.

    Dies ist freiwillig offenbar unmöglich, kann also nur durch Druck hierzulande oder Arbeiteraufstände dort geändert werden. Letzteres geht in solchen Zuständen, wie sie dort herrschen, NOCH nicht (sie dürfen bei der Arbeit nicht mal miteinander reden!) – sondern wohl erst dann, wenn sich deren Lage schon ein wenig gebessert hat (wie in China).

    Das Fernsehteam, das in Bangladesh gefilmt hat, wurde übtigens von der Geheimpolizei bedroht und musste fluchtartig das Land verlassen. Ein BBC-Team wurde verhaftet und kam 2 Wochen ins Gefängnis, verlor alles Gerät und Material.

    In der Runde waren auch Menschen, die sich vor Ort um Veränderung bemühen. Ein Gewerkschafter/Arbeitsrechler und eine Hilfsorganisation – letztere bilden in den Dörfern Näherinnen aus, die auch gleich ein anderes Bewusstsein ihrer Rechte mitbekommen sollen, das sie in die Lage versetzt, sich nicht mehr so ausbeuten zu lassen.

    Die Bangladeshis wurden zuletzt gefragt, ob man als deutscher Verbraucher weiter die Billigklamotten kaufen soll oder nicht. JA war die Antwort – aber man solle Druck auf Kick, Lidl & Co. ausüben, nachfragen nach Herkunft und Bedingungen der Arbeiter etc. Denn die Unternehmen hätten teils Selbstverpflichtungen, an die sie sich aber tatsächlich nicht halten. Sie müssten den Fabriken MEHR ZAHLEN, damit die Bedingungen der Arbeiter sich verändern.

    Nun, ob die ein paar „Nachfragen“ wirklich kratzen? Zudem kann man kaum im Laden nachfragen, denn dort sind ja nicht die Verantwortlichen, sondern auch nur Arbeitnehmer unter für hierzulande miesen Bedingungen.

    Wer sichs leisten kann, kann und soll m.E. Fair Trade-Produkte kaufen. Das hilft den noch-Ausgebeuteten aber erstmal auch nix.

    Bin da leider recht ratlos, was man machen könnte.

  56. Claudia, ganz ehrlich? Dieses immer mal wieder zu hörende „Ach, was beklagt Ihr Euch, uns geht’s doch noch vergleichsweise gut.“ macht mich mittlerweile richtig sauer. Ab wann darf man sich denn beklagen? Wenn die politische und/oder wirtschaftliche Lage auch hierzulande unerträglich wird? Wer legt fest, wann das der Fall ist? (btw ich denke, dass nicht wenigen hier das Wasser schon jetzt bis zum Hals steht) Und bist Du sicher, dass wir dann überhaupt noch die Freiheit haben, uns öffentlich zu beklagen?

    Das kapitalistische/neoliberale Wirtschaftsystem der westlichen Indutrienationen ist ungerecht, grausam und destruktiv. Außerdem ist es – wenn man den Nutzen mal objektiv analysiert – auch noch total bekloppt. Wir BRAUCHEN doch den Großteil der Güter überhaupt nicht für ein angenehmes Leben (auch wenn die Mehrheit sich durch die Gehirnwäsche der Werbung das Gegenteil suggerieren lässt). Sie werden einzig zu dem Zweck geschaffen, um künstliches Wirtschaftswachstum zu erzeugen, damit ein paar Superreiche noch reicher werden. Doch für ihre Produktion werden gigantische Massen an Rohstoffen und Energie verschwendet (die dann eben in den ärmeren Teilen der Welt fehlen oder z.T. sogar künftigen Menschheitsgenerationen weggenommen werden, die dann sehen müssen, wie sie mit dem Mangel klarkommen). Was soll dieser Wahnsinn? Und hast Du eine bessere Begründung, damit so weiterzumachen als „Mir fällt nix Besseres ein“ oder „Es könnte schlimmer sein“? Ein relatives Gutgehen für eine kleine privilegierte Minderheit von Menschen ist ganz schön schwach als ‚Ausgleich‘ für die maßlose Plünderung und Zerstörung unseres Planeten, meinst Du nicht?

    btw: Eben gelesen und als wahr empfunden:
    „Neoliberal“ – was ist das? (PDF-Datei, 300 KB)

  57. Ach so, eins noch:
    Ist die Frage, ob unsere Lebensqualität vielleicht nicht ausschließlich von unserem materiellen Reichtum abhängt, eigentlich inzwischen total antiquiert?

    Und wieso ist wohl Suizid eine der häufigsten Todesursachen hierzulande, wenn es uns doch allen verhältnismäßig gut geht?

  58. @Iris: indem ich rede und schreibe, habe ich mir lange schon angewöhnt, nicht völlig von meiner persönlichen Lage abzusehen, wenn ich das „Leben hierzulande“ beurteile. Gerade WEIL mir materieller Besitz immer schon recht egal ist, fühle ich mich nicht arm. Für mich ist es ok, in relativ bescheidenen Verhältnissen meine Bewegungsfreiheit zu nutzen, anstatt mich mit Gütern zu belasten, die bald kaputt gehen und schnell veralten. Und mein Mitleid mit jenen, die Depressionen kriegen, wenn sie sich das neue Handy und den nächsten Mega-Fernseher nicht leisten können, hält sich in Grenzen (damit meine ich niemanden, der hier mitschreibt – ich glaube, Ihr seid alle tendenziell „post-materiell“ eingestellt)

    Was die zerstörerischen Wirkungen der herrschenden Wirtschaftsweise angeht, sind wir völlig einer Meinung. Ich versuche, das Partizipieren daran im eigenen Alltag zu vermindern – und ansonsten unterstütze ich eben so gut ich kann gegenläufige Trends. Natürlich nur punktuell, was soll man als Einzelne auch machen? Bloße Zerstörung („kommender Aufstand“) wünsche ich mir nicht, denn was danach käme, wäre noch deutlich schrecklicher.

