Claudia am 04. Dezember 2002 —

Weihnachtszeit

Es schmerzt mich fast körperlich, dass mein Schreiben so begrenzt ist. Ich sage „mein“ Schreiben, um nicht den Gedanken aufkommen zu lassen, ich wolle mich hinter einer Allgemeinheit oder hinter einer Art Naturgesetz verstecken. Und doch ist es vielleicht so ein Gesetz: zumindest als Prosa läßt sich immer nur Negatives ausdrücken, mehr noch, man liest auch nur gern, wenn der kalte Hauch des Schreckens, des Leidens, der Endlichkeit oder der Gefahr zumindest andeutungsweise duch die Sätze weht. Ein bißchen Tod und Sterben muß schon sein, zumindest ein paar „ordentliche Probleme“, der Autor möge doch bitte durch die Höllen gehen und erzählen, wie es war und wie er wieder heraus gekommen ist. Die Landschaften aus Langeweile und ÖÖdnis hätten wir gern kurzweilig beschrieben und zur Mittagspause serviert, damit wir wissen, wie schlimm es sein kann und wie gut wir es doch haben – vergleichsweise.

Nahezu zwanghaft gerate ich schreibend immer wieder in dieses Fahrwassser des Negativen, selbst bei den sachlichsten Gegenständen darf die Würze nicht fehlen, die das Ganze interessant und für Andere konsumierbar macht: ein bißchen Häme hier, ein wenig Spott da – selbst im Geist großzügigster Gelassenheit läßt sich immer noch sagen, dass das, was Andere zu diesem Gegenstand gedacht, gesagt, geschrieben haben, doch ein ziemlicher Schrott ist! Wenn nicht im eigenen Elend gerührt wird (was auch den Leser anrührt), muß halt der Andere dran glauben, dann ist eben ein bißchen Krieg angesagt!

Gibt es eine Alternative? Wenn ich mich wehre, wenn ich dem verrückten Impuls, dem Schönen durch Ausmalen des Häßlichen zu dienen, widerstehe, werde ich langweilig oder verstumme gleich ganz. Auch selber lesend bin ich kaum in der Lage, über die ersten Sätze eines „positiven“ Textes hinaus zu kommen: Gott, wie naiv! Es scheint unvermeidlich zu sein, einem Schreibenden die Sicht aufs Ganze als Pflicht aufzuerlegen – und wenn er sich dann heraus nimmt, der Welt zu applaudieren, und sei es nur bezüglich eines kleinen Insekts, das immerhin einige Millionen Jahre erfolgreich hinter sich gebracht hat, dann kann man ihn schon nicht mehr ganz ernst nehmen.

Bis hierhin ist gerade mal an der Oberfläche gekratzt. Aber will ich denn überhaupt tiefer? Ich wüßte nicht, wie ich das tun könnte, ohne in die beschriebenen Fahrwasser zu geraten. Gedichte schreiben, ja, das wäre eine Möglichkeit, oder malen, singen – alles Abschiede von der mir so vertrauten Form der Kommunikation, in der ich immer noch ausharre, die ich weiter betreibe, selbst wenn ihre Grenzen lange erreicht sind. Ich tue so, als wollte ich mit Anderen reden – aber in Wahrheit ist das schon lange nicht mehr der Fall. Was gäbe es denn auch zu sagen? Immer klarer steht mir vor Augen, dass es exakt drei Sätze sind, die wir endlos variieren können, mit mehr oder weniger Vergnügen:

1. Die Welt ist schlecht, das Leben furchtbar.
2. Die Welt ist wunderbar, das Leben ist schön.
3. Es ist, wie es ist.

Über alles, was damit gemeint ist, spannt sich natürlich noch ein ganzer Kosmos aus Psychismen, aus übergflüssigen Problemen erregungssüchtiger Egos, (klar, ich spreche von mir!) die beim Blick in die aufgehende Sonne nicht zur Sonne werden können, sondern sagen müssen: guck mal, was für ein toller Sonnenaufgang! Für dieses Leiden an der Großhirnrinde gibt es kein Heilmittel außer der Ausbildung der Fähigkeit, sie auf Standby zu schalten und nur im Bedarfsfall zu aktivieren – genau das übe ich aber nicht ein, indem ich darüber schreibe.

Immerhin muß ich mir nicht mehr vormachen, ich würde schreibend etwas „klären“, um hinterher daraus Nutzen zu ziehen. Es gibt da kein Um-Zu mehr, insofern bin ich mir schreibend selber voraus. Vielleicht ist das mit ein Grund, dass die Buchstaben immer wieder ihren Weg finden.

Jetzt geh ich mal ein paar Schritte um die Häuser. Zur Zeit kann ich nicht lange vor dem PC sitzen, der Körper sendet deutliche Signale. Sowieso warte ich darauf, dass mich die Muse küßt: die letzte Website, die in diesem Jahr für eine Kundin zu gestalten ist, muß das Licht der Welt erblicken. Und wie immer, kann ich es nicht auf die Stunde genau zwingen, spazierengehen ist dann besser, als auf eine weiße Fläche schauen.

Mir gefällt die Weihnachtszeit, endlich! Früher konnte ich das gar nicht wahrnehmen, so sehr war ich im Sumpf der Konsumkritik gefangen, in diesem nichts übrig lassenden „Das.ist-doch-nur“, das sich für den Gipfel der Erkenntnis hält, aber mit dem Leben dafür bezahlt. Jetzt freu ich mich an den Lichterketten, die in den Zeiten der Krise in Berlin offenbar besonders hell strahlen, hab mir beim ÖÖko-Stand einen „besonderen“ Adventskranz gekauft (irgendwo muss das „besonders“ ja hin…) und jetzt geh ich in den Supermarkt und kauf ein paar Lebkuchen. Manchmal sind sogar die Menschen in der Adventszeit fröhlich und freundlich – da mach‘ ich ein bißchen mit.

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