Claudia am 21. April 2010 —

Gelesen: Meinhard Miegel – Wohlstand ohne Wachstum

„EXIT“ steht in großen roten Lettern auf dem Umschlag des Buchs von Meinhard Miegel, mit dem „einer der renomierstesten Sozialwissenschaftler Deutschlands“ (Klappentext) antritt, Wege aus dem Dilemma unserer Zeit zu weisen. Er widmet sein neuestes Werk „denen, die über den Tag und Tellerrand hinaus schauen“, womit ich mich durchaus gemeint fühle. Zudem bewegt mich das Wachstumsproblem schon länger, erscheint der Zwang zum ständigen „Mehr von allem“ doch schier unlösbar, ähnlich einem ZEN-KOAN, das auch nicht mit dem Mitteln des Intellekts gelöst werden kann.

Miegel schrieb sein Buch 2009 inmitten der Finanz- und Wirtschaftskrise, die ihm für sein Thema eine Steilvorlage bot. Im Einleitungskapitel „Wachstum Wachstum über alles“ geht er mit einer Politik ins Gericht, die mit Rettungsschirmen, Abwrackprämien und riesigen Konjunkturprogrammen den Karren noch weiter in den Dreck schiebt und sämtliche hehren Ziele (Haushaltskonsolidierung, Umweltpolitik, Generationengerechtigkeit, Ordnungspolitik etc.) in die Tonne tritt, sobald das Wachstum mal ein wenig schrumpft. Und zwar im Konsens von rechts bis links, national und international, im Konsens auch von Unternehmern und Gewerkschaften, die allesamt wie Süchtige am Tropf des Wachstums und seiner Finanzierung aus immer mehr Schulden hängen.

Mit gewaltigen Worten beschreibt Miegel die Krise nicht als Ausnahme, sondern als Regel – und sogar als „überfällig“, denn wäre sie später gekommen, wären die Folgen drastischer gewesen. Folgen, die er insgesamt als recht geringfügig ansieht, denn weltweit sei das Wachstum nur um ein Prozent gesunken, und:

„Die meisten haben nichts verloren, was sie jemals wirklich besessen haben….Was heißt es schon, wenn russische Oligarchen ein Drittel ihrer Milliarden einbüßen, sich die Aktienwerte halbieren und die Preise für Immobilien um ein Fünftel sinken. Damit sind diese Vermögen immer noch sehr viel mehr wert als vor sieben oder acht Jahren. Und die verloren gegangenen Arbeitsplätze? Selbst auf die Gefahr hin, abermals zynisch zu klingen: Die Krise hat im Wesentlichen nur ARbeitsplätze vernichtet, die auf Sand gebaut waren. Das ist für die Betroffenen kein Trost und sie haben Anspruch auf die Solidarität der Gemeinschaft. Aber halbwegs sicher waren diese Arbeitsplätze eben nicht. Sie waren errichtet auf einem großen Schuldenberg. Mit dem Ende der schuldenfinanzierten Wohlstandsillusion tritt wieder die Wirklichkeit zutage – die keineswegs trostlos ist, sondern nur weniger gleißend“.

Als „im Rausch“ beschreibt er in einem weiteren Kapitel das Verhalten sämtlicher Akteure, die auf durchaus vorhandene Crash-Warnungen nicht gehört, sondern die Party des exzessiven Schuldenmachens gerne mitgefeiert hätten – und zwar vom Banker über Politiker und Unternehmer bis hin zu vielen Einzelnen, die es heutzutage als selbstverständlich ansehen, sich jedweden Luxus auf Pump zu gönnen. Abgekoppelt von jeglicher realen Wertschöpfung entwickelte sich auf der exzessiven Party ein „Geldschaum“, der allen die Sinne und den Verstand umnebelte. Im einem Kettenbrief ähnlichen System ging das so lange gut, so lange sich noch Menschen und Institutionen fanden, die sich die zweifelhaften Finanzpapiere andrehen ließen – bis die Frage virulent wurde, wer denn das alles mal bezahlen sollte. Dann folgte der bekannte Absturz mit der drastischen Ernüchterung, die – wie wir heute sehen – schon wieder neuer „Schaum-Schlägerei“ gewichen ist.