    @Peter: auch mich macht es wütend, wie die oberen Absahner sich verhalten! Und ich finde politischen Widerstand gegen Sozialkürzungen richtig und wichtig – und auch, dass die Löhne endlich wieder steigen. Gleichzeitig kann ich nicht darüber hinweg sehen, dass unzählige Leute sich lieber in miesen schlecht bezahlten Jobs ausbeuten lassen (Zeitarbeiter), als Hartz4 zu beantragen. Das ist Folge des von einer großen Mehrheit blöderweise vehement kolportierten Artbeits-Ethos, nach dem angeblich JEDE Beschäftigung besser ist als gar keine – auch wenns nur 4,50 die Stunde gibt oder noch weniger. Dagegen hab ich immer mal angestunken und tu es gerne wieder!

  59. @iris:

    Du hast gefragt:“Und wieso ist wohl Suizid eine der häufigsten Todesursachen hierzulande, wenn es uns doch allen verhältnismäßig gut geht?“

    Als jemand, der vor vielen Jahren selbst versucht hat sich das Leben zu nehmen (zum Glück war es mehr appelativ als ernst gemeint) könnte ich auf seelische Traumata hinweisen (wie in meinem Fall) oder auf geistige Erkrankungen wie Schizophrenie usw.

    Solche Traumata bzw. Erkrankungen können sicher viel erklären, ich glaube dennoch dass in vielen Fällen die Ursache wo anders zu suchen ist – über eine mögliche Ursache schrieb schon Albert Camus: http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Mythos_des_Sisyphos

  60. Zu Selbstmorden hab ich mal nachgeschaut bezügl. Statistiken. Wikipedia schreibt:

    „Die Zahl der Suizide in Deutschland folgt seit ca. 1980 einem fallenden Trend. 2007 betrug sie 9402 (11,4 je 100.000 Einwohner), während sie 1980 bei 18.451 (23,6 je 100.000 Einwohner) gelegen hatte.[13][14] “

    und

    „Innerhalb Deutschlands bestehen signifikante regionale Unterschiede. Die meisten Suizidfälle gab es 2006 in Bayern (13,3 je 100.000 Einwohner), die wenigsten in Sachsen-Anhalt (6,6 je 100.000 Einwohner). 1990 wurden in Sachsen noch die meisten Fälle (28,3 je 100.000 Einwohner) und in Nordrhein-Westfalen die wenigsten (11,9 je 100.000 Einwohner) gezählt. Im Jahr 1982 lag die Suizidhäufigkeit in der Bundesrepublik bei 24,7 je 100.000 Einwohner, in der DDR bei 44. Forscher führen dies jedoch weniger auf die Gesellschaftsordnung, sondern eher darauf zurück, dass das Territorium der DDR hauptsächlich Gebiete wie Sachsen und Mecklenburg umfasste, die schon im Deutschen Reich erhöhte Suizidraten aufwiesen. ….
    …..
    Experten gehen davon aus, dass die hohe Anzahl an Suiziden im Jahr 2009 auf einen Zusammenhang zurückzuführen sind zwischen medialer Berichterstattung über den Selbstmord von Torhüter Robert Enke und der Zahl der Nachahmer. So sind 2009 9571 Suizide begangen worden. Bereits bei der Veröffentlichung von Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werther“ war es 1774 zu einer Selbstmordwelle gekommen, wobei zahlreiche Tode deutlich als Nachahmung der Romanvorlage erkennbar waren.“

    Ich denke daher nicht, dass Selbstmorde viel mit der allgemeinen wirtschaftlichen Lage zu tun haben.

  61. „Ich denke daher nicht, dass Selbstmorde viel mit der allgemeinen wirtschaftlichen Lage zu tun haben.“

    Ich denke, sie haben mit der persönlichen seelischen Lage viel zu tun. :) Und womit hat diese zu tun? Mit vorhandener oder fehlender Lebensfreude. Und diese wiederum?

  62. Nun, ginge es um die wirtschaftliche Lage in Sachen Lebensüberdruss, dann müsste der Verlauf seit den 80gern gerade umgekehrt sein als er ist.

  63. @Claudia:

    Zunächst mal wünsche ich mir natürlich auch nicht nur Zerstörung. Doch ich sehe den Aufstand der Völker inzwischen als die einzige Möglichkeit an, uns das durch und durch korrupte kapitalistische System vom Hals zu schaffen. Was das Danach betrifft, sehe ich nicht ganz so schwarz wie Du. Ich denke nicht, dass es auf jeden Fall schlimmer kommen muss. Was macht Dich da so sicher? Und für wen überhaupt? Meinst Du denn, dass es für die Menschen in den Ländern, die den Preis für unsere Maßlosigkeit und Gleichgültigkeit zahlen müssen, noch schlimmer kommen kann als es jetzt ist?

    Und mein Mitleid mit jenen, die Depressionen kriegen, wenn sie sich das neue Handy und den nächsten Mega-Fernseher nicht leisten können, hält sich in Grenzen

    Nun, meines nicht. Gerade die sind m.E. besonders bemitleidenswert, denn sie haben außer kalter Materie nichts mehr, das sie hält. Die kapitalistische Gehirnwäsche hat bei ihnen alles andere verkümmern lassen, was ihrem Leben Sinn geben könnte. Ich glaube, das Schlimmste, was man diesen Menschen antun kann, ist die Erfüllung ihrer materiellen Wünsche. Denn dann würden sie feststellen, dass das erwartete Glück ausbleibt. Und dann? …haben wir womöglich einen selbstmordgefährdeten Midas (@Joachim)

    Was Deine Interpretation der Selbstmordstatistiken angeht, meine ich (wie Uwe auch schon angedeutet hat), sie greift zu kurz. Die Frage bleibt: Wenn unsere Gesellschaft nichts damit zu tun hat, dass sich hierzulande jährlich mehr als doppelt so viele Menschen umbringen als bei Verkehrsunfällen sterben, wieso ist die Todesart Suizid dann gerade in den führenden Industrienationen so hervorstechend?
    Meine Einschätzung: Wir leben in einer Gesellschaft, die Menschlichkeit nicht mehr wertzuschätzen weiß. Wir wurden zu Humankapital. Und wenn das keine Erträge mehr abwirft, ist es wertlos und wird abgestoßen. Leben hat nur für den Wert, der es mit Sinn füllen kann (was uns aber von klein auf systematisch abtrainiert wird, damit wir als Rädchen im Getriebe funktionieren). Und natürlich sagen das ‚die Experten‘ nicht, denn sie sind Teil des Systems – nämlich der, welcher die Überlegenheit dieses Systems beweisen soll. Und von solchen ‚Experten‘ lass ich mir jedenfalls nicht weismachen, dass sich einer nur deshalb das Leben nimmt, weil es ihm ein anderer vorgemacht hat oder weil er zufällig in Mecklenburg oder Sachsen geboren ist. Eine gewisse Vertrautheit mit dem Tod, durch Konfrontationen mit ihm, mag zwar die finale Entscheidung erleichtern, aber es ist imo nicht die Ursache von Lebensmüdigkeit.

