Claudia am 11. September 2002 —

September eleven

September eleven

Es ist kurz nach zehn und ich fühl mich so wohlig weh. Traurig, angerührt, erschüttert und voller Sympathie für die Amerikaner. Der Feuerwehrmannfilm zum 11.September, der soeben in 145 Ländern gleichzeitig gezeigt wurde, hat mich gefühlsmäßig voll erwischt. (Ganz so, wie es wohl auch gedacht war). Selbst ein Jahr danach noch sind die einstürzenden Türme des World Trade Center und das, was da angerichtet wurde, weit furchtbarer, katastrophaler, grausiger als alles, was man sonst so mitbekommt: Überschwemmungen, große Flut, Sturmkatastrophen, Kriege hier und dort, das ganze Elend eben. all das berührt mich auch, das eine weniger, das andere mehr – aber über alledem gibt es ein ganz einzigartiges Gefühl des Grauens, ein ganz besonderes WTC-Entsetzen: diese aufschlagenden Körper der Menschen, die gesprungen sind! Die ganze Situation in den oberen Stockwerken, all die letzten Telefongespräche – mein Gott, wie kann man nur „danach“ noch ein Hochhaus bauen, planen, bewohnen oder darin arbeiten???

Es wird nichts mehr so sein, wie zuvor, sagten alle vor einem Jahr. Und es wird doch immer wieder ganz genau so. Nach jeder Katastrophe kehrt die Ignoranz zurück, die Herzen erkalten und jeder kümmert sich wieder nur um sich selbst. Zwischen Stress und Spaß das große Gähnen, sofern nicht die angst die Laune verdirbt: angst um den arbeitsplatz, angst vor armut, Krankheit und alter, angst, nicht mehr stark, gesund und reich genug zu sein, um uns auch weiterhin um uns selber kümmern zu können. Nicht zu vergessen die angst vor dem anderen, der immer erfolgreicher, besser, schneller und auch noch erotischer ist. Zu guter letzt die große angst vor dem Tod, weil wir nichts mehr wünschen, als dass dieses Leben immer so weiter geht. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Einzig nach einer Katastrophe erwachen wir für kurze Zeit aus der gewöhnlichen Verblendung und schnuppern einen Hauch Wirklichkeit. Wie Leben sein kann, wenn man die Probleme gemeinsam anpackt, wenn jeder jedem hilft, „ohne Ansehung der Person“ – nur, weil es auch ein Mensch ist. Inmitten großer Gefahr wird auf einmal klar, wie schön das Leben ist, wie gut es ist, zu atmen und in die Sonne zu sehen. Alles, was man da durch Karriere, Erfolg oder Selbstinszenierung noch dazugewinnen und draufpacken kann, ist vergleichsweise Pipifax! also verblassen die kleinen und großen Unterschiede zu Fußnoten einer faszinierenden Geschichte – einer Geschichte, die immer von Helden handelt, obwohl sie „nichts besonderes“ taten – wie eben diese Feuerwehrmänner am 11.September. Nur das, was jeder Mensch in derselben Situation auch getan hätte – ja doch, wir kennen den Spruch!

aber, und das ist das Problem, wann sind wir schon mal Mensch?

Immerhin haben wir jetzt einen neuen Gedenktag: September Eleven, der erste globale Volkstrauertag. Nicht überall in der Welt wird er im gleichen Geiste begangen, aber auch nicht ignoriert. Da es in der Welt vor allem an gemeinsamen Erlebnissen mangelt, die ins Erleben von Gemeinsamkeit und Gemeinschaft umschlagen können, ist der 11.September, wie er heute – und vermutlich auch in Zukunft – rund um den Globus multimedial zelebriert wird, vielleicht ganz gut. Gut zum Herz-Erweichen – und das hätten wir ja wirklich nötig!

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