Dem fulminanten Einstieg ins Thema über eine fetzige und ausführliche Krisenbeschreibung folgt im Buch dann die Analyse zum Stellenwert des Wachstums in den letzten Jahrzehnten. Darauf werde ich vielleicht in einem zweiten Teil eingehen – demnächst in diesem Theater!

Update:
eine wirkliche Antwort bringt das Buch nicht. Es bleibt bei Klage und Analyse stehen und setzt im letzten Teil ein klein wenig auf freiwillige Life-Style-Veränderungen in gesättigen Industrienationen. Zu wenig Lösung für ein allzu großes Problem.

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Siehe dazu auch:

Diskussion

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4 Kommentare zu „Gelesen: Meinhard Miegel – Wohlstand ohne Wachstum“.

  1. Hmm, klingt nicht nach einem Buch, das ich unbedingt lesen müsste. Denn bis hierhin scheint es keine wirklich neuen Erkenntnisse bereitzuhalten. Es klingt für mich wie die Beschreibung eines altbekannten, regelmäßig wiederkehrenden Symptoms.

  2. Das ist es auch – in den ersten 3 Kapiteln rund um „Krise“. Dann folgt eine tiefschürfende und viele Aspekte betrachtende Analyse des Wachstumszwangs, und dann kommen seine Vorschläge für ein „anders leben“. Zu Teil 2 und 3 werd ich ebenfalls noch schreiben, vielleicht auch zu provozierenden Einzelthemen, die das Buch ebenfalls nicht zu knapp enthält (z.B. Abschaffung der Rente, wie es sie derzeit noch gibt).

  3. Die Banken haben keineswegs geschlafen. Sie haben von der Krise gelernt. Schnell, verlässlich und effizient. Sie haben schnell, verlässlich und effizient gelernt, dass sie ab jetzt noch ruhiger und entspannter und tolldreister zocken können als bisher: die Allgemeinhat hält ihnen die Stange und unterstützt zahlungskräftig ihren standartisierten Realitätsverlust. Die Krise wurde erfolgreich in die (nahe) Zukunft ausgelagert. Mit der bislang bewährtesten Methode überhaupt: Auf Pump. Weiter wie bisher also – Kurse und Millionenboni und Wachstumsphantasmen(-psychosen?) steigen schon wieder vielversprechendst, dafür haben wir gern gezahlt (fragt sich zwar womit, aber na gut, pfeif drauf)! Da genügend viele hoffen, demnächst selber den eigenen Gehaltsscheck einloggen und endlich neunstellig absahnen zu können wie die unhinterfragbaren Sieger unserer Gesellschaft (von wegen keine Werte: neunstellig sind die!), tun wir mit Handkuss weiter so, als würden wir an Nullbegriffe wie „Wettbewerb“, „Leistung“ und „Systemrelevanz“ glauben, wer kann es uns verdenken? Hat zwar paar Milliarden in den Sand gesetzt, sogar brenzlig viele, genaugenommen (und wer über die Nasenspitze hinausdenkt, könnte sich auch durchaus ernsthaft die Frage stellen: wer übernimmt denn eigentlich die nächste, zehnmal grössere Zeche, der Planet Mars?) – aber erstens war es eh nicht unser Geld, sondern dasjenige unserer geliebten vielzitierten Nachfahren, die es selbstredend genausowenig blechen werden (logischerweise)(die sind nämlich keinen Scheissdreck doofer als wir) und zweitens und vor allem war es mehr als lustig allemal, zu beobachten und bezeugen, wie zackzack Milliarden auf den Tisch kommen, wenn zur Abwechslung einmal die OBEREN Etagen brennen. Wie Konfetti. Und zwar ohne monatelanges Hickhack und Lirumlarum und Waswärewenn und Pipapo und Tatata und Ächz und Stöhn und Hin und Her und so weiter und so fort, sondern schwuppdiwupp und ratzfatz. Per Fingerschnipp. Oder wie Matthias Riechling mit sachgerechter Dümmlichkeit so treffend formulierte: WIR WUSSTEN JA GAR NICHT, DASS WIR SO VIELE MILLIARDEN [nicht] H-A-B-E-N! War ja auch keineswegs voraussehbar, so ohne weiteres, nachdem doch recht intelligent und sogar tendenziell glaubhaft dreinschauende Ökonomen und Staatsleute (mit wirklich superseriös sitzenden Krawatten) uns in tagtäglichen Grabenkämpfen weiszumachen und zu erläutern nicht müde wurden, dass selbst dieses und jenes mickrige Milliönchen für das dringend benötigte Projekt abc oder die überfällige Entlastung xyz ohne Wenn und Aber den unmittelbaren ultimativen Staatsbankrott zur Folge haben müsste… Überigens: eine Million ist ZEHNMAL weniger als 1% von einer einzigen müden Milliarde – es ist nicht ganz klar, ob alle Sprecher und Akteure und Mitdiskutanten derlei piefigen Mathe-Krempel in ihrem Inneren jeweis tatsächlich erfassen und durchschauen – wenn ein Milliardär einer Partei eine Million hinknallt, so ist das wie wenn Sie als 1000-Euro-Besitzer einem Penner 1 Euro in die Hand drücken… Aber bisweilen mag tatsächlich der Eindruck aufkommen, auf die eine oder andere Null kommt es letztendlich auch in der Tat nicht so wahnsinnig drauf an – wahrscheinlich hat diese Kaltschnäuzigkeit und Nonchalance wiederum ein bissel darin ihren Grund, dass es TATSÄCHLICH letztlich und endlich, wenn der ganze Schwindel und faule Zauber (wie ein traditionsbewusster Bankier letzthin ennuyiert konstatierte) ein klein bissel zurechtgestutzt wird demnächst, nun ja, ziemlich wurscht ist und einerlei, wo das Komma in jedem konkreten Einzelfalle denn tatsächlich zu rangieren beliebte… Denn letzten Endes weiss doch jeder: Geld ist Papier, die Börse ein Gebläse für warme Luft und unser mühsam Erspartes ein neumodischer Aberglaube. Man lasse sich indes gleichwohl von meinen ev. etwas düster anmutenden Prognosen keinesfalls von der wahren Natur der Dinge und der Wahrheit beirren: Die Folgen im Endeffekt und unter allen Bilanzstrichen werden für den Einzelnen in etwa so dramatisch und folgenschwer ausfallen wie die brandgefährliche und kaum brutal genug einzustufende Schweinegrippe seinerzeit. Erinnert sich noch jemand? Unterm Strich: Zwei Tote. Also, äh, wenn man die akuten Schnupfen-Fälle dazuzählt und die gebrechliche dreiundneunzigjährige Kettenraucherin: sogar vier. Es besteht also aller Grund zur Sorge. Wie immer bei Prognosen, insbesondere bei vollmundigen. Vorerst gilt hingegen: Weiterfeiern, Leute. Denn am Ende fällt für alle derselbe Vorhang. Und die Ängstlichsten, Vorausschauendsten und Sparsamsten – ich garantiere es ihnen jederzeit – wandern am vorbildlichsten unter die Radieschen.