  64. Ich stimme Iris zu dass Menschlichkeit nicht mehr sonderlich wertgeschätzt wird, die Frage wäre dann natürlich warum dem so ist.

    Meiner Ansicht nach ist das Hauptproblem – im Hinblick auf die fehlende Menschlichkeit, im Hinblick auf Suizide – dass es vielen Menschen an einer Art von Weltsicht fehlt, die ihnen einen Platz im Leben, auf der Erde, ja im Kosmos zuweist. Ob diese Weltsicht religiöser, philosophischer oder naturwissenschaftlicher Natur ist, das ist meiner Meinung nach völlig zweitrangig. Verschiedene Menschen haben verschiedene Weltsichten (oder soll ich sagen, Kosmologien?).

    Fehlt diese Weltsicht, dann treiben wir wie ein loses Blatt im Meer, von den Wellen hin und her geworfen. Natürlich ist man mit einer „Kosmologie“ trotz allem den Untiefen des Lebens ausgesetzt, aber man kann doch besser damit umgehen, wenn man mal strandet.

    @iris: Vielleicht beginnt der Aufstand der Völker ja im Herzen, im Bewusstsein…

  65. Auch ich stimme Iris und Joachim zu, dass Menschlichkeit nicht mehr sonderlich wertgeschätzt wird.
    Unlängst las ich von einer Studie, die anführte, daß Studenten unserer Zeit signifikant weniger „Empathie“ besässen als die jungen Menschen von vor etwa 30 Jahren.

  66. Dem Aspekt verminderter Menschlichkeit oder Empathie kann ich aus meiner Beobachtung nicht zustimmen, was allerdings nur mein direktes Umfeld betrifft und keine Studie ist.

    Abgesehen davon habe ich in den letzten Wochen mit vielen Studenten in Erfurt und D-dorf zusammengearbeitet und bin erstaunt über den Fleiß und die Sensibilität der jungen Menschen.

    Eine sich verlierende Wertschätzung der Menschlichkeit würde ich nicht einer sich verändernder Genstruktur zuschreiben, sondern eher einer veränderten sozikulturellen Struktur. Damit meine ich, das Wert – Schätzung nicht über Politik, schon gar nicht durch Politiker oder Schule den Menschen näher gebracht wird, sondern durch den kleinsten Kreis, der Familie, eingeschlossen Großeltern und nahe Angehörige.

    Wenn aus diesem Kreis die Vermittlung der Menschlichkeit und anderer Werte nicht ausreichend weitergegeben werden konnte, dann müssen sich nach meiner Meinung vorab die Erziehungsberechtigten fragen, was hat da gefehlt, warum hat das nicht funktioniert? Ist noch etwas reparabel?

    Selbstverständlich muss man sich das nicht fragen und kann, ehe man bei sich beginnt, Ausschau nach anderen Schuldigen halten und diese dann zu überzeugen versuchen, ihr Verhalten zu ändern.

    Das frage ich mich auch schon die ganze Zeit, während der Diskussion hier zu diesem Beitrag, warum fällt es uns so schwer, eine andere Meinung so stehen zu lassen wie sie ist? Warum dieses Bedürfniss, anderen klar machen zu wollen, das sie falsch denken, falsche Einschätzungen treffen, einen getrübten Blick der Relaität haben?

    Sind wir in unserem eigenen Denken und Handeln so unsicher, dass wir uns erst durch Überzeugung und Bestätigung durch Andere auf dem richtigen Weg fühlen und dann auch trauen, diesen zu gehen?

    Ich finde keine mir einleuchtende Antwort, warum wir uns so vehalten.

  67. @Menachem
    „Ich finde keine mir einleuchtende Antwort, warum wir uns so vehalten.“

    Ich meine, das hat mit dem Gruppen-„Wir“ zu tun, daß weiter oben besprochen wurde. Jemand, der sich und andere ausschließlich im Gruppenkontext wahrnimmt, bekommt Existenzangst, wenn ihm klar wird, daß andere „eine andere Meinung haben, falsch denken, falsche Einschätzungen treffen, einen getrübten Blick der Relaität haben“, denn das bedroht den Gruppenzusammenhalt und somit die eigene Existenz und Position in der Gruppe. So ein „Gruppenängstlicher“ ruft nach Ordnung und Gesetz und möchte Druck und Sanktionen ausüben, damit die Gruppe ihm nach seinem Geschmack, erhalten bleibt. :)

    Im Gegensatz dazu gibt es Typen wie mich, die Gruppen und Gemeinsamkeiten nicht als eine zu erzwingende Notwendigkeit, sondern vielmehr als erfreuliche Abwechslung zu ihrer Existenz als Individuum ansehen. Mir fällt es überhaupt nicht schwer, auch die entfernteste Perspektive so stehen zu lassen, wie sie ist und ich glaube nicht an eine objektive Realität, die man sich gegenseitig klar machen müsste. Von mir aus kann jeder wahrnehmen, denken, sagen und in weiten Grenzen handeln, wie er will. Ich vertraue darauf, daß er, genau wie ich, sich selbst dort beschränkt, wo die Interessen seines Nächsten tangiert werden.

    Kurz: Der Grad der gefühlten Abhängigkeit von einer sozialen Gruppe, die Selbst-Sicherheit, bestimmt die Wahrnehmung und das Handeln. Wer sich selbst „auf dem richtigen Weg fühlt und sich traut, diesen zu gehen“, der traut das auch anderen zu, ohne sie in eine „Gruppenblutwurst“ pressen zu wollen.

