Claudia am 03. März 2009 —

10 Jahre Digital Diary: Was hat sich verändert?

So eine Rückschau darf natürlich nicht fehlen: Was hat sich verändert seit März 1999, als ich den ersten Beitrag ins Digital Diary schrieb? In der Netzwelt und in mir?

Ich hab‘ mal ein bisschen gestöbert: Der dritte Eintrag vom 5.März hieß „Ein Loblied aufs Webben“ und enthält folgende begeisterte Passage:

„Leute, die das Netz nicht aus eigener Erfahrung (nutzen, nicht nur surfen!) kennen, glauben daran, daß es beim Veröffentlichen im Web darauf ankäme, eine potentiell weltweite – zumindest aber erwähnenswert große Leserschaft anzuziehen. Unterstellt wird der Wunsch nach einem Verlag, der so gnädig sein möge, den AUTOR zu entdecken! Sie können sich nicht vorstellen, daß neben dem Buchmarkt mit seinem Hungerlohn, seinen Orden und Ehren, seinen Miniauflagen, die in den Lagern verfaulen, weil man dafür ja nicht noch Werbung machen kann – das neben dieser langweiligen Veranstaltung zur Aufrechterhaltung des Wirtschaftslebens das ECHTE LEBEN stattfindet. Das echte Leben der Schreibenden, für die es unwichtig ist, ob man sie „Autor“ nennt oder suchtkrank. Denen es jedoch ungeheuer wichtig geworden ist, ohne Aufwand, Vorschriften und Umwege veröffentlichen zu können, was immer gerade kommt. Und nicht für einen Markt, nicht für einen Bücherschrank, sondern mitten im richtigen Leben, für alle, die vorbeikommen.

Mit DIESEN Vorteilen des Online-Publishing kann kein anderes Medium konkurrieren. Alle, denen es darauf ankommt, sich anderen mitzuteilen, ihren eigenen Blick auf die Welt als Facette aktueller Existenz neben andere zu stellen – die das Schreiben nutzen, um sich zu besinnen, um zu experimentieren, um das Spiel, das Leben und Leiden zwischen Form und Inhalt weiterzuspinnen – was kann uns die Printwelt denn noch bieten?“

Damals…

Man schrieb noch „daß“ und nicht „dass“, man sprach von „online-publishing“ und gerade blähte sich die Dotcom-Blase gewaltig auf. Ich hatte den bestbezahlten Auftrag meines Lebens und begann, mich zu informieren, in welches Tech-Unternehmen ich investieren sollte, um auch ein paar „Gewinne mitzunehmen“. Zum Glück bin ich ein vorsichtiger Mensch und so dauerte meine Informationsphase bis zum Platzen der Blase im Jahr 2000. Glück gehabt! :-)

Danach gab‘ es dann nicht mehr so viel Geld fürs Webdesign, doch für mich hat es immer gereicht: wollte ich doch nicht mehr als halbwegs komfortabel vor dem PC sitzen. Die Konsumwünsche, die sich daraus ergeben, sind dann eher bescheiden. Damals lebte ich als „Stadtflüchtling“ auf einem alten, jedoch top modernisierten Gutshof in Mecklenburg, konnte vom Computer aufstehen und auf die Wiese treten, ein bisschen gärtnern, den Hühnern zuschauen – und wieder zurückkehren in die Netzwelten hinter dem Monitor, die ich als meine wahre Heimat empfand.

Seitdem hat der Nerd-Faktor deutlich nachgelassen: Die Begeisterung fürs „drin sein und dabei sein“, die mich damals noch zu Marathon-Sitzungen anspornte, ließ in den Folgejahren deutlich nach. Das Netz selbst wurde uninteressanter, die Inhalte rückten in den Vordergrund. Man fürchtete sich kollektiv vor dem „Millenium-Bug“ (Y2K), erwartete gar den Zusammenbruch der technischen Zivilisation („Life as we know it“) – und fast war es ein wenig enttäuschend, als dann gar nichts passierte!

Entwertung und Normalisierung

Mit der Weiterentwicklung zu einer ganz neuen Art, Webseiten zu codieren (CSS-Design), erlebte ich zum ersten Mal, wie es ist, wenn eigenes, in Jahren perfektioniertes Wissen und Können vollständig entwertet wird. Die „alte Art“ zu webben wurde zum Hindernis beim Lernen der neuen Methoden. Ich überlegte ernsthaft, mir einen anderen Broterwerb zu suchen und startete 2003 meinen ersten themenzentrierten Schreibkurs auf Schreibimpulse.de (Mal besichtigen?). Dann packte ich es aber doch noch, mir die neuen Kompetenzen anzueignen. Ein Spaß war es allerdings nicht mehr und öfter fühlte ich eine seltsame Leere: Meine Begeisterung fürs Netz war weg – es war alles so stinknormal geworden!