  4. Anregender Vortrag, lieber Zement.

    „Geld ist Papier, die Börse ein Gebläse für warme Luft und unser mühsam Erspartes ein neumodischer Aberglaube.“

    Ich meine, Geld ist heutzutage sogar weniger als Papier aber viel mehr als ein Aberglaube. Geld wird „erfunden“, indem Leute Kredite vergeben, die eigentlich kein Geld haben. Mit diesem Geld gehen dann andere Leute einkaufen, obwohl das meiste davon nicht einmal Papier ist, sondern nur eine Zahl auf dem Bildschirm oder auf dem Kontoauszug. Aber obwohl das Geld physisch fast ein Nichts ist, so ist es im Bewußtsein derer, die an Geld glauben, sehr viel, für manche sogar die wichtigste Motivation. Geld ist tatsächlich der stärkste und der einzige weltweite GLAUBE, den es gibt und gegen den jede offizielle Religion verblasst.

    Glaube bedeutet, daß etwas für wahr gehalten wird und daß eine Grundhaltung des Vertrauens besteht. In diesem Fall ist es der Glaube daran, gegen Hingabe von Geld, von einem anderen Menschen Waren oder Leistungen zu erhalten und der Glaube daran, wichtige Wünsche und Bedürfnisse ließen sich mit Geld erfüllen, während Schwierigkeiten und Probleme sich mit Geld lösen ließen.

    Unabhängig davon, daß jeder Weg früher oder später unter die Radieschen führt, ist es doch lästig und bisweilen verstörend, wenn der Glaube erschüttert wird und wenn das Vertrauen zerbricht.