  68. Das kann ich sehr gut nachvollziehen, @Uwe. Danke, womit auch wieder bei der „Gruppe“ sind, deren Bedeutung und Wirkung ich allzu oft aus dem Auge verliere.

  69. @Menachem

    Du fragst: „Sind wir in unserem eigenen Denken und Handeln so unsicher, dass wir uns erst durch Überzeugung und Bestätigung durch Andere auf dem richtigen Weg fühlen und dann auch trauen, diesen zu gehen?“

    Ja, genau das bin ich, und ich halte das für einen ganz wesentlichen Bestandteil von Gemeinsinn: die Bestätigung durch Andere zu suchen, statt ihnen mutig ‚eherne‘ Überzeugungen aufzuzwingen.

    Mein Denken womöglich nicht immer als ‚bescheidenen Vorschlag‘ mit der ‚untertänigen Bitte um eventuelle Beachtung‘ vorbringen zu müssen, ist für mich dabei allerdings schon ein wichtiges Kennzeichen einer aufgeklärten und demokratischen Redekultur. Deren Feinde unter anderem eine Dominanz der ‚Macht der Mikrofone‘ (siehe Medien und ihre Nähe zu Macht und Geld) oder von ‚Wissensmonopolen‘ (siehe Geheimhaltung aus Staatsräson oder ökonomischem Kalkül, wie sie etwa bei Wikileaks immer wieder deutlich werden) oder die schiere ‚Masse an (Des-)Information‘ (siehe die sog. Schlichtung bei S21 oder die Diskussionen um Klimawandel) sind.

    .

    @Uwe

    Deine Aussagen, du seist ein Typ, der “Gruppen und Gemeinsamkeiten nicht als eine zu erzwingende Notwendigkeit, sondern vielmehr als erfreuliche Abwechslung zu ihrer Existenz als Individuum“ ansieht und von dem aus “jeder wahrnehmen, denken, sagen und in weiten Grenzen handeln (kann, S.S.), wie er will.“ , halte ich für abenteuerlich und nur einer Existenz sich verdankend, die durch andere geduldet und ermöglicht wird, dieses aber nicht wahrhaben will. Kindheit, Krankheit und Alter widersprechen als Zustände der Bedürftigkeit, Arbeitsteilung als Prinzip der materiellen Regelversorgung Deiner Annahme, als Individuum immer erst zu Gemeinsamkeit gezwungen zu sein, die Du aber lieber als ‚erfreuliche Abwechslung‘ ansehen möchtest. Gemeinsamkeit ist Daseinsweise der Menschen, ohne die sie die ersten Tage nach ihrer Geburt niemals überleben würden.

    Die Fähigkeit und Bereitschaft, die Perspektive ‚der Anderen‘ einzunehmen und sich von ihr abhängig zu wissen, ist in diesem Zusammenhang von extremer Bedeutung. Ich glaube, Claudia meinte vielleicht u.a. diesen Punkt mit ihrer Frage nach dem Gemeinsinn. Man kann es auch Gemüt nennen. Und diese Gemütsbildung allein auf monadischen Nutzenkalkülen und Gewinnerwartungen oder der (falschen) Sicherheit des allseitige Behüteten aufzubauen, wäre fatal. Sie ist eine kulturelle Notwendigkeit, die solche subsystemischen Muster (die dort durchaus ihre Berechtigung haben mögen) niemals allein bereitstellen können. Daß andere Muster (Familie, Heimat, Tradition, Religion, Moral usw.) scheinbar immer mehr an Gewicht und Platz verlieren, führt zu einer wachsenden Desintegration sozialer Systeme (siehe etwa Studien wie diese). Und entzieht auf lange Sicht gesehen Gesellschaft mit ihren immateriellen Grundlagen dann auch die materiellen.

  70. @Susanne, auch deine Argumentation kann ich gut nachvollziehen und die mich in das Dilemma wirft, welcher ich mich jetzt tendenziell anschliessen soll?

    Ich glaube unbewusst zu spüren, das, egal welcher Meinung ich mich anschliesse, sie entweder den rationallen und erklärbaren Aspekten folgt oder meiner emotionalen Gefühlslage in diesem Moment. Folge ich der Ratio, bleibt das ungüte Gefühl, den Emotionen nicht ihren angemessenen Platz eingeräumt zu haben, oder auch umgekehrt.

    Ebenso: Wenn ich eine Bestätigung durch Andere finde sollte, bleiben genug Andere, die mich nicht bestätigen. Und wer oder wer nicht: bestätigt mich? Der Intellektuelle, der mich liebende, der charismatische, der redegewandte, der erfolgreiche..?

    Es bleibt also ein permanentes Hin und Her, vielleicht auch immer im eigenen Zweifel, sich der richtigen Meinung angeschlossen zu haben.

    Und so frage ich mich, ob wir uns mit aus diesem Grund ein perfektes Überwesen geschaffen haben, dessen Wegweisung wir nicht mehr ständig in Frage stellen können und wollen? Wo wir einen Leitfaden finden, dem wir nicht aus Sympathie, Herkunft oder Geschlecht annehmen.

    Würden wir in einer offenen Diskussion, mit den vielfältigsten Meinungen und begründeten Ansichten ein für alle akzeptiertes und tragbares Ergebniss zu der Frage finden: Darf der Mensch töten?

  71. @Susanne
    Jenseits von „die Bestätigung durch Andere zu suchen“ und von „ihnen mutig ‘eherne’ Überzeugungen aufzuzwingen“ und ebenfalls jenseits von „Mein Denken als ‘bescheidenen Vorschlag’ mit der ‘untertänigen Bitte um eventuelle Beachtung’ vorbringen zu müssen“, sehe ich deutlich den Weg, seine eigenen Vorstellungen zu leben, OHNE dafür Bestätigung zu suchen, OHNE deswegen jemandem etwas aufzuzwingen und OHNE um Erlaubnis zu fragen. :)

    Ich habe keinen Zweifel daran, das Gemeinsamkeit dem Menschen ein Wunsch und ein Bedürfnis ist und daß Bedürftige von denen, die mit ihnen durch Freiwilligkeit und Liebe verbunden sind, mitgetragen werden, ganz ohne daß jemand sich Gesetze ausgedacht hätte, die genau das zur Pflicht macht, was Jahrtausende freiwillig getan wurde.