Deja Vu: Web 2.0

Mit dem Erscheinen der Blogs bewegte sich wieder etwas und ich staunte nicht schlecht: die Jungs und Mädels taten, als wären sie gerade erst dabei, das Web zu erfinden! Alles, was am Bloggen und den entstehenden neuen Communitys so begeistert gerühmt wurde, kannte ich ja schon: es waren dieselben kommunikativen Nutzungen, die uns 1996 bis 1998 so mitgerissen hatten – nur alles ein wenig langsamer, weil man händisch webben musste. Ein Deja Vu reihte sich ans andere, während „Web 2.0“ seinen Hype erlebte: dieselben Inhalte, dieselben Auseinandersetzungen (Werbung auf Blogs?? Tststs…) und dann auch wieder dasselbe Jargon-gesättigte Marketing-Blabla, das den Unternehmen blühende Landschaften versprach, wenn sie die neuen Möglichkeiten nutzten. Und ja, auch wieder Venture Capital, eine StartUp-Szene, die auf „Exit“ spekuliert – es gibt nichts Neues unter der Sonne, dachte ich mir, und ich werde langsam alt!

Alt werden: im fünften Jahrzehnt des Lebens kann man nicht mehr so tun, als sei das nur etwas für Andere – bzw. wenn man es doch versucht, wirkt es ein wenig lächerlich. Ich betrachtete relativ nüchtern die Tatsachen: Ich hatte mich verändert und wurde nicht mehr automatisch von Begeisterungswellen ergriffen, die mal eben durchs Netz schwappten und mich motivierten, bis tief in die Nacht zu arbeiten. Geld verdienen als Selbstzweck hatte mich noch nie gereizt – was also jetzt?

Ich beschloss, nicht zur verknöcherten Alten zu werden, die fortan alles Neue mit einem gelangweilten „hatten wir schon!“ kommentiert und nach und nach zum mentalen und ökonomischen Pflegefall mutiert. Dass ich nicht mehr so bewusstlos „mitgerissen“ werde, kann ja ein Vorteil sein, wenn es darum geht, zu erkennen und zu vermitteln, was für einen bestimmten Zweck wichtig ist und was nicht. Damit kann ich weiter nützlich sein, was allerdings voraussetzt, „dran und drin“ zu bleiben. Also öffnete ich mich 2005/2006 der mittlerweile weit entwickelten Blogosphäre, baute meine Projekte entsprechend um und erschaffe seitdem Blogs für meine Webdesignkunden. Mal sind es „echte“ Blogs, wenn jemand publizieren will, mal nutze ich nur die Technik, um die Seiten „selber pflegbar“ zu machen.

Erstaunlicherweise ist im Zuge des mich Einlassens dann auch ein Stück der alten Begeisterung wieder gekehrt, sonst hätte ich auch nie ein „Blog-Retreat zum Zehnjährigen“ angesetzt. Dass das nicht zum Marathonbloggen ausgeartet ist, zeigt die Veränderung: ich folge mehr meinem Gefühl, was gut ist, was „von selber“ funktioniert – und versuche weniger, auf Teufel komm raus etwas zu erzwingen, weil ich vielleicht andere, extremere Erwartungen geweckt habe, bzw. selber solche hatte.

Real Life

Es gibt ein Leben neben dem Netz, das mir immer wichtiger wird, schon allein deshalb, weil so ein „Sitzleben“ seine körperlichen Folgen hat, die nach Ausgleich und Befassung schreien. Ganz OHNE Netz kann und mag ich aber auch nicht sein: Das „faule Gärtnern“ ist auch für sich genommen schön – so richtig rund wird es für mich aber erst, wenn es auch ein Blog dazu gibt!

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4 Kommentare zu „10 Jahre Digital Diary: Was hat sich verändert?“.

  1. […] Klinger zieht Bilanz über 10 Jahre ihres digital diary. 10 Jahre, eine kleine Ewigkeit im Netz. Und ich bin seit 14 […]

  2. […] Aus aktuellem Anlass. Das Digital Diary von Claudia Klinger wird nämlich heute, am 3. März 2009, zehn Jahre alt. Da möchte ich […]

  3. […] nun ist meine intensive Blog-Woche zum zehnjährigen Bestehen des Digital Diarys auch schon wieder ‘rum. Bin gespannt, ob ich auch eines Tages das 20-Jährige feiern […]

  4. 10 Jahre? Na Glückwunsch.