Claudia am 30. Januar 2003 —

Umzug geschafft: Vom Wohnen und Gestalten

Tag 5 in der neuen Wohnung. Gleich kommt der Hausmeister mit einem Tischler, um in der Küche ein paar Dielen zu erneuern. Das machen die ganz ohne dass ich sie dazu aufgefordert hätte, einfach so, weil sie „durch“ sind! Ich bin positiv überrascht über soviel instandhalterisches Engagement von Seiten der Hausverwaltung, dabei ist es nicht einmal ein frisch saniertes Haus, wo verbliebene Mängel eher mal beseitigt werden, sondern ein ganz normaler Berliner Altbau.

Blick auf den Rudolfplatz

Das Einräumen und Einrichten ist jetzt erstmal geschafft, die (neun!) Umzugskísten sind ausgepackt, die wenigen Möbel verteilen sich gut in den beiden großen Räumen und der Küche. Das Gefühl von Weitläufigkeit bleibt glücklicherweise erhalten, passend zu diesem wunderbaren Blick aus dem dritten Stock raus auf den Rudolfplatz. Vorhänge braucht es eigentlich nicht, denn es gibt kein Gegenüber. Meine Vormieterin hatte auch keine, doch aus Gründen der Gemütlichkeit will ich von dieser Tradition abweichen. Der erste Versuch war allerdings ein Flop, in zwei Zentimeter Tiefe trifft der Bohrer auf Eisen. Na, mal sehen, es muß ja nicht alles in der ersten Woche passieren.

Ich glaube, in dieser Wohnung werde ich lange bleiben. Sie ist wie für mich gebaut und bietet (fast) alles, was ich im Laufe meiner bisherigen Wohn- und Umzugserfahrung als angenehm und schön erlebt habe: hohe Altbaudecken mit Stuck, Flügeltüren, abgezogene Dielen, ein großer Erker und ein Balkon. Dazu nach vorne und hinten jede Menge Aussicht, ich bin richtig entzückt! Im Frühling wird es in den großen verbundenen Höfen, die sich hinter dem Haus bis zur Spree erstrecken grünen soweit das Auge reicht. Ein Geschenk!

„Das ist deine erste eigene Wohnung, die ein bißchen Stil hat“, sagte mein liebster Freund, als er herumging und begutachtete, wie ich die Gegenstände in den Räumen verteilt hatte. Das ist ein großes Lob. Von uns beiden ist nämlich er immer derjenige, der es locker hinbekommt, aus nichts eine gute Atmosphäre zu schaffen – mir scheint, ein bisschen habe ich im Lauf der zehn Jahre des Zusammenwohnens doch von ihm gelernt.

Dabei hab‘ ich noch fast gar nichts GETAN, nichts angeschafft, Vorhänge und ein Teppich fehlen – aber zuwenig ist bei weitem besser als zuviel! Das ist eine der Maximen angenehmen Wohnens, hinter der ich jetzt voll stehe: Erstmal mit dem Nötigsten einziehen, nur alles benutzbar machen und sonst nichts weiter verändern. Indem ich mich dann in den Räumen aufhalte und den „Spirit of Place“ erlebe, ergeben sich die fehlenden, bzw. noch notwendigen Dinge wie von selbst: sie wenden eine Not, die erst einmal gespürt werden will! Wenn ich meine Habe dann in den vorhandenen Regalen, im Sideboard und auf den Kleiderhaken und Ständern verteilt habe, DANN erkenne und fühle (!) ich, ob mir noch ein Schrank oder ein anderes Behältnis FEHLT. Ich kaufe es nicht einfach so, weil es im Laden oder im Prospekt gut aussieht und irgendwo schon noch hinpasst.

zwei leere Zimmer

Wie anders bin ich früher an neue Räume heran gegangen! Einziehen bedeutete immer erstmal voll renovieren. Egal, in was für einem Zustand die Zimmer waren, „Rauhfaser weiß“ und „alles neu“ mußte sein, bedeutete eine Art Aneignung des Ambientes durch mühselige und anstrengende Bearbeitung der Oberflächen. Ohne mir viel Gedanken zu machen, hatte ich dieses Herangehen von meinem Vater übernommen, der ein großer Do-it-Yourselfer war.
Es beschränkte sich nicht aufs Streichen und Tapezieren, mein In-Besitz-Nehmen einer Wohnung war auch immer mit scharfem Gerät, Staub, Lärm und gewaltätigen Eingriffen verbunden: ich eroberte das Gelände sozusagen mit der Schlagbohrmaschine, brauchte überall Regale und Beleuchtungen, Verkleidungen und Podeste an, ohne je Rücksicht auf die Gegebenheiten zu nehmen: ich ERSCHUF die Wohnung, die ich bewohnen wollte, praktisch erst durch mein brachiales Vorgehen – das ja immer auch bedeutete, beim Auszug einen ähnlichen Aufstand machen zu müssen, um alles wieder zu verspachteln und in eine neutrale Ordnung zu bringen.