    Arbeitsteilung als Prinzip der materiellen Regelversorgung halte ich für äußerst problematisch. Die meisten Menschen haben dadurch jede Fertigkeit und Möglichkeit verloren, für sich selbst zu sorgen, was sie erst in eine Abhängigkeit gebracht hat, die Du, Susanne, nun für naturgegeben hältst.

  72. @Menachem

    Du fragst: „Würden wir in einer offenen Diskussion, mit den vielfältigsten Meinungen und begründeten Ansichten ein für alle akzeptiertes und tragbares Ergebniss zu der Frage finden: Darf der Mensch töten?“

    Ich denke, ja.

    Nichts anderes tun die Religionen, die Gesetzgeber, die Märchenerzähler, die Lieder und Geschichten Tradierenden und die Bilder und Formen Modellierenden dieser Welt seit Anbeginn der Menschheit. Die Eltern, die ihrem Kind etwas vorlesen oder es loben oder tadeln, tun das. Sogar die verbeamteten Heere aus Wissenschaft und Kultur nehmen auf ihre Weise an diesem Gespräch teil. (Gut, ich nehme jetzt mal der Opportunität halber die Medien, den Sport und die Politik heraus, aber auch da wäre ich mir nicht sicher.. ;-) )

    Das (vorläufige) Ergebnis übrigens lautet wohl: wenn’s dem Überleben des jeweils als überlebenswert Erachteten dient – na klar doch!

    .

    @Uwe

    „Die meisten Menschen haben dadurch (die Arbeitsteilung, S.S.) jede Fertigkeit und Möglichkeit verloren, für sich selbst zu sorgen,“ sagst Du.

    Ich sage: Die Menschen gewinnen heute durch Arbeitsteilung überhaupt erst die Voraussetzung aller ihrer Fertigkeiten und Möglichkeiten – das tägliche Brot.

    Daß ich sie (die Arbeitsteilung) deswegen für ’naturgegeben‘ halten muß, sehe ich weniger. Aber die Chancen für das Leben einer Robinsonade, die außer als Besonderheit eines Abenteurerurlaubs Milliarden von Menschen ein (Über-)Leben auf der Erde ermöglichte, stehen, denke ich, extrem schlecht.

  73. Nun muß ich zum 2. Mal mit meinem Text beginnen..und diesmal in Word, osodaß ich mir nicht aus Versehen meinen Eingabetext lösche…
    Der Zug der Eingaben hier ist schon weiter als mir lieb ist, denn ich hatte noch einige Anmerkungen:
    @Menachem:
    Warum dieses Bedürfniss, anderen klar machen zu wollen, das sie falsch denken, falsche Einschätzungen treffen, einen getrübten Blick der Relaität haben?
    Darauf habe ich die „Schablonenantwort“, daß wir reinszenieren, was an uns (in der Kindheit) verübt wurde: Das Nichtgeltenlassen unserer Ansichten und Bedürfnisse. Deshalb die Wut auf Andersdenkende.
    @Susanne:
    Du schreibst immer wieder mal von einer „fundamentalen“ Unsicherheit bei Dir. Das ist glaubhaft, aber ich verstehe das im Innern nicht richtig. Du musst es auch nicht erklären. Lassen wir es vielleicht so stehen.
    @Uwe:
    Ich denke, wir sind Gemeinwesen und die Möglichkeit zur „Individualität“, also Unabhängigkeit von Gruppen sehe ich nicht so. Deine Erklärung auf Menachems Frage kenne ich so in etwa auch, dieser Hinweis auf eine Angst, daß „die Gruppe zerfallen könnte“, wenn ein Abtrünniger zu laut wird – aber für mich ist das nicht so überzeugend – wohl mehr aus Denkgewohnheit. Mein Denken wurde mehr in individuell-psychologischen Zusammenhängen geschult und da beziehe ich meine Rück-und Querschlüsse.

  74. @Susanne
    Mit dem täglichen Brot meinst Du das tägliche Geld, nicht wahr?

    Ich bin skeptisch gegenüber einer Arbeitsteilung, die mich darauf angewiesen machte, das Lebensnotwendige (Essen, Trinken, Heizung und Sprit für das Auto ;))von anonymen Dritten gegen Bezahlung geliefert zu bekommen. Ich hätte Angst davor, für Geld irgendwann nichts brauchbares mehr zu bekommen. Eigenes Wasser, Holz und Land scheinen mir geeignet, dem entgegen zu wirken.

    Absoluter Konsens aber in diesem Punkt: Keine guten Chancen für das Überleben für Milliarden von Menschen ohne Land, ohne Maschinen und ohne broterzeugende Softskills, wenn die Arbeitsteilung mal nicht funktionierte. Mit anderen Worten: Die Titanic DARF NICHT untergehen, hoffentlich hält sie sich daran.

    @Gerhard
    Was „wir“ in Deinen Augen sind oder sein sollen, das ist allein Deine Entscheidung und wenn Du keine Individualität siehst, dann ist da vielleicht auch keine. Ich allerdings bin BEIDES, Individuum UND Teil diverser Gemeinschaften (Familie, Dorf, alle Menschen, alle Lebewesen, ALLES) und das möchte ich beides berücksichtigen und in Harmonie bringen und diese Harmonie empfinde ich, als Individuum. :)

  75. Toll, wie tief hier geschürft wird – und sogar mit Interesse und Geduld, dem Anderen zuzuhören.

    Es ist spät und daher kann ich keine längeren profunden Äußerungen mehr machen, also nur kurz und spontan:

    @Susanne: na klar! Wenns dem je Verteidigenswerten dient, töten wir Menschen auch. Vielleicht mit Zittern/Bibbern/weichen Knien und Kotzen – aber dann ohne schlechtes Gewissen.
    Und ich find das nicht mal falsch….

    @Menachem: „permanentes Hin und her“ angesichts geschriebener/gelesener Meinungen. Mein Rezept, um die eigene Linie zu finden: Selbstwahrnehmung. Urteils-freie Selbst-Beobachtung: Wer bin ich? Was will ich? Warum/wofür will ich dies und das?
    Es führt in die Irre, sich selbst nur als Kopf, als Denken, als ethische Instanz etc. wahrzunehmen und ernst zu nehmen. Man muss sich ganz im Gegenteil in seinen primitivsten körperlichen und emotionalen Bedürftigkeiten an- und ernst nehmen. Erst DAS legitimiert zum Reden über allgemeine Moral / Ethik etc.

    @Uwe: Autonomie ist eine Illusion. Und abgesehen davon hat die Erde nicht genug Quadratmeter, um all die Milliarden Menschen mit persönlich nicht-arbeitsteilig zu erwirtschaftender Selbständigkeit in Bezug auf Ernährung, Wohnung, Bekleidung etc. zu versorgen.
    Und auch DU bist vermutlich kein Bauer, der sich rundum selbst versorgt.
    Ich finde, es wäre langsam angesagt, dass du hier auch mal aus dem Nähkästchen plauderst, wovon und wie du ganz persönlich lebst! Damit wir auch den Background sehen können, auf dem dein extrem autonom-individualisiertes, so verdammt locker unabhängiges Denken BASIERT!

  76. @Claudia
    Dein Argument, „Autonomie ist eine Illusion“, hat mich überzeugt, Claudia. Ich möchte mehr Energie in die Umsetzung meiner Illusionen legen, als in Gerede. Dankeschön.

  77. Hallo Claudia,Du schreibst:
    Es ist spät und daher kann ich keine längeren profunden Äußerungen mehr machen, also nur kurz und spontan.

    Da habe ich immer meine Schwierigkeiten. Ich möchte hier ab und an mitreden, habe aber des öfteren das Gefühl, nur etwas Spontanes abzugeben. Ich könnte auch jedes Mal „etwas anderes“ schreiben.
    Oft fehlt die Zeit für etwas „Profundes“ und dann ist es eher was chattiges..und das stösst ja so manchem auf.

    Ich denke, da muß jeder selbst eine Lösung für sich finden.

    ZU @Uwe: Würde auch gerne mal Beispiele zu seiner gelebten Autonomie hören. Also, @Uwe, wenn das für Dich ab und an möglich wäre?!.

  78. @Uwe: bist du jetzt vergrätzt? Ich glaube nicht wirklich, dass dich mein Argument überzeugt hat, denn was ich sagte, wusstest du ja sicher auch schon vorher. Und meine Nachfrage geht ja genau dahin: anhand auch DEINER persönlichen Lebensweise zu zeigen, dass du vermutlich wie wir alle in einem Netz von Abhängigkeiten steckst (seien es Jobs, Hartz4, Rente oder was auch immer).

    @Gerhard: sorry, ich wollte durch meine Vorbemerkung kein „Problem“ verursachen – nur entschuldigen, dass ich zu den einzelnen Beitragen grad nicht LÄNGER schreibe. :-) Was ich sonst recht gerne mache, wobei das auch nicht immer „profund“ sein muss…

    Also nur los mit den Spontanitäten!

  79. @Gerhard

    Für mich gehört eine „fundamentale Unsicherheit“ zum Leben dazu, und das Empfinden derselben und der Umgang mit ihr ist ein wesentliches Moment meines Daseins und meines Ichs. Weil es Motiv und Beschränkung, sogar Bedrohung, aber auch Beruhigung sein kann.

    Mit dieser Unsicherheit meine ich jetzt nicht stammelndes Erröten oder den Verzicht darauf, laut zum Himmel schreienden Mist als zum Himmel schreienden Mist zu bezeichnen. Zwar umfaßt mein Idealbild eines Menschen nicht unbedingt an erster Stelle Eigenschaften wie die Durchsetzungsfähigkeit eines Eisbrechers und die Verhandlungsbereitschaft eines Panzerkreuzers, und persönlich fühle ich oft Verlegenheit und Schwäche, dennoch glaube ich, daß ich zu meiner Position stehen kann und mich, sollte ich es als notwendig erachten, auch gegen Widerstände durchsetzen kann.

    Vielmehr jedoch sehe ich diese Unsicherheit als Grundlage aller Menschlichkeit, als die zentrale Abhängigkeit der Menschen voneinander. Bedürftigkeit ist da vielleicht ein viel besseres Wort.

    Erstens die grundlegende Bedürftigkeit der Kinder, der Schwachen, der Kranken und der Alten, die nach Zuwendung, Fürsorge, Trost, Mitleid und Heilung verlangt. In der ich die Grundlage aller Emotionen sehe, die das menschliche Miteinander fördern.

    Zweitens die alltägliche Bedürftigkeit der Hungrigen, Durstigen und Frierenden, die nach Nahrungsvorsorge und Nestbau verlangt. In der ich die Grundlage alle formalen sozialen Organisation und Planung sehe, wie z.b. der Arbeitsteilung (als einer Form davon).

    Drittens die außerordentliche Bedürftigkeit der Bedrohten und Verfolgten, die nach Schutz und Verteidigung verlangt. In der ich die Grundlage aller menschlichen Aggression und der Emotionen, die für Kampf und Konkurrenz notwendig sind, sehe.

    Das mag jetzt bombastisch klingen, ist im Grunde aber ein sehr simpler Gedanke, dessen Mittelpunkt darin besteht, den Menschen nicht als einzelnen Gegenstand sich vorzustellen, sondern ‚Mensch‘ als (der Genese wie der Logik nach) ein Zweites nach ‚Menschen‘ oder ‚Gruppe‘ oder ‚Stamm‘.

    Wenn wir mit unserem modernen Instrumentarium an Begriffen von dem ‚Individuum‘ sprechen, dann, weil wir auf einen langen Prozeß der Individuation zurück greifen können, in dem sich der Einzelnen überhaupt erst aus der Gemeinschaft sachlich und begrifflich heraus schälte.