Wie anders jetzt! Die Wohnung, die wir gerade verlassen haben, erforderte nur ein paar wenige ausbessernde Pinselstriche, minimalste Füllarbeiten und ein bißchen putzen. Sieht nun genauso „topmodernisiert“ aus, wie beim Einzug. Das kommt, weil ich von meinem Lebensgefährten den inneren Ekel übernommen habe, Eingriffe in die Substanz vorzunehmen, die nicht unbedingt sein müssen. Ein Loch bohren? Mit einer Maschine? Gar so, dass man da etwas anbringen kann, was auch ein Gewicht trägt? Um Himmels Willen! Geht es nicht auch anders? Besser, man stellt etwas auf den Boden oder hängt Dinge an vorhandene Leisten, Träger, Rohre, Geländer – jede Alternative ist zu überdenken inklusive des Verzichts, bevor so etwas Heftiges, Lautes und Gewaltätiges wie eine Bohrmaschine zum Einsatz kommt.

Früher hab ich diese Haltung belächelt, oft hat sie mich auch geärgert, denn sie erschien mir als bloße Behinderung: ich hatte meine gestalterische Idee und wollte sie auf die Schnelle – mit allen Mitteln! – umsetzen. Da die Technik das Gerät zur Verfügung stellt und Materialien wie auch Energie erschwinglich sind, spricht doch nichts dagegen, sich seine Umwelt nach eigenem Willen zu gestalten. Warum sollte ich auf diese Möglichkeiten verzichten und mich den Verhältnissen anpassen, wie ich sie gerade vorfinde?

Wer jetzt glaubt, an der Stelle komm ich mit ÖÖko und Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung, täuscht sich. Klar, das alles ist unbestritten lebenswichtig für die Zukunft der Menschheit, aber mal ehrlich: wie nachhaltig wirken diese guten (aber rein „vernünftigen“) Gründe in der eigenen Psyche, wenn es ums ureigene Wohlbefinden, um die Vorstellungen von Schönheit und Glück, vom guten Leben geht?

Lassen wir die Vernunft beiseite, es ist etwas Anderes, das mich dankbar sein läßt, heute nicht mehr immer und überall gleich „durchgreifen“ zu müssen: eben diese VORSTELLUNGEN vom Schönen sind nämlich der Knackpunkt, den es genauer zu betrachten gilt. Wenn ich meine Umgebung nur als zu gestaltendes Material ansehe und nicht als vorhandene Form mit eigener Geschichte und eigenem Recht, woher nehme ich dann eigentlich meine (Wunsch-)Vorstellungen, wie die Dinge aussehen sollen? Offensichtlich wachsen sie nicht in mir, denn mit Bestehendem halte ich mich ja gar nicht erst auf, gebe den Dingen so, wie sie sind, keine Chance, eine Zeit lang auf mich zu wirken. Wenn ich sofort umplane und umarbeite, umgehe ich das FÜHLEN dessen, was ist, kann also gar nicht erkunden, was mich wirklich stört, was mir gut tut und was mir in einer konkreten Umgebung fehlt. Ich bleibe dann im Reich des Denkens hängen: Denke, dass das, was da im Laden oder im Prospekt wunderbar aussieht, auch für mein Arbeitszimmer gut sein müßte; denke, dass die Farbkombination, die in der Ausstellungshalle bei Kunstlicht so exotisch wirkt, auch in meinem hellen dritten Stock gut kommt – und ich irre mich!

Oh, wie oft habe ich mich schon geirrt! Und immer war es mit Aufwand und Kosten verbunden, hat mich angestrengt, mir richtig Mühe gemacht und letztlich war es ein Nichts, ja schlimmer als ein Nichts, denn ich war ent-täucht, weil meine Erwartung, um mich herum etwas Schönes zu schaffen, wieder einmal frustriert wurde. Was wiederum die Aufgabe, ein neues Mal alles umzugestalten, nahe legte – es ist dann nur eine Frage des Geldes, wann es wieder soweit ist.

Natürlich ist das Anspringen auf schöne Dinge in Katalogen, in Läden, in fremden Wohnungen und in Schaufenstern auch ein GEFÜHL. Aber es ist unverbunden mit dem eigenen Raum, ihm wird keine Zeit gegeben, es taucht isoliert auf und entschwindet wieder, bietet jedenfalls keinen wirklichen Anhalt für das Wachsen eines echten Bedürfnisses. Es entsteht in der Regel durch reine Augenlust und bleibt auf den Sehsinn beschränkt – wogegen das Zimmer, in dem ich mich aufhalte, auf meinen ganzen Körper, ja, meine psychophysische Leiblichkeit einwirkt. Und zwar lang und stetig genug, dass ich das dann auch bemerken, in Gedanken und Worte fassen kann. Dann erst WEISS ich, was ich will.

Als nächstes rede ich mit jemandem darüber. Manchmal ist das gut, manchmal eher kontraproduktiv. (Wer die Intuition hat, der eigene Wunsch sei gewiß auch das Richtige, schweigt am besten!) Zum Glück hab‘ ich mit M. erstmal über meine Idee geredet, die hellgrauen Wände in der Küche doch lieber weiß zu streichen, am besten gleich. Die Farbe hab ich mir zwar schon mal gekauft, aber das Projekt „Küchenrenovierung“ ist jetzt ins Frühjahr vertagt. Eigentlich sieht das Hellgrau nämlich gar nicht so schlecht aus, es war einfach ein besonders trüber Tag gewesen, als ich es in der Abenddämmerung zum ersten Mal richtig wahrgenommen und innerlich abgelehnt hatte. Im Frühling kann ich dann auch gleich das Fenster mit streichen, so hab ich nur einmal Baustelle.

Blick aus der Küche