    Der einzelne Mensch (ob nun als Rechtssubjekt in Staat und Tauschverkehr oder als Individuum in der Reflexion oder als stolzer Gockel auf dem dance floor) ist eine Konstruktion, ist das Abgeleitete. Nicht seine Gemeinschaft, seine soziale Gruppe, seine Gesellschaft und was auch immer an Assoziation ihn umgibt.

    Dreht man die Richtung dieser Beziehung um, handelt man sich unendlich viele Probleme ein. Letztlich, so denke ich, ist z.b. die Frage, wie denn eine Gesellschaft von einzelnen Menschen überhaupt zustande käme, nie befriedigend gelöst worden, ohne zu einem deus ex macchina zu greifen (ob er nun Leviathan oder Gott oder sonstwie genannt wurde), welcher Gesellschaft allererst den Vielen oktroyiert.

    Emotional hat natürlich diese Individuation eine Menge verlockende Punkte gebracht. Es wäre heuchlerisch, die Attraktivität des stolzen Ichs, des autonomen Subjekts, des Starken und Selbstbewußten, des (All-)Mächtigen und (All-)Wissenden zu leugnen. Das hat in meinen Augen sehr viel mit Gefühlen wie Ängsten und Sehnsüchten zu tun, ist oft erotisch gefärbt und halt das Spielfeld, auf dem sich unsere Gedanken, Gefühle und Körper gerne tummeln, wenn sie Ausgang haben.

    Was aber nicht darüber hinwegtäuschen sollte, daß wir es hier größtenteils mit Illusionen und Phantasien zu tun haben. Die Dominanz des Kriegers über den Bauern, des Mutes über die Beharrlichkeit, der schnellen Tat über die nachhaltige Vorsorge ist ja keine abstrakte Notwendigkeit, im Gegenteil, sondern eine momentane Illusion. Der effektivste Krieger aller Zeiten war der Hunger, die Knappheit – aber Dramen und Lieder der Menschen handeln lieber vom Zorn des Achilles und dem Schwert des Artus als vom nagenden Hunger, wenn die Felder nicht bestellt werden konnten, und dem würgenden Durst in der belagerten Stadt.

    Und, wenn jeder von uns einmal in sein Herz hinein schaut, dann denke ich, sehe wir alle dort eine Menge mehr oder weniger verschämter Bewunderung für DAS INDIVIDUUM und eine Menge von heftigem Abscheu gegen DIE MASSE. Unsere Gesellschaft des Tausches braucht das einzelne Rechtssubjekt, weil Tausch Besitz braucht, oder der Tausch machte keinen Sinn. Und dieses Rechtssubjekt heißt dann, je nachdem wo und wie man es sich anschaut, Individuum oder Warenhüter oder Vertragspartei. Und natürlich folgen unser Geschmack, unsere Leidenschaft, unsere Gier und unsere Sehnsucht dem, was uns die Gesellschaft an Mustern anbietet. Niemand ist eben derart autonom, davon nicht geprägt und bestimmt zu werden.

    @Uwe: Ich denke, auch Du nicht, selbst wenn du von Holz, Wasser und Land leben zu können glaubst. Niemand ist aus sich heraus, was er ist, auch wenn es vielleicht vielen (auch mir) heftig am Stolz kratzen sollte, sich nicht als Mittelpunkt eines eigenen Universums zu sehen, allein von uns selbst entworfen, kontrolliert und bewegt.

  80. Liebe Susanne,
    was Du zum Indivduum und zur Gesellschaft gesagt hast, war recht interessant für mich.
    Ich bin dann, beim erneuten Überfliegen Deines Textes , oben, wieder an
    „persönlich fühle ich oft Verlegenheit und Schwäche“ hängengeblieben. Später benennst Du sie als fundamentale, allgemein menschliche Bedürftigkeit, die letzlich aus der Zugehörigkeit zu Gemeinschaften herrührt.
    Sicher, das stimmt, wir sind „Abhängige“, Teile einer Gruppe oder Gruppen und müssen uns so in einem grösseren Ganzen bewegen. Dennoch ist mir ein Gefühl von „Verlegenheit und Schwäche“ persönlich so nicht bekannt.
    Wenn ich schwäche und Verlegenheit spüre, dann meist NACH einer Äusserung oder eines Tuns: Dann kritisiere ich etwa mein Englisch im stattgefundenen Gespräch mit einem amerik. Freund oder ich fühle mich „armselg“ bei dem, was ich hier geschrieben habe – doch lese ich das immer als einen Versuch einer Instanz in mir, mir Lebendigkeit auszutreiben. Allerdings kann es mir das nächste Mal wieder passieren, daß ich mit plötzlich Reue aus einer Interaktion rausgehe.
    Du. @Susanne, scheinst aber schon mit diesem Gefühl in die Interaktion reinzugehn – und da hält Dich offenbar nichts davon ab, obwohl Du gerüstet und gepanzert bist, mit einem ansehnlichen Arsenal an sprachlichen und Wissens-Waffen.

    Gerhard
    P.S.
    Zu Uwes Fundamentalautarkie möchte ich gerne noch Näheres aus seinem Munde hören.

  81. Ich meine zu verstehen, was Susanne meint. Fast jeder Mensch kann es z.B. allein im Wald spüren: Wenn da plötzlich ein anderer Mensch aus irgend einem Seitenweg tritt. Beruhigend, wenn er Angelzeug bei sich hat oder sonst etwas, was sein Dasein klar definiert – uns damit also sagt: Ich will dir nichts Böses, ich komme vom Angeln…

    Wenn kein sozialer Kontext erkennbar ist, fällt man zurück ins Wahrnehmen des Bedrohungspotenzials. Was natürlich auch noch von den jeweiligen Individuen abhängt, die sich da „undefiniert“ treffen. Ein Schrank von einem Mann wird sich wenig verunsichert fühlen, begegnet ihm eine kleine zierliche Frau oder ein entsprechend „ungefährlich“ wirkender Mann.

    Das Bedürfnis, den Anderen zu erkennen, ihn sozial einordnen zu können (=Bezug zum „wir“) zieht sich durch die Kulturgeschichte der Neuzeit – z.B. in der Art der Bekleidung und im Verständnis von Privatheit und Öffentlichkeit (was ist NORMAL, von sich zu zeigen, was nicht?).

    Je nach dem, wie sich Letzteres ausgestaltet, wird ein Mensch, der „das Übliche“ von sich nicht zeigt, als eine etwas sinistre Gestalt angesehen, die vielleicht aus schlechten Gründen etwas zu verbergen hat. (Heute: wer nicht im Internet vorkommt…) Dem wäre nicht so, gäbe es nicht die „fundamentale Unsicherheit“, die Susanne meint.

  82. @Dirk
    deutet es im Kommentar gleich zu Beginn des Threads an –
    Unser Problem dürfte zuerst sein, dass wir alle ins „sowohl-als-auch-Denken“ gefunden haben: Wir wollen alles können. Und so genügt auch Gemeinsames nie für sich.
    Alles muss etwas bringen. Mir selbst.
    Nur: Wie mache ich denn die Kosten-Nutzen-Analyse, wenn ich das Handwerk für diese Analyse verloren habe? Wenn ich selbst verkenne, was für mich wirklich wichtig wäre?
    Erleben wir nicht einfach zu wenig Gemeinschaft, weil wir ihren Wert gar nicht mehr kennen?

  83. Danke, Claudia, für Deine Erklärung!
    Das macht Sinn, aber wieso hat es Susanne dann nicht so spezifiziert?
    Unsicherheit z.B. gegenüber Dir oder Susannne oder auch Menachem spüre ich allerdings nicht, weil ich mir in Maßen ein Bild gemacht habe.

  84. @alle: dieses Gespräch ist zum meist kommentierten aller Diary-Zeiten geworden! Das hätte ich nicht gedacht!

    Danke an alle! :-)

  85. Vielleicht läßt sich die Zahl der Kommentare als ein Indiz dafür nehmen, daß zumindest für die hier Lesenden ‚Gemeinsinn‘ durchaus große Bedeutung besitzt.

    Allerdings befürchte ich, daß etwa Dirk’s Frage (“Ist ‚mehr Gemeinsinn‘ ein gemeinsames Ziel?“ ) nicht mit einem klaren ‚Ja‘ beantwortet werden kann. Womöglich wäre ein schüchternes ‚Nein‘ sogar weitaus eher angebracht.

    Zu viele denken sich Gemeinsinn als etwas, in dem Eigensinn nahezu problemlos aufgehoben wäre. Eine Spielart ist die klassische Illusion, die Maximierung des eigenen Nutzens, wenn nur richtig durchgeführt, würde den allgemeinen Nutzen fördern. Was so bequem weiteres Nachdenken erübrigt. Eine andere ignoriert großzügig die sehr verschieden ausfallenden, inhaltlichen Ausgestaltungen eines möglichen Gemeinsinns, weil sie teilweise recht schmerzlich ausfallen dürften. Und wieder eine andere setzt Eigensinn und Gemeinsinn schlichtweg in eins, weil das der Verkleidung ihrer Interessen sehr förderlich ist

    Aber daß hier so lebendig diskutiert wird, ist sicherlich etwas Schönes.

  86. Ist es wirklich so falsch, Gemeinsinn als etwas zu sehen, das allen nützt, also auch mir?

    Schließlich haben Menschen viele Interessen gemeinsam, doch haben wir deren Erledigung in hohem Maße an Institutionen ausgelagert bzw. arbeitsteilig organisiert. Man spürt dann die Notwendigkeit des Gemeinsinns nicht mehr so – bis es da wieder irgendwie knirscht. Und es engagieren sich ja nicht wenige freiwillig auf vielen sozialen und kulturellen Feldern.

    Wir wollen Frieden, damit wir in Ruhe unseren eigenen Zielen und Amüsements nachgehen können. Auch eine saubere Luft und angenehme Umwelt (Artenvielfalt!), die Versorgung der Kinder, Alten und Kranken, die allgemeine Bildung und kulturelle Aktivitäten – es ist doch leicht einzusehen, dass dies alles im Prinzip gemeinsame Interessen sind. Auch dass mir einer beispringt, wenn mich jemand angreift, gehört dazu – und niemand sitzt gern auf zerschnittenen Sitzen im Abteil.

    Kurz gesagt: Gemeinsinn ist doch nicht völlig abgehoben von eigenen Interessen, so als eine Art frei schwebender Altruismus. Oder doch?

  87. @Claudia

    Ich fürchte, es (i.e. „Ist es wirklich so falsch, Gemeinsinn als etwas zu sehen, das allen nützt, also auch mir?“) ist so falsch, wie von einem anderen Menschen zu erwarten, er oder sie würde allzeit wissen, was du brauchst, willst und begehrst.

    Ein Wunsch, den wir, denke ich, alle heimlich hegen, aber der, leider, ein wenig daneben wohl liegt, Gott sei’s geklagt.

    Vielleicht wäre das ja ein Thema für eine neue Diskussion?

  88. Und Gott hörte das Wehklagen, @Susanne, und änderte es. :)
    Allerdings schickte er dafür so viel Schnee, dass ich mehr Zeit wartend auf Bahnsteigen verbringe, als auf der Arbeit. Gesund kann man das nicht hinter sich bringen.

    Ich glaube, es ist das „erwarten“, auch im Sinne von „fordern“, was der Sache im Wege steht.

  89. Also mich interessiert mehr, WIESO Claudia an einen Gemeinsinn und die Enfaltung dessen in unserer Gesellschaft glaubt anstatt über die Möglichkeit und Erfolg oder Mißerfolg eines solchen zu befinden.
    Ich bewundere im Grunde den Optimismus von Dir, @Claudia, würde aber gerne mehr über die Wurzel dieser Haltung erfahren.
    Genauso interessiert mich im Grunde der Hintergrund der Äusserungen von Susanne mindestens genauso stark wie deren Inhalt.
    So passiert es mir meist, wenn ich Leute näher kennenlerne.

  90. Bitte hier nichts mehr posten, sondern unter dem neuen Artikel dazu. Danke!